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Ökonom über Hamburgs Wohnungspolitik„Viele Menschen sind unglücklich allein in ihrem leeren Haus“

Hamburg ist fixiert auf Neubau, obwohl das den Wohnungsmangel kaum bekämpft. Wirtschaftswissenschaftler Daniel Fuhrhop schlägt eine andere Lösung vor.

Hamburg baut und baut und baut. Dabei entstehen in erster Linie neue schicke teure Wohnungen für Vermögende Foto: Georg Wendt/dpa
Interview von Benno Schirrmeister

taz: Herr Fuhrhop, beim Thema Wohnen habe ich in Hamburger Wahlprogrammen zwei Ideen gefunden: Die einen wollen mehr bauen, die anderen noch mehr.

Daniel Fuhrhop: Ja, diese Fixierung auf Beton und Neubau ist in Hamburg sehr ausgeprägt, auch im bundesweiten Vergleich. Das wundert mich wirklich.

Im Interview: Daniel Fuhrhop

Jahrgang 1967, hat Architektur, Stadtplanung und Wirtschaft studiert, wurde 2023 für eine wirtschaftswissenschaftliche Dissertation über die Möglichkeiten, im Bestand Wohnraum zu schaffen an der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg promoviert. Als Verleger, Publizist und Wohnwende-Ökonom war er dort auf Vorschlag der Grünen 2021 parteiloser Kandidat fürs Amt des Oberbürgermeisters und unterlag knapp in der Stichwahl. Furhop lebt in Berlin.

taz: Sind Sie dann bei den Bergedorfern, die gegen das Neubauquartier Oberbillwerder protestieren – oder verstehen Sie als ehemaliger, von den Grünen vorgeschlagener Oldenburger Oberbürgermeisterkandidat, dass Hamburgs rot-grüner Senat das Verfahren an sich gezogen hat, um es durchzusetzen?

Fuhrhop: Es ist das gute Recht von Menschen, auch und gerade gegen diejenigen Bauprojekte zu protestieren, die direkt vor der eigenen Haustür entstehen. Da wirft man schnell Egoismus vor, aber ich würde eher die persönliche Betroffenheit sehen. Dieser Protest gewinnt dadurch an Rechtfertigung, dass von Seiten der Politik die Möglichkeiten außerhalb des Neubaus nicht ernsthaft angegangen werden. Um das mit einer Zahl zu hinterlegen: Im vergangenen Jahr, also 2023, wurden in Hamburg 6.000 Wohnungen gebaut, davon aber lediglich 317 in Altbauten – also nur jede zwanzigste. Im Bundesschnitt entsteht dagegen jede achte Wohnung durch die Umnutzung von Büroflächen, Sanierungen, den Ausbau von Dachgeschossen oder ähnliche Maßnahmen. Das ist zweieinhalb mal so viel. Wenn Hamburg das Bauen im Bestand ernsthaft betreiben würde, müssten dadurch demnach jährlich annähernd 1.000 Wohnungen entstehen.

taz: Aber klingt Ihre alte Forderung, das Bauen überhaupt zu verbieten, nicht sogar für Sie selbst zynisch, angesichts der Hamburger Wohnungsnot?

Fuhrhop: Nein, ganz sicher nicht. Der Begriff Wohnungsnot scheint mir auch unangemessen: Wohnungsnot war, als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg etwa zwölf Millionen Geflüchtete in den zerstörten Städten unterbringen musste. Aber zynisch wäre mein provokanter Slogan angesichts des realen Wohnungsmangels, wenn er für sich allein stünde. Schon in meiner Streitschrift von 2020 habe ich jedoch zusammen mit der Forderung, das Bauen und Landschaftsversiegeln zu verbieten, 100 alternative Lösungswege vorgestellt, vom Bauen im Bestand bis zu Möglichkeiten, den unsichtbaren Leerstand zu erschließen – also denjenigen Wohnraum, der zwar belegt ist, aber nicht genutzt wird und den die Besitzer gerne neu beleben würden. Insofern finde ich es viel empörender, wenn einfach weiter neu gebaut wird, obwohl wir uns das gar nicht mehr leisten können. Neu zu bauen löst die sozialen Probleme gegenwärtig nicht. Es bedeutet aber, Flächen zu versiegeln, die wir dringend benötigen, um unsere Städte auf den Klimawandel einzustellen. Und es treibt den Klimawandel voran.

taz: Ist das so erheblich?

Fuhrhop: Ja. Insgesamt belastet der Wohnungsneubau eines Jahres in Deutschland das Klima mit rund 74 Millionen Tonnen CO2. Das ist in etwa so viel, wie das Heizen sämtlicher 43 Millionen Altbauwohnungen in Deutschland verursacht. Empörend ist es also, wenn eine Stadt wie Hamburg, noch nicht einmal ein Programm hat, um Immobilienbesitzern zu ermöglichen, das eigene Haus in gute Hände weiterzugeben.

taz: Was soll das sein?

