Obdachlosigkeit in den USA: Bewegende Straßenstorys
„Invisible People“ dokumentiert das Leben US-amerikanischer Obdachloser mit Empathie. Wie wäre es, wenn wir sie als Menschen wie wir betrachteten?
Eine Anrede, eine Feststellung, eine Ortsangabe, eine Aufforderung. Die kurzen Videos der US-amerikanischen NGO „Invisible People“ folgen fast immer dem gleichen Muster – und vielleicht macht sie diese Einfachheit so stark.
Wir alle könnten das tun, ist die Botschaft, einen obdachlosen Menschen so einfach ansprechen, so zum Beispiel: „Cathy, you’re homeless here in Grants Pass (Oregon), you live in your car behind us, tell me about it.“ Oder übersetzt: „Eric, wir sind hier in Traverse City (Michigan), du bist obdachlos, erzähl mir davon.“
Die Antworten gehen einem nah, weil sie nah sind. Die Banalität der Gründe, die Menschen zu einem Leben auf der Straße verbannen, können wir nicht wegschieben mit dem Argument, in den USA sei ja eh alles schlimmer.
Ein Jobverlust, eine Trennung, ein Pflegefall, das Ausscheiden aus Betreuungsprogrammen, eine Erkrankung – wer hier als Erster die Tür schließt und behauptet, er sei weit entfernt von diesen Schicksalen, wiegt sich in falscher Sicherheit.
Website (https://invisiblepeople.tv/) und Social-Media-Kanäle (Youtube, X, Facebook, Instagram, Tiktok)
Die Ursachen bekämpfen
Auf der Website von „Invisible People“ heißt es: „Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem, wie die Öffentlichkeit Obdachlosigkeit wahrnimmt und wie die Politik reagiert. Die meisten Menschen machen die Betroffenen selbst für ihre Obdachlosigkeit verantwortlich.“ Erst dieses Unverständnis machte es unmöglich, die Ursachen der Obdachlosigkeit zu bekämpfen.
Bewegend ist dabei, wie viele der obdachlosen Menschen ihren katastrophalen Lebensbedingungen, der Verachtung und der Gewalt mit Mut, Humor und Eigenverantwortlichkeit begegnen.
Es gibt andere, dunklere Perspektiven auf das Phänomen – etwa den im Netz frei zugänglichen, tief verstörenden Dokumentarfilm „Florida Man“; und es gibt autobiografische Tiefenrecherchen, existenzialistische Klassiker wie Charles Willefords „I Was Looking for a Street“ („Ein Leben auf der Straße“) oder den aktuellen, ebenfalls frei zugänglichen, stocknüchternen Esquire-Bericht „The Invisible Man“ von Patrick Fealey.
Es gibt keine Wissenslücke. Was bleibt, ist das Fazit von Invisible People: „We need action now.“
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