Österreichs Grünen-Gründer Peter Pilz: Einer, der von den Rechten lernte

Vor der Nationalratswahl finden Österreichs Grüne wenig Antworten. Ihr Gründer setzt auf Linkspopulismus. Seine Partei hat er dafür verlassen.

Ein Mann guckt ernst

Tritt jetzt mit einer eigenen Liste zur Parlamentswahl an: Peter Pilz Foto: imago/Eibner Europa

WIEN taz | Die Grünen in Österreich haben dasselbe Problem wie überall: Wenn sie so weitermachen, wie sie weitermachen, dann haben sie keine Zukunft. Und auch weil generell eine mehrheitsfähige Antwort auf den Erfolg der Rechtspopulisten mit Protestwählern fehlt, sucht der österreichische Grünen-Gründer Peter Pilz eine neue Antwort jenseits der Partei: Linkspopulismus.

Und so tritt Pilz bei der Nationalratswahl, der österreichischen Bundestagswahl, an diesem Sonntag mit der „Liste Peter Pilz“ an und hat Chancen, die Vierprozenthürde zu schaffen. Gleiches gilt für die Grünen, die bekamen allerdings bei der letzten Wahl noch 12,4 Prozent.

Es ist ein bisschen so, als würde Jürgen Trittin sich auch offiziell selbständig machen. Aber das kann selbstverständlich nur eine Näherung sein, denn Pilz ist eine singuläre Figur. Gelernter Trotzkist, Typ „lonesome cowboy“, wie ein Grüner sagt. 30 Jahre lang war er in der Opposition als harter Aufklärer von Skandalen das gute Gewissen der Linksliberalen, wovon die Marke der Grünen sehr profitierte. Ein einnehmendes Wesen hat ihm noch keiner unterstellt.

Jetzt will er Nichtwähler, Wähler der rechtspopulistischen FPÖ und der nach rechts geschwenkten ÖVP zurückgewinnen. Aber da schreien die Ersten schon auf. Erstens sei da Behdabühs, wie sich der Name auf Österreichisch spricht, ein Egomane. Zweitens sei er nur dann „links“, wenn der Nationalismus von Populisten wie Lafontaine oder Melenchon auch links sei, also man der Verschiebung des politischen Raums nach rechts hinterherrenne.

Nachdem Flüchtlingspolitik 2015 für viele zum zentralen Thema wurde, hatte Pilz den Grünen gesagt, man müsse Antworten auf die Fragen der Leute haben. Und deshalb müsse man die Fragen erst mal stellen. Ein internes Papier überschrieb er mit: Österreich zuerst. „Dann habe ich zwei Jahre von den Grünen auf jede Frage Empörung geerntet, sodass ich mir irgendwann dachte, ich rede mit einer Empö­rungswand“, sagt er. Das Wort „Empörungswand“ gefällt ihm; er muss grinsen.

Schreibtisch, drei Stühle, Liege

Peter Pilz, 63, sitzt in einem spartanisch eingerichteten Wahlkampfbüro im 4. Bezirk von Wien, zwei Kilometer Luftlinie vom Stephansdom entfernt. Schreibtisch, drei Stühle, Liege. Im Regal stehen fünf Exemplare seines neuen Buchs „Heimat Österreich“. Er ist grauhaarig, drahtig, gut erhalten, mit kleinem grünen Wohlstandsbäuchlein. Lebt im Stadtbezirk Kaisermühlen in einer von der Großmutter geerbten Sozialwohnung, 66 Quadratmeter Grundfläche, eine klassische SPÖ-Errungenschaft. Stammt aus dem Städtchen Kapfenberg in der Steiermark, das gilt wegen der dortigen Stahlindustrie als Synonym für das Arbeitermilieu.

Beim Bundeskongress im Frühjahr wollte er auf Listenplatz 4 gewählt werden. Es ging nicht allein um den Platz, es ging darum, ob man ihn und seine Positionen klar unterstützte.

„Entscheidet’s euch“, sagte er.

Die Grünen ließen ihn durchfallen. Er ging.

Die Trennung bringt die Grünen in existenzielle Bedrängnis. Ihre Misere vertieft die fundamentale Krise der ökologischen Politik in Europa. Oder populärer gesagt: Die Erderhitzung und ihre globalen Folgen interessiert bei Wahlen derzeit keine Sau.

„Klimawandel macht Herbst immer länger und goldener“, meldet die Krone,und tatsächlich schaut in Wien an diesem Tag die Sonne ab und an raus.

