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ORF-Journalisten in sozialen MedienMeinungsfreiheit abgeschafft

Robert Misik
Kommentar von Robert Misik

Der Chef des ORF will seinen Mitarbeitern verbieten, sich in Sozialen Medien politisch zu äußern. Das ist ein Kniefall vor der Rechtsregierung.

Bloß keine Herzen mehr vergeben: Selbst ein Like zählt als Meinungsäußerung Foto: dpa

D ie gesellschaftspolitische Stimmung in Österreich, im episodischen Durchlauf der vergangenen Tage: Bundeskanzler Sebastian Kurz fährt zum Treffen der Visegrad-Staaten und macht sich mit Wannabe-Diktator Victor Orban gemein, nachdem er sich zuvor demonstrativ auf die Seite von Markus Söder im Unionsstreit gestellt hat. Vizekanzler Heinz-Christian Strache jettete derweil nach Rom zu seinem Amtskollegen und Freund im Geiste, Matteo Salvini, einen rechtsradikalen Politrowdy, der gerade das Amt des Innenministers ergattert hat. Was früher Rechtsradikalen-Treffen im verrauchten Wirtshauszimmer gewesen wären, nennt sich heute Ministertreffen.

Und Österreichs Innenminister Herbert Kickl veranstaltete an der Grenze zu Slowenien mit Polizei und Militär eine große Show zur Flüchtlingsabwehr. Mangels echter Flüchtlinge wurden die abzuwehrenden Invasoren von Polizeischülern gemimt. Pressevertreter saßen wie in einem Amphitheater auf einer Tribüne und berichtete brav über Kickls große Show, die in den Sozialen Medien mit dem bisher von den rechtsradikalen Identitären benützten Slogan #proborders beworben wurde.

Und Angriffe auf Journalisten, die sich noch eine Unbotmäßigkeit herausnehmen, gehören ohnehin längst zur täglichen Übung – obwohl ein Großteil der Medien Sebastian Kurz längst huldigt wie einem Messias.

Neue Social-Media-Richtlinien

Es ist ein rasantes Kippen in Autoritäre, eine tägliche Zufuhr von neuem Gift mit ständiger Steigerung der Dosis. In dieser Stimmungslage schlug dann am Dienstag eine Art von Weisung des ORF-Generaldirektors noch einmal ein. Neue Social-Media-Richtlinien für Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Senders sollen erarbeitet werden und der Entwurf, der das Büro des ORF-Bosses verließ, hat es in sich.

Die Mitarbeiter des Senders haben fortan auf „öffentliche Äußerungen und Kommentare in sozialen Medien“ zu verzichten, „die als Zustimmung, Ablehnung oder Wertung von Äußerungen, Sympathie, Antipathie, Kritik und ,Polemik' gegenüber politischen Institutionen, deren Vertreter/innen oder Mitgliedern zu interpretieren sind“. Dies auch im „privaten Umfeld“, womit im Kontext von Social Media auch Kommentare im engeren Freundeskreis gemeint sein können. Aber nicht nur das: zu den künftig untersagten Wertungen zählen auch „Zeichen der Unterstützung/Ablehnung wie Likes, Dislikes, Recommends, Retweets oder Shares.“ Da gewiss im Einzelfall schwer zu beurteilen ist, was schon eine parteiliche Wertung, was nur ein ungläubiges Staunen ist, ersucht der Direktor elegant darum, „im Zweifel von einer Meinungsäußerung Abstand zu nehmen.“

Kurzum: Für Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist nicht nur die Meinungsfreiheit abgeschafft, wenn diese Dienstanweisung vom Entwurf zur Realität wird, selbst die journalistische Kernaufgabe einer Wertung und Beurteilung politischen Handelns ist ihnen dann untersagt.

Kniefall vor der neuen Macht

Damit macht ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz einen Kniefall vor der neuen Macht, der ÖVP-FPÖ-Koalition, die einen solchen Maulkorberlass lange gefordert hat. Die Rechte an der Macht will generell mit dem kritischen Journalismus aufräumen, von dem sie sich ungerecht behandelt fühlt, und besonders den ORF „neutralisieren“, wie das ein FPÖ-Spitzenfunktionär bei einer Rede vor AfD-Freunden sagte, denen er Tipps für die rechte Machtübernahme gab. Angst soll in die Köpfe gepflanzt werden, damit sich Journalisten und Anchor-Leute nicht mehr so viel heraus nehmen.

In diesem Kontext ist der Weisungs-Entwurf des Generals zu sehen, der eigentlich aus der SPÖ stammt, aber berühmt für seine Wendigkeit ist – und auch für seine Überlebenskunst.

Natürlich kann man darüber diskutieren, wie sehr sich öffentlich-rechtliche Journalisten exponieren sollen. Gebührenfinanziertes Fernsehen und Radio ist per Definitionem kein Tendenzmedium, und besonders politische Journalisten, die On Air in alle Richtungen kritisch und in dieser Rolle glaubwürdig sein müssen, tun schon gut daran, auf anderen Kanälen nicht wie Partisanen zu agieren. Aber das wissen ohnehin alle und können mit dieser Rolle auch gut umgehen. Aber gerade diese Unbestechlichkeit beinhaltet ja auch, in alle Richtungen kritische Wertungen abzugeben, und diese kann man in der Regel nur aus der Perspektive der eigenen Haltung formulieren. Aber geschenkt – über all das könnte man wohlfeil debattieren, wäre da nicht der eindeutige Kontext. Und der lautet: Journalisten, die ohnehin dauernd von den Ultrarechten angegriffen werden, einen Maulkorb umzuhängen.

In der realen Situation Österreichs würde das noch einmal absurdere Folgen haben: In die Ministerbüros der Rechtsradikalen sind ganze Heerscharen rechter Kampfkommunikatoren eingezogen, die gerne auch Journalisten kritisieren. Die ORF-Mitarbeiter dürften sich, nähme man die Dienstanweisung ernst, künftig nicht einmal wehren.

Gestern nahm die ganze Angelegenheit dann noch einmal einen bizarreren Twist: Selbst der Regierung geht mittlerweile der Kniefall von Wrabetz zu weit. Sebastian Kurz ließ wissen, er sei „mehr als nur überrascht“, und sehe die Leitlinie „sehr kritisch“. Kurz: „Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut.“

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
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