Öffentlich-private Partnerschaften: Privatautobahn vor der Pleite
Betreiber eines privat finanzierten Teilstücks der A1 haben Finanzprobleme und wollen mehr Geld vom Bund. ÖPP-Kritiker sehen sich bestätigt.
Das Konsortium aus einem britischen Investitionsfonds und einem Papenburger Bauunternehmen hat demnach in einem Brief an das Bundesverkehrsministerium von einer „existenzbedrohenden Situation“ gesprochen und Geld vom Staat gefordert. Am Montag untermauerte der Betreiber seine Forderung laut SZ und verklagt die Bundesrepublik auf eine Zahlung von 640 Millionen Euro.
Bei ÖPP-Projekten werden Autobahnen von privaten Investoren gebaut und betrieben; diese erhalten im Gegenzug 30 Jahre lang einen Anteil der dort anfallenden Maut. Das 73 Kilometer lange A1-Teilstück gilt Befürwortern solcher Modelle bisher als Musterbeispiel, weil der sechsspurige Ausbau zwischen 2008 und 2012 in Rekordzeit fertig gestellt wurde. Doch die Maut-Einnahmen blieben offenbar hinter den Erwartungen des Investors zurück.
Der Sprecher von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bestätigte am Mittwoch den Eingang des Briefs. Der Betreiber fordere „eine Veränderung der Vergütung“, sagte er. Dies lehne die Bundesregierung ab. Fragen zur Grundlage der Forderung und zu den Folgen einer möglichen Insolvenz beantwortete er nicht; die Verträge mit den ÖPP-Betreibern sind geheim. Auch das Betreiberkonsortium ließ eine Anfrage der taz unbeantwortet. Vermutlich würden auf den Bund im Fall einer Insolvenz des Betreibers aber erhebliche Kosten zukommen.
Die Große Koalition hatte im Juli beschlossen, die deutschen Autobahnen an eine privatrechtlich organisierte Infrastrukturgesellschaft zu übertragen. Eine direkte Privatisierung wurde auf Druck der SPD ausgeschlossen, ÖPP-Projekte wie das jetzt von der Pleite bedrohte bleiben aber ausdrücklich erlaubt und werden nach Ansicht von Kritikern künftig leichter umgesetzt werden können.
Sven Kindler, Grüne
Trotzdem versuchte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz am Mittwoch den Eindruck zu erwecken, seine Partei habe durchgesetzt, dass es künftig keine vergleichbaren Fälle mehr geben könne. „Wie gut wir beraten waren, da nicht locker zu lassen, sieht man jetzt im Fall der A1“, behauptete Schulz in der WAZ.
ÖPP-Kritiker sehen sich durch die Entwicklung bestätigt. „Die Privatisierungsstrategie von Dobrindt ist gescheitert“, sagte Grünen-Haushälter Sven Kindler. „Die Zeche zahlt der Steuerzahler“, warnt Jan Korte (Linke). Laura Valentukeviciute von der Initiative Gemeingut in BürgerInnenhand warf Dobrindt vor, die Informationen absichtlich zurückgehalten zu haben: „Mit dieser Information – dass die Kosten für das angebliche ÖPP-Vorzeigeprojekt auf der A1 nach neun Jahren erheblich steigen – wäre die für die Grundgesetzänderung erforderliche Zweidrittelmehrheit womöglich nicht zustande gekommen“, sagte sie.
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