Fuhrhop: Es ist eine niedrigschwellige Möglichkeit, Immobilien der Spekulation zu entziehen. Manche Eigentümer möchten ihre Immobilien, meist aus Altersgründen, verkaufen, aber eben nicht meistbietend an Investoren, die sie dann modernisieren und alle Mieter bedrohen. Sie wollen sie stattdessen in gute Hände geben – also zu einem fairen Preis an Eigentümer, die damit verantwortungsvoll umgehen. Dafür gibt es in München oder Berlin genossenschaftliche Agenturen. Nicht aber in Hamburg.

taz: Macht denn Hamburg alles falsch?

Fuhrhop: Immerhin gibt es ein ordentliches Gesetz gegen Zweckentfremdung von Wohnraum. Das müsste man aber auch kontrollieren, damit es wirkt.Auch ein hohes Bußgeld hilft. In München werden bis zu 500.000 Euro fällig.

taz: Puh!, treffe ich da nicht auch diejenigen, die ihr Haus aus menschlichen oder baulichen Gründen nicht so gut vermieten können?

Fuhrhop: Es ist wichtig, da zu unterscheiden. Neben den Spekulationsobjekten von Kapitalanlegern gibt es natürlich auch eine große Zahl kleiner Eigentümer, die nur ein Haus besitzen, in dem sie auch selbst leben. Von denen trauen sich manche nicht zu, sich jemand Fremdes als Mieter ins Haus zu holen. Manche haben auch schlechte Erfahrungen beispielsweise mit Mietnomaden gemacht. Deswegen ermöglichen rund 60 Kommunen in Deutschland „Sicheres Vermieten“. Das sind vor allem Städte in Baden-Württemberg, wie Karlsruhe. Dort garantiert die Stadt, dass die Miete gezahlt wird. Sie klärt zudem kurzfristig die Probleme, die bei so einem Mietverhältnis auftauchen können und gibt obendrein einen Zuschuss, um die betreffende Wohnung in Schuss zu bringen und wieder vermietbar zu machen. Das kann auch mal ein fünfstelliger Betrag sein.

Bücherliste

Streitschrift „Verbietet das Bauen! Streitschrift gegen Spekulation, Abriss und Flächenfraß“, oekom, 224 S., 15 Euro/ e-Book 11,99 Euro

Ratgeber „Einfach anders wohnen. Entrümpeln, Einrichten, Wohlfühlen: 66 praktische Ideen für entspanntes Leben und Arbeiten zu Hause. Mit Tipps zu Wohnen auf wenig Platz & Homeoffice“, oekom, 144 S., 16 Euro / e-Book 12,99 Euro

Dissertation „Der unsichtbare Wohnraum. Wohnsuffizienz als Antwort auf Wohnraummangel, Klimakrise und Einsamkeit“, transcript, 308 S., 50 Euro, als.pdf kostenlos

taz: Toll für die Vermieter.

Fuhrhop: Im Gegenzug gehen die aber eine zehnjährige Sozialbindung ein: So entstehen durch dieses Rundum-Sorglos-Programm allein in Karlsruhe bis zu 150 neue Sozialwohnungen – pro Jahr. Hamburg ist ungefähr sechsmal so groß: Es müssten also allein durch diese Maßnahme locker 1.000 Wohnungen im Jahr aus dem Leerstand heraus wieder auf den Markt kommen.

taz: Das Potenzial müsste größer sein.

Fuhrhop: Das stimmt. Das zeigen die gerade erst veröffentlichten Zahlen des Zensus 2022. In Hamburg leben demnach 84.000 Menschen allein in Wohnungen von über 80 Quadratmetern, und dann gibt es dort 58.000 Zweipersonenhaushalte, die mehr als 100 Quadratmeter Wohnfläche beanspruchen. Es gibt also in Hamburg über 140.000 Wohnungen, die so groß sind, dass noch ein bis drei weitere Personen dort Platz hätten. Es wäre also rein theoretisch möglich, bis zu 250.000 Menschen zusätzlich in Hamburgs großen Wohnungen unterzubringen.

taz: Und praktisch?

Fuhrhop: Selbstverständlich ist das nur ein theoretischer Wert. Manche möchten gerne viel Fläche nutzen, andere können aus unterschiedlichsten Gründen ihren Wohnraum nicht teilen. Aber wenn nur zehn Prozent davon erschlossen würden, dann hätte man zusätzlichen Wohnraum für 24.000 Menschen, also so viel, wie man durch den Bau von 12.000 Wohnungen schaffen würde. Und es ist klar: Viele Menschen sind unglücklich allein in ihrem leeren Haus. Die würden sich über Unterstützung freuen. Aber Hamburg lässt die im Stich. Politik sollte endlich anfangen, diesen unsichtbaren Wohnraum zu nutzen.

taz: Ohne Zwang?

