Oberbürgermeisterin gegen den Rat: Kunsthalle Osnabrück bedroht
Zwar nicht gleich abschaffen, aber „integrieren“: Osnabrücks Oberbürgermeisterin Katharina Pötter will der dortigen Kunsthalle an den Kragen.
Auch Katharina Pötter (CDU), seit Ende 2021 Oberbürgermeisterin von Osnabrück, hat einen neuen Dritten Ort ins Gespräch gebracht, „im Herzen unserer Altstadt“, mit „Kultur, einer großen Bibliothek und viel Raum zum Verweilen und für Begegnungen“. Da, wo sie ihn sich vorstellt, existiert allerdings schon etwas, seit Anfang der 1990er: die Kunsthalle. Die müsste dann weg. Oder sich verkleinern. Beides wäre ein Profilverlust für die Stadt.
Ihr gehe es „nicht darum, die Kunsthalle abzuschaffen“, sagt Pötter der taz, „sondern sie in ein größeres Konzept zu integrieren“. Die Halle habe „großartiges Potenzial“, aber man müsse „mehr Besucher“ interessieren. Sie frage sich, so Pötter, „ob wir mit dem aktuellen Konzept wirklich noch die überregionale Strahlkraft erzeugen, die wir schon einmal hatten“. Mit den „nackten Zahlen“ könne man „nicht zufrieden sein“.
Und dann rechnet sie auf: einerseits 1,3 Millionen Euro Gesamtkosten pro Jahr, bei zehn Stellen. Andererseits im Vor-Corona-Jahr 2019 nur 18.000 Besucher:innen. In jenem Jahr wechselte die bisherige Direktorin Julia Draganović nach Rom, die Nachfolgerinnen Juliane Schickedanz und Anna Jehle kamen erst 2020.
Fragwürdige Zielvorgabe
„Der Vorschlag ist also in der Welt, nun kann diskutiert und geprüft werden“, sagt Pötter. Ein Arbeitsauftrag, den Fortbestand einer der namhaftesten Kulturinstitutionen ihrer Stadt infrage zu stellen. Pötters Zielvorgabe für ihren Dritten Ort: mehr als 250.000 Gäste im Jahr.
Bloß: Über diese Schwelle kommt derzeit in Osnabrück keine kulturelle Einrichtung, heißt es bei der Stadt. Das meistbesuchte Museum ist stets das Museum für Natur und Umwelt mit mal knapp unter, mal etwas über 100.000 Besucher:innen. Die Stadtbibliothek liegt meist bei klar über 200.000, in die Kunsthalle kamen vor der Pandemie zuletzt jeweils etwa 20.000 Menschen im Jahr.
Elisabeth Lumme, Leiterin des avantgardistisch-experimentellen Osnabrücker Kunstraums „hase29“, versteht den Vorstoß der Oberbürgermeisterin nicht. Die Architektur des gotischen Kirchenschiffs, das den Kern der Halle bildet, habe „vielfach zu einmaligen, sehr spezifischen künstlerischen Interventionen geführt“, auf die Osnabrück „stolz zurückblicken“ könne.
„Den architektonischen Raum für Kunst aufzugeben oder im Volumen zu beschneiden, hieße, diese Qualitäten zu opfern“, sagt Lumme, „ohne zu wissen, ob das alternative Konzept eines Dritten Ortes wirklich eine Chance hat.“
Überhaupt werde das gesellschaftlich relevante Potenzial bildender Kunst „leider häufig unterschätzt“, sagt Lumme. „Es wäre sehr bedauerlich, wenn das auch für die Kunsthalle gelten würde, Osnabrück wäre um einen inspirierenden Ort ärmer.“ Eine Halle für zeitgenössische Kunst erreiche „selten die Massen“. Aber: „Trotzdem ist sie sehr wichtig im Kultur- und Bildungsangebot einer Großstadt wie Osnabrück.“
Volker Bajus, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Rat der Stadt Osnabrück, sieht das ähnlich: Die Kunsthalle sei „der wichtigste Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst in Südwestniedersachsen“. Statt sie infrage zu stellen, solle man „das neue Kuratorinnen-Duo bei seinem Vorhaben unterstützen, die Kunsthalle noch mehr zu einem lebendigen Ort kultureller Verständigung zu machen“.
