piwik no script img

Offensive gegen Russland BesatzungUkraine wittert größere Gewinne

Nach acht Wochen Offensive gegen die russischen Besatzer sehen sich die ukrainischen Truppen im Aufwind. Stehen stärkere Frontdurchbrüche bevor?

Besuch an der Front: Präsident Selenski am Samstag in der Region Donezk Foto: Ukrainian Presidential Office/Zuma Press/imago

BERLIN taz | „Langsam, aber sicher“ – mit dieser Sprachregelung beschrieb die ukrainische Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar am Wochenende das Vorrücken der ukrainischen Armee gegen die russischen Besatzer. Acht Wochen nach Beginn der großen Gegenoffensive fallen die messbaren Geländegewinne zwar bescheiden aus. Allerdings mehren sich die Anzeichen, dass die Ukraine ihre Operationen jetzt einen Gang hochgeschaltet hat.

Wichtigster Erfolg der letzten Tage: die Einnahme des Dorfes Staromajorske an der südlichen Front im Grenzgebiet der Gebiete Donezk und Saporischschja. Staromajorske neun Kilometer südlich der Kleinstadt Welika Nowosilka, wo bis Juni die Front verlief, wurde nach ukrainischen Angaben am Donnerstag nach langen schweren Kämpfen befreit. Es kursieren Videos jubelnder ukrainischer Soldaten in der zerschossenen Siedlung.

Bis nach Mariupol, ein symbolisch wichtiges Ziel im Süden, sind es jetzt „nur“ noch 86 Kilometer. Die stärksten russischen Verteidigungslinien auf dem Weg dorthin, analysieren ukrainische Medien, befinden sich ganze vier Kilometer südlich von Staromajorske, um die Siedlung Staromlyniwka. Ein Durchbruch hier würde das Tor in Richtung Mariupol öffnen, meint etwa der rumänische Analyst Radu Hossu.

Weitere bedeutende Erfolge melden die ukrainischen Truppen rund um Bachmut im Osten des Landes, wo die russischen Truppen zahlreiche der in den vergangenen Monaten eingenommenen Stellungen wieder aufgeben mussten. In dieser Region sind seit dem 20. Juli ukrainische Einsätze US-amerikanischer Streumunition dokumentiert. Die von Kritikern befürchteten Langzeiteffekte solcher Munition fallen um Bachmut nicht ins Gewicht, da das gesamte Gebiet mit Blindgängern, Landminen und kaputtem Militärgerät verseucht ist und komplett tiefengesäubert werden müsste, bevor dort je wieder Zivilisten leben können.

Verminte Gebiete mit beispiellosem Ausmaß

Mehrere US-Medien berichteten Ende vergangener Woche, die Ukraine setze nun einige bislang in Reserve gehaltene Brigaden mit westlicher Ausbildung und Ausstattung ein. Dies wird von französischen Analysten bezweifelt, da keine große Zunahme ukrainischen Artilleriefeuers zu verzeichnen sei, wie er einer größeren Bodenoffensive normalerweise vorangehen müsste. Es wird jedoch bestätigt, dass in den vergangenen zwei Monaten die russischen Linien so geschwächt wurden, dass jetzt größere Durchbrüche möglich wären. Dafür werden jetzt Truppen zusammengezogen.

Derweil versucht Russland, die Ukraine durch eigene Gegenangriffe weiter nördlich abzulenken. In den Wäldern um Kreminna im Gebiet Luhansk versuchen die russischen Truppen, Landstriche zurückzuerobern, die sie im vergangenen September verloren hatten. Berichte über anfängliche russische Erfolge sind mittlerweile aber stark relativiert worden.

Erschwerend für die Ukraine ist die Verminung der besetzten Gebiete durch das russische Militär, die laut Experten ein beispielloses Ausmaß hat. Der australische Militäranalyst Mick Ryan erinnert daran, wie Iraks Armee im Golfkrieg von 1991 Minenfelder von bis zu fünf Kilometern Tiefe gelegt hatte, um die US-Truppen aufzuhalten – vergeblich, wie sich zeigte. Irak habe damals mehrere Zehntausend Minen pro Minenfeld gelegt. „Bei Russland sprechen wir von mehreren Hunderttausend. Mindestens.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen