: Offen antisemitisch im EU-Parlament
Vor einem Jahr versprach die AfD, in Brüssel keine gemeinsame Sache mit Antisemiten zu machen. Nun zeigt sich: So genau nimmt es die extrem rechte Partei nicht

Von Gareth Joswig
AfD-Parteichefin Alice Weidel hat vor gut einem Jahr eine Bedingung für die Gründung einer gemeinsamen ESN-Fraktion zusammen mit offen extrem rechten Kleinparteien im Europäischen Parlament gestellt und die lautete: „Keine Antisemiten“. Im AfD-Kontext heißt das: Antisemitismus in verschwörungsideologischen Erzählungen über „Globalisten“, „Kulturmarxisten“ oder den Philanthropen George Soros ist selbstverständlich erlaubt. Offen vorgetragene Judenfeindlichkeit oder NS-Verehrung hingegen ist nicht so gerne gesehen.
Die einzelnen Mitglieder der ESN-Fraktion (Europa der Souveränen Nationen) scheren sich aber offenbar wenig drum: Zuletzt stellte der Abgeordnete Marcin Sypniewski der rechtsextremen polnischen Partei Konfederacja den für Antisemitismus berüchtigten Verleger und Parteifunktionär Tomasz Grzegorz Stala als Assistenten ein. Der verlegt in seinem rechtsextremen Verlag 3DOM gleich eine Reihe antisemitischer Bücher zu Ritualmorden und einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung und sogar Holocaustleugnung in Buchform – unter anderem von dem verstorbenen und gerichtlich verurteilten Holocaustleugner Dariusz Ratajczak.
Der nun für den ESN-Abgeordneten arbeitende Verleger hat mit seinem Verlag sogar die „Turner Tagebücher“ veröffentlicht – eine Blaupause für den Rassenkrieg gegen Schwarze und Juden, die nicht nur beim NSU eine Rolle gespielt hat und sogar Bombenbauanleitungen enthält. Ebenso hat Stalas Verlag Hitlers „Tischgespräche“ veröffentlicht. Zwischenzeitlich war der Mitarbeiter selbst aufgrund der Neuauflage der Ratajczak-Bücher wegen Holocaust-Leugnung angeklagt, die Staatsanwaltschaft sprach ihn zwar frei, weil er selbst nicht Verfasser der Bücher ist. Sie warf ihm laut polnischen Medienberichten aber trotzdem weiter Antisemitismus vor und legte zudem Berufung ein. Ebenso wird noch wegen Anstiftung zu Hass und rassistischen Äußerungen gegen ihn ermittelt.
In den von Stala verlegten Schriften wird der deutsche Massenmord an Juden und Jüdinnen in den KZs Auschwitz-Birkenau und Majdanek bestritten. Sein Verlag hatte die Bücher unter anderem am Holocaust-Gedenktag mit folgenden Worten beworben: „Heute feiern wir den Internationalen Tag des Gedenkens an den Holocaust. Zu diesem Anlass empfehlen wir Ihnen entsprechende Lektüre!“ Polnischen Medien erklärten Vertreter der Konfederacja zu seiner Einstellung, dass man nur an Stalas Kompetenzen, nicht an dessen politischen Überzeugungen interessiert sei.
Auf taz-Anfrage leitet der Co-Fraktionsvorsitzende und Delegationsleiter der AfD, René Aust, eine Erklärung des Konfederacja-Abgeordneten Sypniewski weiter: Stala sei sein lokaler Assistent und habe als Buchverleger 250 teils „kontroverse“ Titel veröffentlicht, alle seien aber „mit einer kritischen Einleitung versehen“. Seine verlegerische Tätigkeit sei nicht „antisemitisch“, er sei in dem Verfahren wegen Holocaustleugnung freigesprochen worden. Auch „Turner Tagebücher“ seien frei im Handel erhältlich, etwa bei Amazon – was allerdings zumindest für Deutschland nicht stimmt. Am Ende seines Statements heißt es dann noch, Stala sei seit dem 1. Juni nicht mehr Geschäftsführer des 3DOM-Verlags aufgrund „begrenzter Kapazitäten“, beim Registergericht laufe derzeit die Umschreibung.
Antisemitische Bücher und Filme sind bis heute bei seinem Verlag bestellbar – inklusive die des EU-Abgeordneten Grzegorz Braun (ebenfalls Konfederacja), der erst gar nicht in die ESN-Fraktion aufgenommen worden ist. Braun hatte 2023 eine Lesung über den Holocaust gestürmt, dabei Einrichtungsgegenstände zerstört und herabwürdigende Kommentare über Juden geäußert. Später im Jahr hat er im polnischen Parlament einen Chanukkahleuchter mit einem Feuerlöscher „gelöscht“ und sagte: „Leute, die bei diesem satanischen Kult teilnehmen, sollten sich schämen.“ Er wurde daraufhin von der Parlamentssitzung ausgeschlossen – auch Brauns Werke sind bis heute bei Stalas Verlag bestellbar.
Trotz all dem sieh René Aust keine Verantwortung bei sich oder der AfD: „Die Einstellung einzelner persönlicher Mitarbeiter obliegt allein den jeweiligen Abgeordneten. Die AfD ist weder in diese Prozesse involviert noch kann sie die Einstellung dieser Mitarbeiter verhindern.“ Echte Distanzierung? Fehlanzeige! Allerdings sagt Aust: „Mit den von Ihnen beschriebenen Positionen macht sich die AfD nicht gemein.“
Der Sprecher von Alice Weidel äußert sich auf taz-Anfrage wortgleich. Auf die Rückfrage, ob der Grundsatz „Keine Antisemiten“ denn trotzdem noch gelte, antwortete der Sprecher: „Grundsätzlich schon.“ Aber das gilt dann wohl eher im juristischen Wortsinne von grundsätzlich: Ausnahmen sind möglich. Denn Konsequenzen zieht die Personalie zumindest zunächst keine nach sich.
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