Es ist auch sonst nicht alles schlecht. Österreich ist schön, vergleichsweise sehr wohlhabend, die Demokratie funktioniert so, dass man vielerorts froh sein könnte, wenn’s auch so wäre, aller Schlammschlachten im Wahlkampf zum Trotz. In der Nationalhymne hat man längst die Zeile „Heimat bist Du großer Söhne“ zu „Töchter und Söhne“ ergänzt. Ein klarer symbolpolitischer Fortschritt, es klingt aber nicht mehr so poetisch.

Umfragen Vorne liegt die ÖVP mit rund 33 Prozent. SPÖ und FPÖ kommen jeweils auf rund ein Viertel der Stimmen und liefern sich seit Wochen einen Kampf um Platz 2 bei der Nationalratswahl am Sonntag.

Regierung Es gilt als wahrscheinlich, dass Sebastian Kurz neuer Bundeskanzler wird, als Chef einer Koalition zwischen ÖVP und FPÖ. Auch eine Große Koalition (im Frühjahr zerbrochen) wäre theoretisch wohl möglich.

Und Wien ist von einer grauen Weltperipherie mit Geschichts-Disneyland zu einem Knoten Europas geworden, gegenwärtiger, mitteleuropäischer. Das ganze Land ist dabei immer noch verhältnismäßig slow, sicher und für die meisten bezahlbar – trotz der globalen Beschleunigung, der Arbeitsplatz- und Wohlstandsverlagerung in bisher nicht privilegierte Länder und des damit verbundenen Paradigmenwechsels, dass die „Arbeiterpartei“ nicht mehr die SPÖ, sondern die rechtspopulistische FPÖ ist. FPÖ-Wähler sind eher keine Modernisierungsverlierer. Es sind Leute, die Angst haben, welche zu werden.

Österreich hat bereits eine sogenannte Obergrenze für Flüchtlinge, bedarfsweise veränderbar. 35.000 Asylanträge dürfen zugelassen werden. Die Zahl wurde 2016 nicht erreicht und wird auch 2017 nicht erreicht werden. Dennoch ist das Thema im Wahlkampf allgegenwärtig.

Zentral sei nicht die Realität, sondern die gefühlte Realität des Kontrollverlusts über das eigene Leben durch globale Migration und globalen Freihandel, heißt es immer wieder. Auf dem einzigen Plakat der Liste Pilz steht „100 Prozent Kontrolle“. Das spielt auf Pilz’ langjährige Rolle als Kontrolleur der Demokratie im österreichischen Parlament an, aber eben auch auf dieses Grundbedürfnis.

Pilz’ Sicht der Dinge und seine Folgerungen daraus stehen in einem internen 99-Punkte-Programm, das er vor dem letzten Parteitag in der Partei zirkulieren ließ. Nach drei Aufbauphasen – Einzug ins Parlament, Verdopplung auf 8 Prozent als „Reformpartei“, Sprung auf 12,4 Prozent durch wachsende Regierungsbeteiligungen in Bundesländern – geht es rückwärts. Und zwar seit dem größten grünen Triumph, der Wahl des dereinst von Peter Pilz zu den Grünen geholten Alexander Van der Bellen zum Bundespräsidenten.

Es fügte sich vieles glücklich, aber im Ergebnis war der Grüne im historischen Moment die Alternative für die offene, emanzipierte, europäische Gesellschaft gegen den illiberalen Natio­nalismus. Doch dann ließ man das Momentum verstreichen, weil die Grünen – wie in Deutschland auch – nicht in der Lage sind, den Erfolg eines bis aufs flache Land Vertrauen genießenden Realos produktiv für sich zu nutzen. Pilz’ Linkspopulismus hat für sie „FPÖ-Diktion“ und geht auch nicht. Was Drittes fiel ihnen nicht ein. Aber dann kriegten sie nach Pilz noch nicht mal mehr ihre Parteijugend eingefangen. Die langjährige Parteichefin Eva Glawischnig hatte die Schnauze voll, meldete sich krank und ging.

Als Ergebnis steht eine Partei, die in Zeiten der Erderhitzung als zentrale Veränderung die Modernisierung der Einkaufsmeile Mariahilfer Straße an der Kante des 7. Wiener Bezirks Neubau aufzuweisen hat. Das ist der Bezirk der Gutverdiener, in dem die Grünen Mehrheitspartei sind. Einbahnstraße, Bürgersteige breit wie Autobahnen, vegetarische Würschtelstände ohne Würschtel.