Fuhrhop: Ja, das ist ganz wichtig. Wohnen ist ein sensibles Thema. Und wir tun gut daran, uns ausschließlich auf die zu konzentrieren, die freiwillig eine Einliegerwohnung oder eine Etage neu beleben wollen und dabei Unterstützung brauchen. Modelle dafür gibt es genug: Sehr erfolgreich ist der „Wohnen für Hilfe“-Ansatz. Das ist kein normales Mietverhältnis, sondern ein soziales Programm, das junge und ältere Menschen zusammenbringt. Die jungen Leute verpflichten sich, sie auch ein wenig im Alltag zu unterstützen, mal einzukaufen oder manchmal auch nur, ihnen ein wenig Gesellschaft zu leisten.

taz: Und das bringt was?

Fuhrhop: In Brüssel zum Beispiel werden dadurch jedes Jahr 400 Wohnpartnerschaften vermittelt.

taz: Wow!, dabei ist Brüssel ja viel kleiner als Hamburg…

Fuhrhop: Das Modell funktioniert aber nur, wenn es eine seriöse Vermittlungsstelle gibt – damit beide Seiten wissen, an wen sie geraten. In Hamburg könnten damit jedes Jahr rund 800 junge Menschen, Studierende oder Azubis, eine Wohnung finden. Bloß: Ein solches Programm gibt es in Hamburg nicht.

taz: Warum?

Fuhrhop: Aus der Bürgerschaft heraus hatte es sogar eine entsprechende Initiative gegeben. Der Senat hatte sich dann die Negativbeispiele angeschaut: Tatsächlich wird „Wohnen für Hilfe“ in Deutschland leider oft sehr schlecht durchgeführt. Allerdings fehlten ihm die Kraft und der Mut, die Fälle im In- und Ausland zu betrachten, in denen das Modell gut funktioniert.

taz: Was macht denn den Unterschied aus?

Fuhrhop: Das ist leicht feststellbar: Wo das Vermitteln halbherzig und unprofessionell angegangen wird, wie bei sozialen Programmen in Deutschland leider oft der Fall, funktioniert es nicht. Wenn man jemanden nur acht Stunden die Woche für dieses Thema abstellt oder glaubt, die gesamte Vermittlungsarbeit durch ehrenamtliche Tätigkeit abdecken zu können, darf man sich nicht über schlechte Ergebnisse wundern.

taz: Es kostet also doch Geld!

Fuhrhop: In der Tat. Eine solche Stelle würde im ersten Jahr rund 100.000 Euro kosten, also so viel, wie in Hamburg gegenwärtig der Neubau eines einzigen Wohnheimplatzes. Zugleich hätte das Modell aber den besonderen Charme, dass es sich danach durch Vermittlungsgebühr selbst finanzieren würde.

taz: Bloß mag Hamburg so eine Stelle nicht einrichten…?

Fuhrhop: Deshalb ist es wichtig, dieses soziale Programm als Wohnraum-Programm zu begreifen. Dann fällt es vermutlich leichter, die gleichen Ansprüche an sie anzulegen, wie bei der konventionellen Wohnraumbeschaffung, also beim Bauen. Niemand würde doch die Planung und das Erschließen eines Neubaugebiets von einer Person betreuen lassen, die das nur am Wochenende ehrenamtlich macht.

taz: Da würden sich Planer*- und Ar­chi­tek­t*in­nen ganz herzlich bedanken.

Fuhrhop: Oder die Firmen der Bauwirtschaft.

taz: Die wollen Sie doch ohnehin in die Arbeitslosigkeit treiben?

Fuhrhop: Ganz im Gegenteil. Die Sanierung von Altbauten erfordert in der Regel mehr Arbeitskraft, während Neubauten vor allem Baustoffe erfordern. Unterm Strich ergibt sich ein positiver Effekt auf dem Arbeitsmarkt, wenn wir auf Neubauten verzichten.

taz: Wird das reichen, obwohl Hamburg so stark wächst?

Fuhrhop: Sie haben Recht, Hamburgs Einwohnerzahl ist im Laufe der vergangenen zehn Jahre um 100.000 gestiegen. Aber im selben Zeitraum hat sich auch die Zahl der Wohnungen um 80.000 erhöht. Im Schnitt leben zwei Menschen in einer Wohnung. Rechnerisch wurden also anderthalb mal so viele Wohnungen geschaffen, wie erforderlich gewesen wären. Das bedeutet: Knapp die Hälfte des Neubaus ist dem geschuldet, dass heute anders gewohnt wird, als früher, dass es weniger Kinder gibt, dass mehr Menschen allein leben. Wir brauchen Lösungen für die Wohnsituation. Wenn wir dagegen weiter am Bedarf vorbeibauen, wird es niemals ausreichen.

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