Ökonom zu Berliner Haushalt: „Sparen ist schlechte Wirtschaftspolitik“
Der Senat muss die Wirtschaft mit Investitionen ankurbeln, fordert der Ökonom Maurice Höfgen. Das führe zu Jobs und einem funktionierenden Staat.
taz: Herr Höfgen, als Vertreter der Modern Monetary Theory machen Sie sich für mehr Investitionen stark. Wie sehen Sie den drohenden Sparkurs in Berlin?
Maurice Höfgen: Wir sparen in eine Krise hinein – das ist wie mit angezogener Handbremse auf die Autobahn fahren. Das kann nur schiefgehen und ist ein Konjunkturprogramm für die AfD. Die Sparpolitik von Anfang der 2000er ist unter dem Motto ‚Rückkehr zur Normalität‘ wieder da. Diese alte Normalität hat in Berlin, aber auch bundesweit einen massiven Investitionsstau verursacht, wie man an fehlenden Milliardeninvestitionen in Infrastruktur und maroden Schulen sieht. Dabei gibt es angesichts von Rezession und Klimakrise keine Normalität.
Was müsste der Senat stattdessen tun?
Der Senat muss die Wirtschaft ankurbeln für Jobs, aber auch einen funktionierenden Staat – in einer Krise zu sparen, ist schlechte Wirtschaftspolitik. Es ist peinlich, dass wir in der Hauptstadt der viertgrößten Wirtschaftsmacht der Welt acht Prozent Arbeitslosigkeit haben, im Bezirk Neukölln liegt die Unterbeschäftigung sogar bei 16 Prozent: Jeder sechste, der dort Arbeit sucht, findet keine.
In Neukölln gab es eine Streichliste mit einer Vielzahl von sozialen Angeboten, bei denen der Rotstift angesetzt werden könnte. Was bedeutet das?
Streichungen insbesondere im sozialen Bereich sind das Schlimmste, was man machen kann: Es ist ungerecht, weil es die Schwächsten trifft, wenn etwa der Wachschutz an Schulen gestrichen wird, wo es kürzlich noch einen Messerangriff gab, oder Brennpunktzulagen von Lehrkräften in Gefahr sind. Zudem ist es ökonomisch falsch: Wenn man bei den Sozialausgaben spart, haben genau die Inflationsverlierer weniger Geld – also die Menschen, die jeden Cent auch zum Leben brauchen und ausgeben. Das bedeutet weniger Umsätze beim Bäcker, Friseur und der Gastronomie. Die Schwächsten sparen beim Klamottenshopping, Urlaub und Restaurantbesuch, beim kleinen Luxus im beschwerlichen Alltag. Das stellt vor allem kleinere Unternehmen vor Probleme.
Maurice Höfgen,
Jahrgang 1996, ist Ökonom und Sachbuchautor. Er betreibt einen Youtube-Kanal “Geld für die Welt“ und liefert sich gerne Twitter-Battles mit Neoliberalen. Er arbeitet für den Linken-Abgeordneten Christian Görke im Bundestag, ist aber kein Linken-Mitglied.
Trotzdem soll die Schuldenbremse wieder greifen.
Ein ideologische Festhalten an der Schuldenbremse ist falsch: Die Haushaltsnotlageländer Saarland und Bremen haben die Schuldenbremse mit dem Argument Klimakrise ausgesetzt und damit große Investitionen etwa in Erneuerbare Energien oder Verkehrsprojekte getätigt. Die 5 Milliarden, die Berlin für Klimaschutz ausgeben will, zeigen ja auch, dass es geht, wenn man will.
Warum wird die Schuldenbremse weitgehend befürwortet?
Weil es intiutiv ist, den Staatshaushalt wie den eigenen Haushalt zu führen. Das ideologische Festhalten an der Schuldenbremse ist aber falsch: Der Staatshaushalt ist nicht Oma Ernas Sparschwein. Das ist im Übrigen auch unter den Grünen nicht besser gewesen. Auch der ehemalige Grünen-Finanzsenator Daniel Wesener hat gesagt, dass es bei den Parteien in der Finanzpolitik kaum Unterschiede gebe, und Sparen seit Jahrzehnten eine Tugend sei.
Befürworter der Schuldenbremse verweisen dagegen auf steigende Zinsen und Inflation.
Die Inflation wird nicht durch Schulden angetrieben. Der Alltag ist teurer geworden, weil der Krieg Energie und Rohstoffe schockartig verteuert hat; nicht, weil die Wirtschaft vorher so gut lief oder Löhne stark gestiegen sind. Die Schuldenbremse ist eben keine Inflationsbremse, höchstens eine Bremse für nötige Zukunftsinvestitionen. Und die braucht es in Milliardenhöhe auch bei steigenden Zinsen. Wenn die Wirtschaft brummt, sind höhere Zinsen nämlich viel leichter zu bezahlen.
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