Grundsätzlich findet der Grüne die Idee eines Dritten Orts gut – aber der Standort sei ungeeignet. Der Rat werde keiner Umwidmung der Halle zustimmen: „Die Mehrheitsgruppe Grüne/SPD/Volt ist hier klar“, sagt Bajus. „Dafür wird es keine Mehrheit geben“, bestätigt Heiko Schlatermund, Sprecher für Kulturpolitik der SPD-Ratsfraktion. Er kann die Äußerungen der Oberbürgermeisterin „weder nachvollziehen noch teilen“.
Der taz sagt er: „Ich halte nichts davon, die Kunsthalle einzuhegen oder zu beschneiden. Ich bin für eine weitere Entwicklung zu einem bedeutenden Standort für zeitgenössische Kunst und Kultur.“ Für ihn schreie dieser Ort nach mehr Entfaltung. „Aber eben als eine Kunsthalle und nicht als einen Dritten Ort, wofür das Gebäude überhaupt nicht geeignet ist.“ Pötters Vorstoß sei ein Alleingang: „Eine Diskussion dazu hat es mit den Kulturpolitikern jedenfalls nicht gegeben.“
Auch die Freunde der Kunsthalle Osnabrück, ein Verein, der die Halle finanziell und ideell unterstützt, sind konsterniert. Der Vorschlag aus dem Rathaus zeuge „von Unkenntnis“, erklärt man „mit Empörung“. Pötter habe sich geäußert, „offensichtlich ohne die Arbeit der Kunsthalle zu kennen und das Gespräch gesucht zu haben“.
Die so gescholtene Politikerin Pötter kontert: Ihr Unkenntnis vorzuwerfen, zeige, wie weit manche Kritiker „sich von der Realität der Stadt entfernt haben“. Statt sich gegen sie zu stellen, solle der Verein mit ihr lieber eine „Modernisierung des Konzeptes anstreben“. Die Kunsthalle müsse den Anspruch haben, „nicht nur für eine kleine Fachwelt zu produzieren, sondern für die Bürgerinnen und Bürger, die sie mit ihren Steuern finanzieren“.
Oft intellektuell verstiegen
Sicher: Die derzeitig in der Halle gezeigte Kunst erschließt sich mitunter schwer, versteigt sich oft intellektuell – Anspruch und Wirklichkeit klaffen da auch schon mal auseinander. Aber ihr Programm zu popularisieren, das wäre kleingeistig. Und verspräche es überhaupt Erfolg?
Das Thema, schon in Pötters Wahlkampf ein Aufreger, hat Sprengkraft. Viele Beteiligte halten sich auffallend bedeckt. „Die Äußerungen unserer Oberbürgermeisterin Frau Pötter möchte ich nicht kommentieren“, sagt etwa Brigitte Neumann, kulturpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion. Auch Pötter selbst ist nicht wirklich offen. Ein persönliches Gespräch, von der taz angefragt, kommt nicht zustande, Detailfragen bleiben unbeantwortet, mehrmaliges Nachhaken ist nötig.
Auch die Kunsthallen-Leiterinnen Jehle und Schickedanz, von der taz um Kommentierung gebeten, müssen schweigen. Wer spricht, ist Wolfgang Beckermann, Osnabrücks Erster Stadtrat, zuständig für Bildung, Soziales, Kultur: „Die Arbeit der Kunsthalle findet im Rahmen der von den städtischen Gremien in der Vergangenheit festgelegten kulturpolitischen Ausrichtung statt.“ Heißt wohl: Alles bleibt beim Alten.
Vorerst.
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