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Opernprogramm der Salzburger FestspieleQualvoll durchleben sie die Handlung wieder und wieder

Die Opern der Salzburger Festspiele erzählen von Macht, Krieg und Tod. Der große Wurf gelingt mit Evgeny Titovs Inszenierung von Eötvös’ „Drei Schwestern“.

Titov verlegt Peter Eötvös’ „Drei Schwestern“ in der Felsenreitschule von der russischen Provinz in ein apokalyp­tisches Nirgendwo Foto: Monika Rittershaus

Salzburg brummt. Nach wochenlangem Schnürlregen hat sich endlich Sommerwetter eingestellt, das die barocke Stadt strahlen lässt. Drängelten noch während der Schlechtwetter-Periode verhinderte Outdoor-Touristen durch die Getreidegasse, gehört die Stadt nun wieder dem Klassikbetrieb, der sich hier nahezu vollzählig versammelt. Nirgendwo sonst trifft man so viele Kollegen und Strippenzieher. Im Festspielbezirk, den engen Gassen, den Cafés und Kneipen wird diskutiert, gestritten und getratscht.

Salzburg ist der Kontakthof der Branche, man tankt Schönheit in der genussfrohen Stadt, auch wenn das von Intendant Markus Hinterhäuser verantwortete Programm fast durchweg ernste Töne anschlägt und dem Publikum viel Sperriges zumutet. Das Editorial der Spielzeit raunt von „Extrempunkten des menschlichen Daseins“, es geht um Einsamkeit, Krieg und Tod.

Auch das Opernprogramm widmet sich mit Ausnahme des sinnlich-quirligen Vivaldi-Pasticcios – eine Übernahme der Pfingst-Festspiele – konsequent düsteren Themen. Nach Dmitri Tcherniakovs Bunker-Lagerkoller-Szenerie für Händels „Giulio Cesare“ und Peter Sellars’ Mahler-Schönberg-Doppelabend, rundet das Programm sich mit Ulrich Rasches Inszenierung von Gaetano Donizettis „Maria Stuarda“ und Evgeny ­Titovs Inszenierung von Peter Eötvös’ Tschechow-Adaption „Drei Schwestern“.

Ulrich Rasche ist der Mann mit den Drehscheiben. Seine Schauspiel-Inszenierungen sind strenge Textrituale, bei denen das Personal gegen kreisende Drehbühnen anarbeiten muss. Nun geht er in Salzburg erst zum dritten Mal in seiner Karriere das Musiktheater an.

Jede Scheibe ist eine isolierte Welt

Rasche wartet auf der Cinemascope-Bühne des Großen Festspielhauses diesmal gleich mit drei Scheiben auf, zwei in alle Richtungen bewegliche und fahrbare Drehbühnen sowie eine bedrohliche Scheibe über der Szene, die mal als Licht- und Stimmungsquelle, mal als Projektionsfläche für Videos fungiert. Die beiden Königinnen Elisabetta und Maria Stuarda, die sich im wirklichen Leben nie begegnet sind, sich aber in der Schiller’schen Libretto-Vorlage einen berühmten Showdown-Dialog liefern, agieren jede auf ihrer sich drehenden Scheibe. Zwei Scheiben, zwei isolierte Welten. Beide Königinnen sind umgeben von einem schattenhaften Bewegungschor, der als dunkle Macht stets präsent ist und durch pure Gegenwart Druck und Macht ausübt.

Die nicht nur von drehenden Scheiben bedrängte Regentin bei Ulrich Rasches Inszenierung von „Maria Stuarda“ Foto: Monika Rittershaus

Donizettis nach Flexibilität verlangende Tempi sind für Rasches Grundprinzip der gehenden Bewegung eine Herausforderung, das Personal muss im Donizetti-Rhythmus schreiten, Rasche erzeugt damit eine Art von nervöser Spannung.

Als Elisabetta zögert, Marias Todesurteil zu unterschreiben, bedrängen sie ihre schwarzen Männer, ein Hinweis auf politische Hintergründe und dynastische Machtverhältnisse, die Rasche ansonsten ausblendet. Zumal er den Chor als Handlungsträger ins Off verbannt, was sich als musikalisches Problem entpuppt. Denn Antonello Manacorda am Pult der Wiener Philharmoniker gelingt es über die Distanz oft nicht, das Geschehen zusammenzuhalten.

