Oppositioneller in die Arktis entführt: Unter Zwang zur russischen Armee
Der Aktivist Ruslan Schaweddinow ist ein enger Mitarbeiter des regimekritischen Bloggers Alexei Nawalny. Jetzt ist er verschleppt worden.
„Eine Armee wehrpflichtiger Soldaten ist ein Unterdrückungsinstrument“, stand auf einem Plakat, das ein junger Mann vor dem Gebäude des Generalstabs in Moskau am Mittwoch in die Höhe hielt. Grund für den einsamen Protest ist das Schicksal des Oppositionsaktivisten Ruslan Schaweddinow.
Der 23-Jährige war zu Wochenbeginn in Moskau verschwunden, nachdem Polizeikräfte in seine Wohnung eingedrungen waren und ihn zu einer Befragung abgeführt hatten. Einen Tag später tauchte Schaweddinow wieder auf – auf der geheimen Luftabwehrbasis Rogaschowo im Nowaja-Semlja-Archipel, knapp über 2.000 Kilometer Luftlinie von Moskau entfernt.
Auf diesen unwirtlichen Eilanden – zu Sowjetzeiten bekannt als Ort von Atomwaffentests – mit winterlichen Temperaturen von bis zu 40 Grad unter null soll Schaweddinow nun seinen Militärdienst ableisten.
Die einjährige Pflichtübung zur heldenhaften Verteidigung des Vaterlands, und das auch noch weit weg vom Heimatort, mutet eher wie eine Bestrafungsaktion an. Bis dato hatte Schaweddinow seine Einberufung erfolgreich verhindern können – aus gesundheitlichen Gründen. Mit einem entsprechenden Antrag auf Berufung gegen die Entscheidung, ihn trotzdem einzuziehen, war er jedoch unlängst vor Gericht gescheitert.
Es geht nicht nur um den Armeedienst
Doch in seinem Fall geht es wohl noch um etwas ganz anderes. Schaweddinow ist ein enger Mitarbeiter des regimekritischen Bloggers Alexei Nawalny. Er ist Projektmanager bei dessen Antikorruptionsstiftung FBK, die seit Oktober vom russischen Justizministerium als ausländischer Agent gelistet ist. Und Schaweddinow präsentiert Nawalyns Kanal auf YouTube. Bei der Präsidentenwahl 2018 war er außerdem Pressesprecher im Wahlstab des Bloggers. Dessen Kandidatur wurde dann aber doch nicht zugelassen. In der letzten Zeit war Schaweddinow darüber hinaus so etwas wie eine Kontaktperson für einige oppositionelle Abgeordnete im Moskauer Stadtparlament.
Am Mittwoch gelang es ihm, kurzzeitig mit Nawalny telefonisch in Kontakt zu treten. Was Nawalny danach zu berichten hatte, klang alles andere als gut. So werde Schaweddinow ständig bewacht und sogar auf die Toilette begleitet. Auch werde ihm der Besitz eines Mobiltelefons verweigert, was gegen russische Gesetze verstößt. „Schaweddinow wurde unrechtmäßig seiner Freiheit beraubt. Er ist ein echter politischer Gefangener, oder, wenn Sie so wollen, er wurde ins Exil geschickt“, schrieb Nawalny in einem Post und unter Anspielung auf die Zarenzeit, als revolutionäre Geister gerne nach Sibirien oder in andere entlegene Gebiete „verklappt“ wurden.
Blogger Nawalny, der am Donnerstag selbst zum wiederholten Mal kurzzeitig festgenommen wurde, kündigte jetzt an, rechtliche Schritte gegen das Militär wegen Entführung und Freiheitsberaubung einzuleiten. Im „Rechtsstaat“ à la Wladimir Putin ist das wohl ein wenig aussichtsreiches Unterfangen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid