piwik no script img

Ökonomie-Studenten rebellierenRaus aus der Theorieblase

Wirtschaftsstudenten aus aller Welt fordern eine Reform ihrer Studieninhalte. Sie wollen, dass die Lehre politischer wird. Das passt nicht allen.

Demonstrationen gegen die Krisenpolitik spiegeln sich in den Wirtschaftswissenschaften nicht wider. Bild: ap

TÜBINGEN taz | „Später wirst du es verstehen.“ Diesen Satz hat Thomas Vass oft gehört, wenn er seine Professoren im Studium der Wirtschaftswissenschaft nach dem großen Zusammenhang gefragt hat. Warum kam es zur Finanzkrise? Wie hat sie die Wirtschaft verändert? Wie kann man solche Krisen verhindern?

„Viele Leute fangen das Studium an, weil sie eine Antwort auf diese Fragen wollen. Aber diese Erwartung wird nie erfüllt“, sagt der 32-Jährige. Man hantiere mit Zahlen und Modellen, bewege sich in einer engen theoretischen Blase. Vass ist enttäuscht. Mads Falkenfleeth aus Dänemark auch. Und Arthur Jatteau aus Frankreich.

Sie sind drei von vielen, die wollen, dass sich die Wirtschaftslehre mehr darum bemüht, einer komplexer werdenden Welt gerecht zu werden. Deshalb haben sie daran mitgearbeitet, dass sich 30 nationale Organisationen mit diesem Anliegen zusammenschließen. Anfang des Jahres ist die Organisation Isipe entstanden, die sich am Wochenende zu einer Generalversammlung in Tübingen getroffen hat.

Isipe steht für International Student Initiative for Plural Economics. Im Januar hatte es erste Skypekonferenzen gegeben. Jatteau, Vass und Falkenfleeth waren von Anfang an dabei. Im Mai veröffentlichte die junge Organisation einen offenen Brief, der die Forderungen zusammenfasst: mehr Pluralität der Denkansätze und Methoden im Wirtschaftsstudium, mehr interdisziplinäre Arbeit.

Alle Theorien hören

Pluralität heißt für die Isipe-Mitglieder, dass Studierenden zu Beginn des Studiums mehr als nur die neoklassische Theorie nahegebracht wird. „Lasst uns doch alle Theorien hören“, sagt Vass. Sie wollen eine Öffnung und bessere Kritikfähigkeit. Für Falkenfleeth fühlte sich sein Studium in Aarhus wie eine Einbahnstraße an. „Was wir hörten, wurde nie kritisiert.“

Zur Überraschung vieler Isipe-Mitglieder erhielten sie für diese Haltung Zustimmung von einigen Professoren. Für Jatteau aus Frankreich sind die Gründe dafür naheliegend. Es sei komplizierter, mehrere Theorien zu lehren. Außerdem sei das Problem ein strukturelles: „Eine wissenschaftliche Karriere basiert auf Erfolgen in der Forschung, nicht auf der Qualität der Lehre. Es gibt keinen Anreiz dafür, gute Kurse zu halten.“

Außerdem, meinen sie, wird der Rattenschwanz gefürchtet, den die Änderung der Lehrinhalte nach sich ziehen würde: Bücher müssten verändert, Lehrpläne angepasst werden. Immerhin unterstützen auch 230 Hochschullehrer und Akademiker den offenen Brief.

Isipe fordert ein Mitspracherecht ein. Die Studierenden wollen mitentscheiden, was gelehrt wird, wollen sich nicht im Kleinen verlieren, sondern das Große analysieren. Dafür braucht es mehr Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen.

Fachfremd arbeiten

Falkenfleeth hat die Erfahrung gemacht, dass für seine Professoren all das, was ihn interessierte, per Definition nicht unter Wirtschaftswissenschaft fiel. Eine Umfrage unter Banken, um herauszufinden, wie Finanzmärkte in ihrer Einzelheit funktionieren? Soziologie. Und damit nicht das, womit Falkenfleeth sich zu beschäftigen hatte.

In Tübingen hat das Netzwerk nun an einer internen Struktur gearbeitet, die einen Austausch und gemeinsames Agieren der nationalen Initiativen ermöglichen soll. Erstes Projekt: Die nationalen Organisationen wollen Daten sammeln und auswerten, die zeigen, wie unausgewogen die Studieninhalte aus ihrer Sicht sind.

Falkenfleeth will für seinen Master die reine Wirtschaftswissenschaft verlassen und selbst die Verknüpfung zu anderen Inhalten schaffen. Vielleicht werde er in die Soziologie gehen. Oder wie Vass in die Philosophie.

Einige Universitäten, die alternative Wege gehen, gibt es bereits. Zum Beispiel im Programm Epog (Economic Policies in the age of Globalisation), an dem auch die Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin beteiligt ist. Oder an der Kingston University London im Master Political Economy. Falkenfleeth hofft auf ein Zeichen von den Studierenden selbst, die es machen wie er: „Ich hoffe, dass die Leute mit den Füßen für unsere Ziele abstimmen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Gut, dass es so eine Initiative gibt. Ich war schon seit Längerem der Meinung, dass "reine BWL" wenig gebraucht wird.