Wahlplakate auf einer Wiese

Nach Lagerkriterien ideal, als Spitzenkandidatin schwach: Ulrike Lunacek Foto: reuters

Auf Bundesebene erscheinen die Grünen unfähig, sich auf die widersprüchlichen gesellschaftlichen Realitäten einzulassen, was sich in der Wahl der Spitzenkandidatin manifestiert. Ulrike Lunacek, 61, ist Vizepräsidentin des EU-Parlaments, eher links, voll feministisch, nach Lagerkriterien ideal. Sie ist von allen Spitzenkandidaten die schwächste. Der alte Slogan „Wir haben keinen Planeten B“ ist noch einer ihrer griffigsten Sätze. Ihr Plakatspruch „Sei ein Mann, wähl eine Frau“ atmet den Provokationsgeist der 80er. Europa, soziales Miteinander und Gleichberechtigung als zentrale Zukunftsprojekte sind grundsätzlich selbstredend wichtig, aber man darf sie eben nicht nur ins eigene Restelager hineinsprechen.

Peter Pilz sagt, die Grünen hätten „ein hohes Maß an Anständigkeit“, wir könnten froh sein, dass es dieses Milieu gäbe. Es sei halt nur intensiv mit sich selbst beschäftigt und nicht an der Mehrheit der Menschen interessiert.

Er hat das prägnante Bild von den Grünen als „Penthousepartei“: Oben verkünden sie Gerechtigkeitsprogramme, erreichen aber die Leute in den tieferen Stockwerken nicht, weil sie sie weder kennen noch direkt ansprechen. Die gehen aus Protest zur FPÖ. Eine Linkspartei gibt es in Österreich bisher nicht. In diese Lücke will Pilz. Er will Neubau-Moderne mit Kapfenberger Tradition zusammenbringen.

Er hat eine klassisch linke Oben-unten-Sicht und will mehr umverteilen. Da gehen sie im Dachgeschoss auch mit. Nur kommt man laut Pilz zu dieser Art Wähler nur durch Öffnen zweier Türen. Gerechtigkeit ist erst die hintere Tür. Zunächst muss man die vordere aufschließen, und die heißt Flüchtlings- und Einwanderungspolitik.

Gern bringt er das Gespräch auf seine Spezialforderungen: „Erdoğan-Brückenköpfe“ zerschlagen und salafistische Moscheen auflösen, in denen der IS in Graz Nachschub für den Dschihad rekrutiere. „Die FPÖ hat da gar keine Ahnung davon, die Grünen kriegen einen Islamophobie-Schub, und ich sage, da muss der Rechtsstaat mit Staatsanwalt und Polizei rein, und zwar mit aller Härte.“

Diese Probleme gibt es, aber es könnte auch sein, dass Pilz versucht, einen kulturellen Rassismus seiner angepeilten Kundschaft anzusprechen, einzuengen und damit zu bändigen. Die Frage ist, wie weit er damit kommt und wie weit er dafür gehen muss.

Jedenfalls sind die alten Stabilitätsfaktoren der westlichen Welt einfach nicht mehr das, was sie mal waren. Dadurch ist der starr scheinende parteipolitische Raum beweglich geworden. Einzelne kommen und treten im Namen des Volkes gegen scheinbar zementierte Parteiendynastien an – und fegen sie weg. Der autoritär-populistische US-Präsident Trump hat erst die Republikaner gehijackt und dann die Demokraten abgehängt. Der gesellschafts- und wirtschaftsliberale Europäer Macron hat mit einer echten Bewegung die alten Volksparteien in Frankreich erledigt und die linken und rechten Nationalisten geschlagen. Dann sind da der populistische Komiker Beppe Grillo in Italien, das Linksbündnis Podemos in Spanien oder Syriza in Griechenland.

Das Problem der Volksparteien

Anders als Deutschland ist Österreich schon in der nächsten Phase des Niedergangs der klassischen Mitte-links- und Mitte-rechts-Volksparteien. Was damit zu tun hat, dass sie 23 der letzten 30 Jahre zusammen regierten, und der Klüngelvorwurf mit zum Aufstieg der FPÖ führte. Das zunehmende Gefühl lautet: Bloß nicht die wieder.

Die traditionellen Volksparteien versuchen deshalb, neu zu erscheinen. Alt sind immer die anderen. Die SPÖ ging voran und ersetzte im Mai vergangenen Jahres den klassischen Parteikanzler Faymann durch den Homo novus von außen, den Bahnchef Christian Kern. Unter linksliberalen Erneuerungsjubelrufen stiegen die Umfragewerte, doch nur kurzfristig.

