Ökonom über Niedrigsteuern: „Das ist eine Verzweiflungstat“
Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel warnt: Die Niedrigsteuerpläne von Theresa May und Donald Trump seien gefährlich.
taz: Herr Hickel, der künftige US-Präsident Donald Trump, Ungarns Premier Viktor Orbán, Großbritanniens Premierministerin Theresa May – sie alle wollen die Unternehmenssteuern in ihren Ländern drastisch senken. Was soll das?
Rudolf Hickel: Hinter den Plänen der Regierungen steht ein primitiver Mythos, das Swift’sche Steuereinmaleins: Wenn die Unternehmenssteuern sinken, haben Unternehmen mehr Anreize für Investitionen. Das Bruttosozialprodukt – also die Steuerbemessungsgrundlage – und damit die Steuereinnahmen wachsen. So soll ein niedriger Steuersatz am Ende zu höheren Steuereinnahmen führen.
Funktioniert dieser Mechanismus tatsächlich?
Nein, und das ist auch durch die Geschichte belegt. Denn die Höhe des Steuersatzes ist für Investitionen durch Unternehmen nicht das allein entscheidende Kriterium. Die Infrastruktur, das Angebot an qualifizierten Arbeitskräften, Netzwerkmöglichkeiten: Das sind die wirklich wichtigen Gründe für eine Standortentscheidung. Da kann eine niedrige Unternehmenssteuer sogar kontraproduktiv sein, wenn über geringere Staatseinnahmen eine marode Infrastruktur entsteht.
Wie sieht es in der Praxis aus?
Schauen Sie nach Deutschland. Die Schröder-Regierung hat unter anderem die Unternehmenssteuern gesenkt – vor allem die Körperschaftssteuer. Doch der erwartete Wachstumsimpuls und damit die zusätzlichen Steuereinnahmen, die Verluste durch den niedrigen Steuersatz kompensieren sollten, fielen aus. Das hat Ronald Reagan in den USA auch schon probiert. Die Folge war eine Steigerung der Staatsschulden durch Steuersatzsenkungen. Neoliberaler Wahnsinn.
Der 74-jährige Wirtschaftswissenschaftler ist Autor zahlreicher Bücher und leitete bis 2009 das Institut Arbeit und Wirtschaft an der Universität Bremen. Er ist Mitbegründer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.
Warum profitieren dann Länder wie Luxemburg und Irland von ihren Steueranreizen für Unternehmen?
In diesen Ländern geht es nicht nur darum, dass Unternehmen dort nachhaltig ökonomisch aktiv werden und somit Investitionen und Beschäftigung ins Land bringen. Es geht um „Steueroptimierung“ großer Konzerne, um beispielsweise mit Hilfe von Patentzahlungen Gewinne aus anderen Ländern steuerfrei abzuziehen. Für Unternehmen, die aktive Geschäfte machen, ist der Steuersatz weniger wichtig. Die internationalen Konzerne in Großbritannien sorgen sich nicht um zu hohe Unternehmenssteuern, sondern darum, dass das Land aus dem EU-Binnenmarkt ausscheidet. Kein Unternehmen aus Deutschland würde nach Großbritannien übersiedeln, nur weil dort die Körperschaftssteuer sechs Prozentpunkte niedriger ist – besonders nicht bei der aktuellen Unsicherheit und der Talfahrt des Pfunds.
Wie bewerten Sie dann die Ankündigung von Theresa May?
Die Anbiederei mit niedrigen Steuersätzen ist eine Verzweiflungstat. Es ist das Eingeständnis, dass der Brexit furchtbare Konsequenzen auslöst – die dann auch noch ohne Erfolg gestoppt werden sollen.
Welche Gefahr droht durch eventuelle Steuersenkungen in den USA und Großbritannien?
Ich sehe zwei große Gefahren bei dieser Politik. Zum einen innerhalb eines Landes. Die Absenkung der Unternehmenssteuersätze führt zunächst zu gewaltigen Haushaltslöchern. Diese Last werden am Ende die Arbeitnehmer tragen: durch die sozialen Einsparungen, die durch die Haushaltsschieflage ausgelöst werden, und durch den Anstieg von Massensteuern wie der Mehrwertsteuer, um dieses Defizit auszugleichen.
Und die zweite Gefahr?
Das ist die zunehmende Konkurrenz zwischen den Staaten, ihre Standortvorteile zu erhöhen und ebenfalls Steuern zu senken. Es ist die Beggar-thy-neighbour-Politik – auf Deutsch, mach deinen Nachbarn zum Bettler. Auf Kosten anderer Staaten wird Steuerdumping betrieben, um vermeintlich ökonomische Vorteile zu gewinnen. Es ist ähnlich wie bei der Eurokrise. Da hat Deutschland Lohnkostenvorteile exportiert und dadurch inländische Unternehmen verdrängt. Ebenso schädigt ein Steuerwettlauf andere Länder und zwingt sie, an diesem Wettbewerb teilzunehmen. Das Resultat sind die Zerstörung von Handelsbeziehungen und ein Auftreten von Staatsschuldenkrisen und verstärkter Austeritätspolitik.
Orbán, Trump, May – wo sehen Sie noch Parallelen?
Ihre Steuerkonzepte sind ein Ausdruck von Renationalisierung, Populismus und rechter Abschottung. Bei den Wählern punkten sie mit denselben Sprüchen: USA First, Britain First… Im Handel wird eine Abschottungspolitik verfolgt. Nationalistischer Protektionismus und Rechtsruck – das sind zwei Seiten derselben Medaille.
Bleiben wir kurz bei Trump. Außer der Steuerpolitik, welche weiteren nationalistischen Maßnahmen erwarten Sie in der US-amerikanischen Wirtschaftspolitik?
Im Wahlkampf hat Trump den Menschen im Rust-Belt versprochen, ihnen die Arbeitsplätze wiederzuholen. Er will die amerikanische Industrie durch Abschottung nach außen fördern. Wenn er das wirklich konsequent tut, dann bleiben ihm neben der Steuerpolitik noch zwei andere Instrumente. Zum einen eine aggressive „Buy US“- Strategie. Das hieße, dass im öffentlichen Sektor kaum oder keine ausländischen Unternehmen mehr beauftragt würden. Und zum anderen könnte er Freihandelsabkommen ablehnen und ausländische Importgüter mit hohen Dumping-Zöllen belegen. Besonders die Dumping-Zölle sind ein hartes Instrument, das sehr schnell Auswirkungen auf den Welthandel haben kann.
Es gibt in Deutschland nur wenige Trump-Fans, aber doch einige die sagen: „Wenigstens kommt jetzt TTIP nicht.“ Sehen Sie das auch so?
Ich kann mich nicht freuen. Denn die Kritiker des TTIP wollen keine Renationalisierung durch Abschottung. Sie wollen die Handelsbeziehungen auf der Basis höchster sozialer, ökologischer und ökonomische Standards für alle Länder. Sie wollen vor allem die Macht der Konzerne ausschalten. Der nationalistische Protektionismus, der sich Platz schafft, ist das andere Extrem zum neoliberal-totalen Freihandel.
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