    Ich freue mich dann schon auf die Reaktionen der Führungskräfte in Politik in Wirtschaft, denen dann der Arsch auf Grundeis geht, weil sie nicht mehr einen auf Marktliberalismus abgerichteten Nachwuchs bekommen ;-)

  • ps und nochens

    , , , Warum wird denn nicht auch die Naturwissenschaft politisch?. . .

     

    sorry - isse das denn nicht?

    dann rat ich nochmal zu den Beschreibungen bei Heinz von Foerster -

    um KI in Usa; Verteilung der Fördermittel etc usw

    - viel Spaß dabei;

    &always et your service;-))

     

    pps & fühlen Sie sich bitte nicht auf den Arm, sondern ernst genommen;

    aber dem manichäischem Denken hat schon der

    Altmeister Wilhelm Busch die passende Absage erteilt;°)

  • ". . .Politik hat in der Lehre nichts zu suchen!. . ."

     

    Das ist ne steile These;

    aber eine erfreuliche Debatte!

     

    Lassen wir mal die Naturwissenschaften vorerst so raus -

    Meng Hsiä - es gibt die Wirklichkeit, das ist nicht zu bestreiten;

    aber Wahrheiten - also Meinungen über Wirklichkeiten - gibt es unendlich viele;

     

    & jetzt noch a weng

    Heinz von Foersters Hinweis auf den feinen amerkanischen Aufsatz -

    Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners;-)

     

    &dann wenden wir uns mal zwei sog. Wertungswissenschaften zu -

    in den ich mich - als schulisch-familiär eher naturwissenschaftlich geprägter - mal etwas mehr -

    & mal etwas weniger auskenne -

     

    Jurisprudenz - die nach Ihnen naturellemente schon gar nicht so heißen dürfte - (leich zustimmendes Nicken bei mir - aber mach was)

    gehobener Dreisatz und der große große Rest - Wertung - Wertung - Wertung . . .

    schwer erkennbar - wie da das Politische, das Gesellschaftliche -

    &wie immer Sie es zu nenne belieben

    außen vor bleiben sollte -

     

    ja - jeder Versuch in diese Richtung gerade dahin führt - wo Sie angeblich nicht hinwollen -

    (die deutsche Geschichte - spätestens ab 1870/71 - eigentlich schon ab 1948 liefert durch die Bank feine Beispiel dafür - prägnant die berühmte Mark=Mark-Entscheidung des Reichsgerichtes -

    gesellschaftlich-politischer geht´s kaum!

     

    &da wären wir bei Ihrem -

    diesem hier - Steckenpferd;-)

    in den 5 Semestern post Vordiplom

    & dem Rumschnüffeln hie wie da&dort - Wertungen, Wertungen,Wertungen;

    ff. . .

    alles wie gehabt s,o. -

     

    und war gar nicht soo sehr verblüfft, als der Prof meinte . . .

    ach ich dachte. . ?

    nene lassen Se mal & Danke;

    aber Familie und dafür wird Jura schon reichen.

     

    ff folgt

  • Hört sich gut an. Viel Erfolg mit einem Reformstudiengang an einer Privatuni.

  • Die Lehre soll politischer werden? Etwa so wie in den Sozialwissenschaften, die fast vollständig ent-wissenschaftlicht sind und so schöne Blüten wie Gender-Studies hervorgebracht haben? Warum wird denn nicht auch die Naturwissenschaft politisch? Dann könnten wir einfach leugnen, dass es Uran überhaupt gibt und Atomkraft wäre gar nicht mehr möglich.

     

    Politik hat in der Lehre nichts zu suchen! Davon profitieren nur verbohrte Ideologen, die auf die dicke Knete in irgendwelchen politischen Förderprogrammen aus sind. Dass verschiedene Theorien behandelt werden sollten, ist natürlich nicht per se falsch. Aber es öffnet unzählige Türen für politischen Missbrauch, das sollte man bedenken, bevor man alles direkt abfeiert.

    • @Echt jetzt?:

      Ich glaube Sie haben den Text falsch verstanden. Es geht nicht drum, das Fach zu entwissenschaftlichen, sondern gerade darum die fast ideologisch anmutende Nichtbehandlung der Wirtschaftskrisen unserer Zeit zu überwinden.

    • @Echt jetzt?:

      Leider kommt es im Artikel zu kurz, dass es einem Großteil der ISIPE-Initiatoren darum geht, realistischere und damit komplexere Annahmen (z.B. unvollständige Information, non-rational-choice, yes-Ponzi-scheme) in die Modelle zu übernehmen. Die Mathematisierung der Ökonomie sollte genauso vorangetrieben werden wie die Einbeziehung psychologischer und soziologischer Methoden. Saldenmechanik oder Motivationspsychologie sind aber Dinge, von denen ein* Ökonom* unter Umständen nie etwas im Studium zu hören bekommt.