Dabei beginnt die Ouvertüre verheißungsvoll, denn Manacorda lässt es nicht knattern, sondern setzt auf Feinschliff und Wohlklang. Betörend singt ein Klarinettensolo und lässt das schaurige Ende ahnen, schlank klingen die Streicher, diszipliniert das Blech. Auch die Besetzung versucht nicht, den Belcanto mit falschem veristischem Aplomp aufzuladen: Lisette Oropesa führt ihren lyrisch timbrierten Koloratursopran virtuos, doch ganz ohne Triumphgeste. Auch Kate Lindsey in der Mezzo-Rolle der Elisabetta spart sich keifende Schärfen, gibt aber mehr Druck als Oropesa.

Eine archaische Eifersuchtsgeschichte

Den Grundkonflikt zwischen Maria und Elisabetta deutet Rasche als archaische Eifersuchtsgeschichte. Maria laufen die Männer nach, insbesondere der von Elisabetta begehrte Roberto. Auf der Video-Scheibe sind immer wieder Close-ups von Maria zu sehen, nach der begehrende Männerhände auch missbräuchlich greifen, offenbar Elisabettas zwanghafte Fantasien. Dadurch erotisiert Rasche den Plot und unterwandert das eigene Stil-Prinzip der zermalmenden Kreis-Dynamik, das immer auch inhaltlich zu lesen ist.

Es ist faszinierend, wie Rasche Donizettis Musik in Bewegungsenergie überführt und mit den riesigen Scheiben immer wieder atemberaubende Bilder kreiert. Die beweglichen Scheiben ordnen sich zu immer neuen Konstellationen, produzieren aber leider auch Störgeräusche. Ein interessanter, trotz sängerischer Hochleistungen aber kühl zurücklassender Abend.

Die letzte Opernpremiere dieser Saison ist ein großer Wurf: Evgeny Titov verlegt Peter Eötvös’ „Drei Schwestern“ in der Felsenreitschule von der russischen Provinz mit Salon, Samowar, Garten und Birken in ein apokalyptisches Nirgendwo. Die Bühne (Rufus Didwiszus) zeigt eine Trümmerlandschaft mit einem geborstenen Schienenstrang, der aus einem Tunnel ragt und an einer Betonwand endet. An ihr wird Irina am Ende des Abends ein Tor aufpinseln, als gäbe es doch noch einen Ausweg aus der Apokalypse.

Peter Eötvös’ Klassiker des zeitgenössischen Musiktheaters beginnt fast unhörbar: Ein durch Verstärkung verfremdeter Akkordeonklang tastet sich in den riesigen Raum, die Stimmen der drei Schwestern erheben sich im Prolog fast geisterhaft und singen von ihrem Unglück, das womöglich ein Glück für die kommenden Generationen vorbereitet. Bei Anton Tschechow steht diese Leidens-Formel am Schluss, Peter Eötvös aber stellt sie an den Beginn seiner Oper, wie er überhaupt Tschechows Vorlage radikal dekonstruiert hat, denn er bricht die Chronologie auf in drei Sequenzen, in denen die Figuren den immer gleichen Handlungsausschnitt aus verschiedenen Perspektiven durch­leben.

Die grotesken Momente des ausweglosen Unglücks

Ein Kunstgriff von Eötvös’ Werk von 1998 wirkt visionär: Die Partien der Schwestern Mascha, Olga und Irina sowie die der Natascha komponierte Eötvös nämlich für hohe Männerstimmen, also Countertenöre und Sopranisten, was eine verfremdende Distanz und erhellende Künstlichkeit herstellt. Die Stimmen der drei Schwestern haben im Orchestergraben jeweils ein instrumentales Alter Ego, das als seelischer Spiegel fungiert, Irina etwa korrespondiert mit der Oboe und dem Englischhorn.

Titovs Personenregie überzeichnet die grotesken Momente, unfreiwillige Komik und Tragik des ausweglosen Unglücks liegen nah beieinander, die Personenführung ist gekonnt und präzise. Exemplarisch ist die musikalische Umsetzung von Eötvös’ hochkomplexer Partitur: Im Graben sitzt das famose 18-köpfige Solisten­ensemble Klangforum Wien unter der souveränen Leitung von Maxime Pascal, erhöht hinter der Szene das 50-köpfige Klangforum Wien Orchestra unter der Stabführung von Alphonse Cemin.

Phänomenal ist das Gesangsensemble besetzt, allen voran die grandiosen drei Schwestern, gesungen vom betörenden Sopran des Dennis Orellana als Irina, dem dunkel timbrierten Mezzo von Cameron Shahbazi als Mascha und dem sonoren Counter von Aryeh Nussbaum Cohen als Olga sowie dem keifend überzeichnenden Counter Kangmin Justin Kim als Natascha im Witwe-Bolte-Outfit. Der Rest des riesigen Casts agiert auf gleich hohem sängerischen und darstellerischen Niveau. Eine Sternstunde des zeitgenössischen Musiktheaters, frenetisch gefeiert.

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