Opel-Produktion in Bochum: „Wir werden denen auch wehtun“
Der Autobauer will die Fahrzeugproduktion in Bochum 2016 einstellen. Die Reaktionen reichen von Wut bis Resignation. Die Gewerkschafter wollen kämpfen.
BOCHUM taz | Wut, Frust, Angst, Enttäuschung: Das steht in den Gesichtern der Opel-Beschäftigten, die am Montagmorgen gegen 10 Uhr nach ihrer Betriebsversammlung aus dem Haupteingang des Bochumer Veranstaltungszentrums RuhrCongress strömen. „Der Laden ist zu, fertig“, sagt der 52 Jahre alte Joachim Liskamm, der bei Opel im Presswerk arbeitet.
„Nach meiner Lehre ist Schicht“, meint Marcel Dombrowski, der gerade eine Ausbildung zum Mechatroniker macht. Der kommissarische Opel-Vorstandsvorsitzende Thomas Sedran habe gerade versucht, „die Belegschaft zu verarschen“, klagt der 21-Jährige: „Der hat uns gesagt, dass wir keine Zukunft haben, und ist dann einfach abgehauen.“
Am offenen Mikrofon vor der Halle steht Paul Fröhlich, Vertrauensmann der stolzen Industriegewerkschaft Metall. Im Werk montiert er an normalen Tagen Stoßfänger. Auch Fröhlich ist wütend, auch er macht seinem Frust Luft: Eine „dreifache Kriegserklärung“, nichts weiter sei der Bochumer Auftritt des obersten Opel-Chefs gewesen, ruft er und zählt auf: das Aus der Fahrzeugproduktion 2016, die allein in Bochum mindestens 4.100 Arbeitsplätze direkt bedroht.
Das Ende der Getriebefertigung spätestens im Jahr 2014 – hier werden mehr als 300 Arbeitsplätze vernichtet. Und dann noch ein „Angriff auf den Leiter der Vertrauensleute“. Deren Chef Dirk Grützner habe Sedran daran hindern wollen, „zu türmen wie ein Hase“ – und sei daraufhin von Security-Männern „zu Boden geworfen und gewürgt“ worden, berichtet Fröhlich.
Die meisten Opel-ArbeiterInnen aber winken einfach ab. Reden wollen viele nicht – zu tief sitzt die Angst vor der Arbeitslosigkeit und dem Absturz in Hartz IV. Wenn Opel dichtmacht, bedeutet das für die allermeisten die ganz persönliche Katastrophe: Ähnlich gut bezahlte Ersatzarbeitsplätze gibt es im seit Jahrzehnten krisengeschüttelten Ruhrgebiet nicht.
Keine wilden Streiks
Im „Raum Paris“ im angrenzenden Renaissance-Hotel sitzt der geschäftsführende Ausschuss des Bochumer Opel-Betriebsrats. Betriebsratsvorsitzender Rainer Einenkel versucht, Optimismus zu verbreiten: „Wir werden auch nach 2016 gute Autos bauen“ – dieses Mantra wiederholt der Betriebsratschef schon vor Beginn der Pressekonferenz immer wieder.
Noch sei Thomas Sedran nur kommissarischer Vorstandschef von Opel, sagt Einenkel. Und vielleicht sei er es 2016 schon nicht mehr: „Ich habe in den vergangenen zwei Jahren mehr Vorstandsvorsitzende kommen und gehen sehen als in den 38 Jahren zuvor“, kommentiert der Boss der Arbeitnehmervertretung das Personalchaos im Management seines Arbeitgebers sarkastisch.
Vor allem aber versucht Einenkel, die Wut der Opelaner zu bremsen. Von wilden Streiks, von spontanen Produktionsblockaden will der Betriebsrat zumindest offiziell nichts wissen. Nur zusammen mit der IG Metall, im Verbund mit den Belegschaften der anderen Opel-Standorte, könnten die Bochumer erfolgreich ihre Arbeitsplätze retten, betont Einenkel: „Wer als Standort allein kämpft, hat schon verloren.“ Immer wieder macht er deshalb klar, „anderen Werken keine Produktion wegnehmen“ zu wollen – und verweist auf den kleinen Geländewagen Mokka, der sich trotz Absatzkrise vor allem in Südeuropa so gut verkauft, dass Käufer ein halbes Jahr auf den Wagen warten müssen. Noch wird der Mini-SUV ausschließlich in Südkorea gebaut. Sollten aber zusätzliche Kapazitäten geschaffen werden, könne das doch in Bochum geschehen, fordert Einenkel.
Denn auf das Bekenntnis des Vorstandschefs Thomas Sedran, mögliche Ersatzarbeitsplätze in einem „Komponentenwerk“ für Getriebe oder Motoren zu erhalten, gibt keiner der versammelten Arbeitnehmervertreter etwas. Niemand glaubt dem Opel-Chef, dass er die Getriebefertigung spätestens 2014 schließt, um sie dann 2016 wiederaufzubauen.
Eine Beruhigungspille für die Beschäftigten sei das, damit die noch vier Jahre brav gute Qualität ablieferten, glauben sie. „Unverantwortlich“ sei Sedrans Strategie, möglichst viele Mitarbeiter bis 2016 mit Abfindungen loszuwerden, um die Verbliebenen dann zu kündigen. Nicht nur die Arbeitnehmervertreter ahnen deshalb, dass Verhandlungen nicht weiterführen werden. Sie setzen auf die Solidarität des Ruhrgebiets, von ganz NRW – und bereiten sich auf harte Kämpfe mit dem Opel-Vorstand vor: „Wenn die uns wehtun“, sagt Betriebsrat Peter Gabriel, „werden wir denen auch wehtun.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt