Ökonom über zehn Jahre Finanzkrise: „Man hat nicht wirklich was gelernt“
Der Ökonom Martin Hellwig über das Zocker-Gebaren deutscher Banken und zur Frage, wann der Welt die nächste große Krise droht.
taz: Herr Hellwig, warum waren in Deutschland 2008 eigentlich derart viele große Banken pleite?
Martin Hellwig: Das ist tatsächlich paradox. Denn anders als in den USA oder Großbritannien hatten wir hierzulande keine Immobilien- oder andere Kreditblase.
Wieso wurden die deutschen Banken zu Zockerbuden?
Die großen Banken konnten in Deutschland kaum noch Gewinne machen. Das Geschäft mit den Kunden vor Ort war fest in der Hand der Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Die Landesbanken hatten noch nie ein profitables Geschäftsmodell, und seit etwa 1994 sanken auch die Margen im traditionellen Geschäft der privaten Großbanken wie der Deutschen Bank.
Warum brachen die Profite der Banken denn ein?
Zum einen fühlten sich die Großunternehmen weniger an ihre Hausbanken gebunden und holten sich ihr Geld auch direkt auf den Finanzmärkten. Zum anderen wurden 1994 Geldmarktfonds zugelassen. Das bot eine Alternative zur Bank.
Martin Hellwig
69, war von 2004 bis 2017 Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. Davor war er vier Jahre lang Vorsitzender der Monopolkommission, die die Bundesregierung in Fragen der Wettbewerbspolitik berät.
Wie teuer war die Finanzkrise für den deutschen Staat?
Vermutlich werden die Steuerzahler am Ende auf Gesamtkosten von mehr als 70 Milliarden Euro sitzen bleiben. Die höchsten Verluste sind bei den Landesbanken aufgelaufen: Allein die Abwicklung der WestLB soll 18 Milliarden Euro kosten, bei der HSH Nordbank fallen 16 Milliarden an, die BayernLB hat 10 Milliarden verschlungen, die Landesbank Baden-Württemberg 5 Milliarden und die SachsenLB mindestens 1,5 Milliarden.
Wie sieht es im Vergleich bei den Privatbanken aus?
Auch die haben erstaunliche Verluste produziert: Die Kosten bei der Hypo Real Estate belaufen sich auf über 20 Milliarden, bei der Commerzbank auf 3 bis 5 Milliarden, bei der IKB auf 9,6 Milliarden.
Welche Rolle spielte es dabei, dass Deutschland permanent hohe Exportüberschüsse erzielt?
Riskant anlegen können die Banken auch ohne Exportüberschüsse, siehe USA. Die deutschen Exportüberschüsse reflektieren aber eine hohe Ersparnisbildung. Da waren viele Mittel anzulegen, und die Banken konnten ein großes Rad drehen.
Wurde aus der letzten Finanzkrise gelernt?
Ulrike Herrmann im taz-Podcast zum Jahrestag der Lehman-Pleite. Ab Freitagmittag auf www.taz.de/podcast.
Nicht wirklich. Noch immer gibt es zu viele Kapazitäten im Banksektor, und der Wettbewerb ist so stark, dass die großen Banken es schwer haben, Geld zu verdienen. Die meisten wurden ja „gerettet“. Dass die WestLB abgewickelt wurde, ist nicht der deutschen Politik zu verdanken, sondern der Europäischen Kommission. Wir hatten auch keine unabhängige Kommission zur Untersuchung der Finanzkrise und der Gründe für die hohen deutschen Kosten. In den USA, Großbritannien, Island oder der Schweiz war das anders.
Wo sehen Sie heute die Risiken?
Die Europäische Zentralbank kann nicht auf Dauer eine Nullzinspolitik verfolgen. Wenn aber die Zinsen deutlich steigen, dann werden jene Banken in Schwierigkeiten geraten, die Hypotheken für Immobilien zu 2 Prozent mit einer Zinsbindung von 15 oder mehr Jahren vergeben haben.
Drohen noch weitere Gefahren?
Sollte US-Präsident Trump mit seiner protektionistischen Politik Erfolg haben, würden die chinesischen und deutschen Exportüberschüsse verschwinden. Damit würde dann auch der Kapitalzufluss in den USA austrocknen. Das könnte drastische Auswirkungen auf die dortigen Kapital- und Immobilienmärkte haben. Um 1990 gab es das schon einmal im Kleinen, als man die Japaner veranlasst hatte, ihre Exporte etwas zurückzunehmen.
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