Ökolumne: Linke Lust auf Aktien
Spekulationsfreude und die Entpolitisierung des Politischen
Man redet über Aktien. Das Thema steht bei vielen Gesprächen im Vordergrund: Erst kommen die Aktien, dann der Spendenskandal der CDU. Es ist erstaunlich, wie viele Leute neuerdings – mitunter etwas verschämt – einräumen, jetzt auch zu „investieren“. Mancher Sozialarbeiter, der sonst die Langsamkeit des Lebens genießt und noch nie einen Computer besessen hat, steckt nun seine 5.000 Mark Ersparnis in einen Aktienfonds. Man tut einen Riesensprung in die moderne Welt in der Hoffnung, sein Geld binnen Jahresfrist zu verdoppeln.
Auch Menschen mit linker Geschichte unterliegen mittlerweile der Faszination des Finanzmarktes. Früher standen sie der Wirtschaft kritisch bis feindlich gegenüber, nun geben sie einander Anlagetipps. Bei vielen heute 30- bis 50-Jährigen spiegelt die neue Freude an der Spekulation ein grundsätzlich verändertes Weltverständnis wider. In dieser Entwicklung fokussiert sich gleichzeitig der gesellschaftliche Wandel, der wirtschaftskonformes Verhalten aufwertet, zur Absicherung risikoreicher Lebenslagen aber auch notwendig macht. Unterstellte man vor zwanzig Jahren noch nahezu fraglos die Verantwortung des Individuums für das gesellschaftliche Kollektiv und umgekehrt, wird heute allenthalben suggeriert, der Mensch müsse sich als Einzelkämpfer durchschlagen.
Wenige Entwicklungen zeigen diese Verschiebung der Prioritäten so deutlich wie der Wandel, dem das Verhältnis kritischer Menschen zum Aktienbesitz unterworfen war. Es ist ein Prozess der Entpolitisierung, Individualisierung und Ökonomisierung des Alltags. Die Geschichte der Linken und ihrer Aktien könnte so beginnen: Nachdem es in den 60er- und 70er-Jahren nicht gelungen war, die Konzerne zu enteignen, sollten Aktien helfen, einen geringen Einfluss wenigstens innerhalb der Unternehmen auszuüben. Als kritische Zeitgenossen zu Beginn der 80er-Jahre begannen, Anteilsscheine zu kaufen oder die ererbten Depots der Eltern politisch organisiert zu nutzen, ging es um eine gesellschaftliche Kontrolle der Wirtschaft. Zu den Hochzeiten der Anti-Atom-Bewegung tauchten die ersten Langhaarigen in den Hauptversammlungen von Siemens auf und forderten, den Bau von Atomkraftwerken zu stoppen. Der in dieser Zeit gegründete Dachverband der Kritischen AktionärInnen wurde zum roten Tuch für manchen Konzernvorstand. Eine effektive Kontrolle oder gar Mitentscheidung auf breiter Ebene wurde jedoch nicht etabliert. Die Anträge der linken Netzbeschmutzer werden auf den Hauptversammlungen in aller Regel von 99,9 Prozent der AktionärInnen niedergestimmt.
Es folgte eine zweite Phase: Die Beteiligung von ArbeitnehmerInnen am Vermögen der Betriebe galt als eine Möglichkeit, Umverteilung zu organisieren, wenn die Gewerkschaften mit Hilfe der Lohnpolitik nicht weiterkamen. Auch die Schwächen dieses Konzeptes wurden bald sichtbar: Die Vermögensverteilung ließ sich dadurch nicht entscheidend nivellieren.
Heutzutage ist die Aktie ihrer politischen Bedeutung nahezu völlig einkleidet. Es geht ausschließlich um die schnellstmögliche Vermehrung des eingesetzten Kapitals. Die Aktionäre von heute hängen nicht an dem Unternehmen, dessen Anteile sie besitzen. Seine Produkte bedeuten ihnen nichts – es sei denn als Voraussetzung für steigende Kurse.
Wie um die eigene Kritik von früher zum Verstummen zu bringen, wird die Aktie jetzt als wertfreies Instrument des schnellen Geldverdienens deklariert. Entpolitisiert wie die Motive ihres Erwerbes sind Aktien jedoch nicht. Wer Anteile kauft, trifft gesellschaftliche Entscheidungen, ob er oder sie will oder nicht. Denn die Unternehmen profitieren durchaus von großer Nachfrage nach ihren Aktien und den damit steigenden Kursen. Ein höherer Börsenwert ermöglicht, mehr Fremdkapital aufzunehmen und mehr Investitionen zu tätigen. Der Vorstand darf die Vorliebe der KäuferInnen zudem als Zustimmung zu seiner Geschäftspolitik bewerten – ob sie nun darin besteht, Solarzellen herzustellen, das menschliche Erbmaterial auszuforschen oder simpel Stellen zu streichen, um die Rendite zu erhöhen.
Ähnlich wie Wahlbürger die Regierung wählen AktionärInnen den Vorstand, indem sie die Anteile seiner Firma kaufen. Obwohl aus einem derartigen gesellschaftlichen Kontext mittlerweile völlig herausgelöst, stellt der Kauf von Aktien immer auch eine politische Handlung dar.
Hannes Koch
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