Ökologische Forstwirtschaft: Waldumbau in der Krise
Gestritten wird darüber, ob naturferne Kiefernforste mit Gift gerettet werden sollen, damit in deren Schatten Laubbäume wachsen können.
Auslöser für die aktuelle Debatte ist ein hübsch gezeichneter Nachtfalter, die Nonne. Ihre Raupen haben sich im Frühjahr massenhaft in einem etwa 7.000 Hektar großen Kiefernforst in Brandenburg südlich von Berlin vermehrt. Den Bäumen drohte ein Kahlfraß. Nach dem heißen und trockenen Sommer im vergangenen Jahr befanden sich die Forste noch immer in einem kritischen Zustand und drohten großflächig abzusterben.
Nach langem Hin und Her bekam der Landesbetrieb Forst in Brandenburg deshalb schließlich die Genehmigung, die Raupen mit einem Insektizid mit Hubschraubern zu besprühen – das ist eigentlich verboten und nur in Ausnahmefällen erlaubt. Gegen die Maßnahme ging der Naturschutzbund (Nabu) mit Erfolg juristisch vor: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg untersagte den Hubschraubereinsatz Mitte Mai, nachdem zwei Drittel der Fläche mit dem Mittel „Karate Forst flüssig“ gespritzt waren.
„Wir müssen mit dieser Situation jetzt umgehen“, sagt nachdenklich Jan Engel, Sprecher im Landesbetrieb Forst in Eberswalde. Die Ansprüche an den Wald seien vielfältig. „Die Forste sollen auch Holz für Bioenergie bereitstellen, für nachhaltiges Bauen, für Papier, oder um Kunststoffe zu ersetzen“, sagt Engel. „Auch um diesen regionalen Rohstoff bereitzustellen, sollen wir als Forstbehörde den jetzt bestehenden Wald erhalten.“ Wenn sich gesellschaftlich nun andere Schwerpunkte mehrheitlich entwickeln, wird sich die Politik hier neu ausrichten.
Die Förster seien in einer Zwickmühle, sagt Andreas Linde. Holz als sinnvollen nachwachsenden Rohstoff könnten sie in den noch vorherrschenden Monokulturen nur mit Pflanzenschutz liefern – doch der stehe einem naturnahen Wald entgegen. Linde ist Ökologe und Professor am Fachbereich für Wald und Umwelt der Hochschule Eberswalde für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Den Einsatz von Karate Forst flüssig im Forst hält er für falsch. Das Mittel des Herstellers Syngenta basiert auf dem Wirkstoff lambda-Cyhalothrin; er ist bei Mensch und Tier hormonell wirksam, sehr giftig für Wasserorganismen und kann bei Menschen Atembeschwerden oder Asthma auslösen.
Vom Kiefernwald zum Mischwald
„Das Mittel ist nicht zielgerichtet gegen die Schadinsekten“, befindet Linde. Die Vorstellung des Nabu, die Kiefern großflächig absterben zu lassen, um den Waldumbau zu beschleunigen, findet Linde aber auch nicht sinnvoll. „Wir brauchen den Wandel zu Mischwäldern“, sagt er, „aber bevor auf einer Kahlfläche ein solcher Wald entsteht, dauert das bis zu 150 Jahre.“ Auch ein eintöniger Kiefernforst sei immer noch ein wertvollerer Lebensraum als eine Kahlfläche.
Sein Vorschlag: Es müsse schnell wieder eine weniger schädliche Alternative zu Karate Forst auf den Markt gebracht werden. Inzwischen ist Syngenta mit seinem Insektengift allein im Wald, weil die Mittel der Wettbewerber entweder verboten wurden oder nicht mehr hergestellt werden. Bis vor wenigen Jahren etwa war noch das Insektizid „Dipel ES“ erlaubt, das auf Basis des Bodenbakteriums BT hergestellt wird und das hochspezifisch nur gegen Schmetterlinge wirkt. Es sei wichtig, dass wieder ein solches Präparat in den Handel gelange. Dann könne man den bestehenden Wald schützen und den Waldumbau im Bestand betreiben.