Außenminister Sebastian Kurz ging bei der ÖVP noch weiter und inszenierte einen sichtbaren Bruch mit dem Alten. Und das, obwohl er mit seinen erst 31 Jahren schon das dienstälteste Kabinettsmitglied ist. Faktisch übernahm er die Partei als Ganzes, während Pilz die Grünen spaltete. Die mäßig ehrwürdige ÖVP firmiert jetzt unter „Liste Kurz“, und auf allen Plakaten ist neben dem Kopf des Kandidaten das Wort „Bewegung“ zu lesen, also ein Anti-Parteien-Wording. Die Worte „Neuer Stil“ dürfen auch nicht fehlen. Das meint, dass er nicht nur einwanderungskritisch und wirtschaftsliberal ist, sondern auch höflich. Und es gibt eine neue Farbe: Türkis statt Schwarz.

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Alles nur ein Marketingtrick, sagen politische Gegner. Aber Kurz hat Erfolg. Die ÖVP war immer abgeschlagener Dritter in den Umfragen, die Liste Kurz führt seit Monaten mit klarem Vorsprung. Im Vergleich mit den ÖVP-Vorgängern wirkt Kurz auf der Höhe des Zeitgefühls, was nicht mit progressiv oder gesellschaftsoffen verwechselt werden darf. Kurz sei „die FPÖ mit menschlichem Antlitz“, sagte der Wiener Schriftsteller Franz Schuh im Kurier. Schuh gehört zu den klassischen Linken, die die Entwicklung in Österreich als „Dehumanisierung“ geißeln, aber keine Antwort haben, außer auf eine radikale Erneuerung der SPÖ mit oder nach Kern zu warten.

Im Grunde ist Pilz’ Ansatz also pragmatisch und hochmoralisch: „Wir können die Republik nicht dem Strache überlassen“, sagt er bei jeder Gelegenheit. Strache, der FPÖ-Chef, dem immer wieder Antisemitismus vorgeworfen wird und der über seine Jahre in der Neonaziszene nicht gern redet.

Die Schlüsselfrage der Protestwähler sei nicht links oder rechts, sagt Pilz. Sondern alt oder neu. Das Motto: „Alles, nur nicht das Alte.“

„Es geht nicht um Veränderung, es geht um Sicherheit“, sagt Pilz. „Die sogenannten kleinen Leute haben nichts als Sicherheit. Sie sehen, dass sie die alte Sicherheit verloren haben und eine neue Sicherheit nur durch Veränderung bekommen.“

Deshalb ist Gerechtigkeitspolitik für ihn Sicherheitspolitik und letztlich europäische Friedenspolitik. „Nur wenn Mehrheiten sich sicher fühlen, ist Europa sicher“, sagt er.

Er macht jedenfalls nur die besten Erfahrungen mit seinem Wahlkampf. „Ich führe jetzt den schönsten Volkswahlkampf aller grünen und linken Zeiten der letzten 30 Jahre“, sagt er. „Es ist herrlich.“ Wenn er mit einem Fernsehteam auf den Straßen unterwegs ist, dann sagen die Redakteure ganz verzweifelt: „Wisst’s net irgendwen, der auch mal was Negatives über Peter Pilz sagt?“ Bei den Grünen sollte das kein Problem sein, aber im alten Arbeiterstadtteil Simmering hätten sie niemand gefunden.

„Jetzt müssen wir erst mal in den Nationalrat, und bei der nächsten Wahl geht es dann um die Mehrheit.“

Das ist eine steile Ansage.

„Was heißt steil“, sagt Pilz, „ich sag, wie ich’s mache. Ich mach’s einfach. In etwa drei Jahren sind wir mehrheitsfähig.“

Klar, seine neue Liste unterschiedlichster Typen – Tierschützer, Verbraucherschützer, Frauenrechtler, Digitalexperten – könnte sich auch zügig zerlegen, aber seine schöne historische Ableitung geht so: 1966 kam es zu einem kurzfristig allein regierenden ÖVP-Kanzler. Das löste eine Katharsis im Volk aus, die die goldenen Jahre Österreichs mit dem SPÖ-Kanzler Kreisky einleitete. „Und jetzt kriegen wir ziemlich sicher eine Regierung Kurz, die keine der großen Fragen beantworten kann, die im Kern alle Gerechtigkeitsfragen sind.“

Und dann?

„Und dann schlägt unsere Stunde.“

Ein langjähriger Wegbegleiter und Freund sieht das etwas simpler. Wenn die depperte Grünen-Basis den Peter Pilz nicht wählt, dann macht der halt seine eigene Peter-Pilz-Liste. Das sei es im Wesentlichen, was man über Peter Pilz wissen müsse.

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