piwik no script img

Onlinehandel mit LebensmittelnBio-Pionier zieht es zu Amazon

Der Lebensmittelhändler Tegut baut seine Kooperation mit dem Online-Konzern Amazon aus. Die Branche sieht das mit gemischten Gefühlen.

Tegut führt etwa 270 Lebensmittelmärkte in Deutschland Foto: Boris Roessler/dpa

Berlin taz | Lebensmittel liefert tegut seit dieser Woche verstärkt über den Lieferservice Amazon Prime Now aus. Damit weiten die Kette aus dem hessischen Fulda und der Online-Riese ihre seit März 2017 bestehende Kooperation aus. Verfügbar ist der Service zunächst für Kund*innen im Großraum Darmstadt und Frankfurt/Süd. „Neu ist, dass wir mit dem Amazon Prime Now Programm erstmals direkt Verkäufer sind, die Preise, Bestände und Angebote selbst festlegen und somit auch dem Kunden die Rechnung stellen“, schreibt tegut-Sprecherin Johanna Ammermann der taz. Bei Prime Now bekommen Mitglieder ihre Bestellungen am gleichen Tag.

Tegut führt etwa 270 Lebensmittelmärkte in Hessen, Thüringen und Bayern sowie Göttingen, Mainz, Stuttgart und Ludwigsburg und bietet in seinen Filialen sowohl biologische als auch konventionelle Lebensmittel an. Der Händler gilt aber als Bio-Pionier, weil die Bioprodukte bereits seit 1982 Teil des Sortiments sind. Nach eigenen Angaben erwirtschaftet tegut heute 28 Prozent des Umsatzes mit Bio.

Online-Vermarktung von Lebensmitteln mit Prime Now

„Wir freuen uns, unsere Produkte mit Prime Now nun direkt und schnell zu Ihnen nach Hause liefern zu können“, wirbt Thomas Gutberlet, Geschäftsführer von tegut. Die Corona-Krise habe gezeigt, „wie wichtig es ist, auch von zu Hause aus einkaufen zu können“. Kund*innen können montags bis samstags aus einem Sortiment von momentan 6.000 tegut-Produkten wählen – darunter 1.000 Bio-Produkte.

Während tegut optimistisch ist, haben etwa die Bio-Supermarktkette Basic, die Drogeriekette Rossmann oder der Allgäuer Supermarktbetreiber Feneberg jeweils nach recht kurzer Zeit die Kooperation mit Prime Now wieder beendet.

Gerald Wehde, Pressesprecher von Bioland e.V. sieht die verstärkte Kooperation pragmatisch: Trotz Corona stecke die Online-Vermarktung von Lebensmitteln „in den Kinderschuhen“. Bei den Bioland-Direktvermarktern arbeiteten die Lieferdienste seit Monaten an den Kapazitätsgrenzen. Verbraucher suchten aber auch wieder verstärkt den direkten Bezug zum Landwirt. „Nach meiner Auffassung werden sich alle Absatzschienen im Biobereich zukünftig positiv entwickeln.“

Kritisch positioniert sich Imke Sturm, Sprecherin der Bio-Supermarktkette Bio Company: „Die Bio Company wird nicht über Amazon vertreiben. Das passt weder zu unserer ethischen Wirtschaftshaltung noch zu unserer Regionalität.“

Bei Katharina Reuter, Geschäftsführerin des Branchenverbandes UnternehmensGrün schlagen „zwei Herzen“ in der Brust. Einerseits sei es gut, „wenn Bio-Lebensmittel mehr Absatzfläche bekommen. Alles, was Bio voranbringt, passt zu Bio“, sagt Reuter. Andererseits kritisiert sie Amazon: „Da geht es darum, ob und wo Amazon Steuern zahlt, es geht um die krasse Marktmacht und dass kleinere Player aus dem Markt gedrängt werden.“ Hier sehe UnternehmensGrün „akuten Handlungsbedarf“ in Sachen Kartell- und Wettbewerbsrecht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • bisschen heuchlerisch, bio company, seit jahren spreche ich die menschen an der kasse an, ob denn nun nicht mal langsam das thermopapier abgeschafft wird. was? keiner hat davon eine ahnung. ich rede von endokrinen disrupturen, bisphenol a, hat kein mensch je was von gehoert. aber dann mit moralischen standards kommen - da sitzt doch auch nur jemand in der chefetage und zaehlt das geld.

  • Oh ja, in Zeiten von Klima- und Umweltkrise gibt es für den beleibten Wohlstandsbürger nichts Besseres, wie sich zu Hause den Arsch breit zu sitzen und sich die Lebensmittel bis vor die Haustür bringen zu lassen.

  • Die Krake Amazon gehört zerschlagen.

  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    Kollateralschaden - der Nächste ...

    Wobei ich mir nicht einmal sicher bin, ob diese Entwicklung vielleicht auch ohne den Anschub durch die nach wie vor shoppingfeindlichen Coronaprozeduren irgendwann Fahrt aufgenommen hätte.

    Zugegeben, so haben wir allein im ersten Halbjahr 2020 wohl mehr Geld beim Online-Shopping ausgegeben, als all' die Jahre zuvor. Und Amazon war als Lieferant von "Hardware" jedweder Art immer vorn mit dabei. Lebensmittel dagegen, das sei ebenso zugegeben, haben wir bislang fast ausschließlich im stationären Handel erstanden.

    Natürlich, der Blick über den Zaun wurde schon gewagt, vor Jahren sogar eine zeitlang mit Tiefkühlkost von Bofrost. Im Familienumfeld wird genau das auch heute so gehandhabt, muß einem der deutlich höhere Preis gegenüber den Lidls, Nettos etc. das mehr an Bequemlichkeit natürlich wert sein.

    Amazon bietet auch bislang schon Lebensmittel an, eher teuer und via einem sehr beschränkten Sortiment. Zudem ist für den Bezug in der Regel eine sog. Prime-Mitgliedschaft notwendig; die natürlich ebenfalls extra kostet, dafür die Lieferung sehr zeitnah und grundsätzlich ohne Versandgebühr daher kommen soll.

    Und nun hat Amazon diesen Deal mit tegut geschlossen, letzterer ein weitgehend auf höherpreisige Bioprodukte hin orientierter stationärer Händler mit verschiedenen Filialen im eher wohlhabenden Südhessen.

    Kurze Recherche; und unsere Postleitzahl ist auch dabei ...

    Das hier Thematisierte scheint mir wesentlich substantieller zu sein, als jeder sog. Pizzaservice oder das bekannte Essen auf Rädern. So kann es in bestimmten Konstellationen (Gegend, Bevölkerungsdichte, Kaufkraft) ein Stück weit auch REWE, Aldi und Lidl et al. tangieren. Da die Menschen älter werden, der ÖPNV auch viel zu gefährlich ist (wohl aus gutem Grund müssen dort alle Masken tragen ...), so bleibt ohne eigenes Schadstoffmobil irgendwann wohl nur noch die Alternative einer Lieferung; auch der Grundnahrungsmittel.