Ohne Krach und Tinnitus: Drohnenshow gegen böse Geister

Befürworter:innen des Umweltschutzes böllern an Silvester, was das Zeug hält. Dabei ist eine Drohnenshow wie in Schanghai Frieden für alle Sinne.

Hafenansicht von Singapur - darüber bilden das Zifferblatt einer Uhr

Auch in Singapur gab es fliegende Drohnen statt Böllerei Foto: Edgar Su/reuters

Das neue Jahr ist gerade mal eine gute Woche alt und ich habe schon Beschwerden: Ich denke, es ist ein geistiger Tinnitus. Ich weiß nicht, ob er schon vorher da war oder ob er mir einfach in die Seele geböllert wurde, in der Silvesternacht auf dem Nussberg, der eigentlich kein Berg ist, sondern eine niedersächsische Anhöhe. Egal, jedenfalls fiept es mir unaufhörlich durch mein Innerstes, ein bisschen wie dieser Ton, wenn der Herzschlag eines Menschen versiegt ist und der Monitor statt der Sinuskurve nur noch eine durchgehende Linie zeigt.

So viel Müll, den man hätte gut im letzten Jahr lassen können: Debatten mit und über Nazis (jetzt teils antirassistisch), Kriegsgebaren (jetzt teils nuklear), Umweltsäue (jetzt teils im Rentenalter). Pieeeeeeeep. Schuld kann nur dieses grausame Feuerwerk gewesen sein, ein Fest für die Augen und das Gefühl, aber Folter für alle anderen Sinne. Ist es das wert?

Ich habe lange versucht, nichts gegen Böller zu haben, weil eine echte Chinesin natürlich nichts gegen Böller hat. Außerdem mag ich die Idee, dass das große Knallen böse Geister vertreibt, ich glaube sogar daran. Geister sind schließlich nichts weiter als griesgrämige Menschen in verändertem Aggregatzustand und die lassen sich gut verscheuchen mit etwas Krawumm.

In der Silvesternacht auf dem niedersächsischen Pseudoberg habe ich mich gefragt, wie viele der Anwesenden sonst Umweltschutzbefürworter:innen sind. Da ich nur mich selbst gefragt habe – es war zu laut und zu gefährlich, um sich anderen verbal oder körperlich zu nähern –, habe ich keine belastbaren Ergebnisse. Aber ich glaube daran, dass die meisten Feuerwerkfans normalerweise relativ ordentlich ihren Müll trennen.

Ich glaube, dass sie sich letztens beim Zahnarzt freudig darüber ausgetauscht haben, dass Lidl endlich Biosalatgurken ohne Plastikverpackung verkauft. Aber die Silvesternacht ist der ultimative Cheatday. Was an Silvester passiert, verschwindet mit einem großen Schlurps in der merkwürdigen Zeit „zwischen den Jahren“, die sich immer wieder aufs Neue auftut, nur um eine Weile später nie dagewesen zu sein. Schluuuurps. Piep. Bloß mein seelischer Tinnitus bleibt.

Der Cheatday ohne Konsequenzen ist eine Illusion, die mein Selbstverständnis und ich uns nicht mehr leisten können. Wer an die Geister glauben will, muss auch mit dem Tinnitus leben. Außer man macht es wie die Stadtregierung von Schanghai. Die hat das Oldschool-Feuerwerk verboten und durch eine Drohnenshow ersetzt. Ein Fest für die Augen, leichte Ernüchterung fürs Gefühl, aber Frieden für alle anderen Sinne. Dass das Spektakel bereits Tage vor dem Jahreswechsel (der nach dem Mondkalender ohnehin erst Ende Januar stattfindet) aufgezeichnet wurde, passte westlichen Medien gut in die Fake-News-aus-China-Sparte. Good for you. Dabei war die wesentlichere Nachricht, dass böse Geister in Zukunft von Drohnen vertrieben werden. Ganz ohne Krach, nur leider vermutlich nie ohne Konsequenzen.

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Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Ihr neuer Roman "Das Verschwinden der Welt" erscheint am 29. August bei Piper.

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