Diesen Ansatz verfolgt auch Michael Müller, Professor für Waldschutz an der TU Dresden. Junge Eichen oder Buchen vertrügen Strahlung und Frost auf Kahlflächen schlecht, sie gediehen unter dem Schirm der alten Bäume besser. Außerdem müsse man berücksichtigen, dass viele Wälder im Besitz von Privatleuten seien.
Nadelbäume kosten weniger
„Wird Wald vernichtet, kommt es häufig wieder zu Pflanzung oder Naturverjüngung von Nadelbäumen auf den Freiflächen, weil das preiswert und vergleichsweise sicher ist“, sagt Müller. Die aktuellen Debatten über Karate Forst in Brandenburg verfolgt Müller teils verärgert, teils ratlos: „In Brandenburg wurde Waldumbau schon seit Anfang der 90er Jahre betrieben“, sagt er, „die Umbaufläche dürfte inzwischen bei zirka 100.000 Hektar, also 10 Prozent der Waldfläche liegen“.
Die Kritik der Umweltverbände hält er deswegen für unausgewogen, die Diskussionsatmosphäre für „zu emotional und zu wenig sachlich“.
Pierre Ibisch hingegen setzt genau auf diese Kritik der Zivilgesellschaft. Der Biologe, der an der Hochschule Eberswalde eine Professor für Naturschutz hält, wird langsam „unruhig“, wenn er das Tempo des Waldumbaus hierzulande betrachtet. Die aktuelle Krise im Wald könne ihm einen Schub gehen. Ibisch hält es für falsch, die naturfernen und anfälligen Kiefernforste mit Gift zu erhalten, damit in deren Schatten Eichen und Buchen wachsen können – im Gegenteil.
„Totholz bietet eine Chance für die Ernährung und den Schutz neuer Baumgenerationen“, sagt er. Ganz in der Nähe des von der Nonne befallenen Forsts waren im vergangenen Jahr 600 Hektar Wald abgebrannt. Dort, bei Treuenbrietzen, konnte sich der Professor eine kleine Versuchsfläche sichern, in der die verbrannten Bäume nicht abtransportiert wurden, sondern liegen blieben. Die Ascheschicht halte das Wasser recht gut, die Sämlinge keimten schon nach wenigen Monaten unter den verbrannten Stämmen. Auch in einem von Insekten zerstörten Forst könne sich Wald effektiv erneuern, das zeigten etwa Erfahrungen im Nationalpark Bayerischer Wald, in dem vor Jahren der Borkenkäfer gewütet habe. „Dort, wo damals nicht gespritzt wurde, sieht es jetzt am besten aus“, sagt Ibisch.
Befragte Förster aus Brandenburg halten die Situation im feuchten Bayerischen Wald für nicht vergleichbar mit den trockenen, armen Böden im Nordosten. Würden sie ungeschützt der Sonne ausgesetzt, wüchse dort nur noch Gras. Ibisch weist das zurück. Man dürfe eben nicht alle Stämme entnehmen. Viel Totholz verhindere Vergrasung. Der Wald mache sich seinen Boden selbst, reichere Humus an und halte das Wasser immer besser zurück.
Mutige Förster
Neben Kiefern kämen zuerst vor allem Birken und Weiden. Das Problem sei nicht, dass sich keine Bäume ansiedelten, der Wald baue sich neu auf, werde struktur- und artenreich. „Nur aus kurzfristig-ökonomischer Perspektive ist dies ein Problem. Langfristig rentiert sich das. Leider muss ein Förster heute mutig sein, wenn er weniger eingreift und den Wald selber machen lässt“, sagt Ibisch.
Um mehr Perspektiven sichtbar zu machen, müssten dem aus seiner Sicht noch immer dominierenden „klassischen“ Ansatz in der Forstwissenschaft – nach dem Nachhaltigkeit nur bedeutet, dass immer genügend Bäume nachwachsen – ökologische Alternativen hinzugefügt werden, sagt Lutz Fähser.
Zurzeit arbeite ein Netzwerk aus der Zivilgesellschaft daran, Sponsoren für Stiftungsprofessuren zu gewinnen. „Wenn wir einen anderen Wald wollen“, sagt er, „brauchen wir dringend eine andere Ausbildung.“
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