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Odesa Photo Days in HamburgWas sie zurücklassen

Die Odesa Photo Days zeigen auf diversen künstlerischen Wegen, was derzeit in der Ukraine geschieht. Aktuell sind sie in Hamburg zu Gast.

24. Februar 2022 um 5 Uhr morgens: Aufwachen von Explosionsgeräuschen, aus der Serie „War Diary“ Foto: Liza Bukreieva

Der Ausstellungstitel „The New Abnormal“ unterstreicht einen Anspruch. Er darf uns nicht Normalität werden, dieser Krieg in der Ukraine. Da ist es vielleicht folgerichtig, wenn die Odesa Photo Days in Hamburg mit Bildern des Vorläufigen, des Improvisierten beginnen. Denn im Erdgeschoss des Containergebäudes vom Phoxxi, jener Ausweich-Location des Hauses der Photographie in den Deichtorhallen, hängen zunächst Pavlo Dorohois Fotografien von Zugabteilen, die zum Wohnen zweckentfremdet wurden. Habseligkeiten sind in Plastiktüten, Plüschtiere auf provisorischen kleinen Betten verstaut. Stoffe hängen vom Gestänge herab, vielleicht zum Trocknen, vielleicht aber auch, um ein wenig Privatheit herzustellen an diesem Ort.

Dorohoi fotografierte die Abteile der Charkiwer Metro. Sie sind während des russischen Angriffskriegs für die Menschen zum Fluchtort geworden. Jeder habe versucht, „ein Stück seines Hauses in den Bahnhof zu bringen“, schreibt Dorohoi dazu.

Da liegen sie im Schnee

Seit 2015, als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine, den Russland bereits 2014 begann, gibt es die Odesa Photo Days. Aufgrund der Invasion im Februar können sie nicht in Odessa stattfinden. Ihre Ma­che­r*in­nen verlegten sich vielmehr darauf, in aller Welt bekannt zu machen – darunter in Paris, Kopenhagen, nun Hamburg –, was in der Ukraine geschieht. Auch Dorohois zeitgenössische Magazinfotografie aus der U-Bahn in Charkiw will dokumentieren, ohne Ästhetisches hintanzustellen.

Die Ausstellung

„The New Abnormal“.

Odesa Photo Days im Phoxxi, Hamburg.

Bis 3. November.

Ein Ansatz, der sich in etlichen Exponaten wiederfindet, mal mehr, mal weniger nahe am Erwartbaren. Sind bei Nazar Furyks „Single Works“ gleich die Einschusslöcher und andere Beschädigung durch russisches Militär ins Zentrum gerückt, treten bei Oksana Pafeniuk die noch ungelenk ins Soldatische sich einfindenden Teil­neh­me­r*in­nen eines Zivilschutztrainings auf: Da liegen sie im Schnee mit ihren Kalaschnikow-Attrappen – nur wenige Tage vor dem 24. Februar.

Charkiw, Wohnen in der Metro während des Angriffskriegs, aus der Serie „Traces of Presence“ Foto: Pavlo Dohoroi

Umgenutzt, zweckentfremdet sind die Stühle, die Elena ­Subach am Grenzübergang Uschhorod fotografiert hat. Wieder sehen wir nicht die, die vielleicht eben noch darauf saßen, sondern nur darauf Zurückgelassenes. Die Getränkebecher etwa, von Hel­fe­r*in­nen an die Menschen verteilt, die hier auf die Ausreise in die Slowakei warteten. Elena Subach ließ Stillleben entstehen, nicht Porträts. Sie wolle „den Menschen nicht den letzten Rest an Privatsphäre rauben“, begründet sie diese Entscheidung. An diesen Grenzübergängen trennen sich auch Familien, Paare.

Gezeichnete Gesichter

Im Auftrag des New York Times Magazine fotografierte Alexander Chekmenev rund zwei Dutzend derer, die in der großteils evakuierten Stadt Kiew ausharrten; ganz normale Leute, die nun zu Sol­da­t*in­nen in eigener Sache wurden. Bemerkenswert, wie der 52-Jährige – mit Abstand der Älteste unter den Ausstellenden – die Porträtierten in Szene setzt. Im Mittelformat, einer im Journalistischen eher ungewöhnlichen Fototechnik. Wie er dabei mit Licht, aber mehr noch Dunkelheit arbeitet, wie er die Kontraste herausarbeitet zwischen lesbaren, von Unsicherheit und Müdigkeit gezeichneten Gesichtern und teils nachtschwarzem Hintergrund, das hat mit Nachrichtenbildern wenig zu tun.

Dafür erinnert seine Serie „Citizen of Kyiv“ verblüffend an die – freilich in Öl gemalten – „Kaarslichtjes“ eines Godfried Schalcken aus dem späten 17. Jahrhundert. Nächtliche Porträts, in denen das Licht immer prekär wirkt, als könnte es jederzeit erlöschen. (Zwei solcher Schalckens, ausgeliehen aus New York, können gerade in der Hamburger Kunsthalle angesehen werden.)

Weit weg vom konventionell Reportagehaften ist Liza Bukreievas „War Diary“. Sie kommentiert die Tage nach dem russischen Einmarsch in Schwarz-Weiß-Fotos und Texten, und das höchst subjektiv, assoziativ: Schneeflocken schmelzen in der unscharf bleibenden Hand der Fotografin; eine altmodische Uhr, dazu der Hinweis, an diesem Morgen sei die Familie erstmals zum Geräusch ferner Explosionen wach geworden. Zeigt Bukreieva doch mal Panzersperren, dann greift sie zur Inversion: weiß leuchtende Xe, wie auf einem Negativbild, vor geisterhaft blassen Baumumrissen unter einem nun tintenschwarzen Taghimmel.

Sasha Kurmaz entfernt sich noch mehr von der konkreten Aktualität dieses Kriegs. Seine rot eingefärbten Siebdrucke zeigen Details Kriegsversehrter, man kann sie nicht eindeutig datieren. Diese Verletzungen müssen die fragmentiert gezeigten Körper wohl schon im 19. oder ganz frühen 20. Jahrhundert erlitten haben, an vielleicht ganz anderen Fronten. Gewalt sei ein grundsätzliches „Problem“ des Menschen, kaum änderbar, schreibt dazu der 1968 geborene Kurmaz.

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