Nutzungskonflikt im Soldiner Kiez: Kein Platz im Prinzengarten
Ein Gartenprojekt im Wedding sollte einem Schulneubau weichen. Wegen Platzmangels ist das Vorhaben vom Tisch. Sicher ist der Garten aber nur bis 2023.
„Hände weg vom Prinzengarten!“, fordert ein Gärtner, den hier alle Chromi nennen. Er steht unter einem schwarzen Gartenzelt, während er Gästen seinen Standpunkt bei Sonnenschein und Limonade näherbringt. Am letzten Freitag fand hier eine Diskussion für oder gegen den Erhalt des Gartens statt. Urban Gardening sei „mehr als nur Grünfläche“, sagt Chromi. Es fördere „niederschwellige Inklusion ohne Leistungsgedanken“, mache „Kindern im Problemkiez nachbarschaftliche Angebote“ und fungiere damit „als kostenloses Streetwork“. Außerdem sei der klimaschützende Effekt im dicht bebauten Kiez von immenser Bedeutung.
Die „natürliche Klimaanlage“ dürfe nicht zerstört werden, findet auch Conny. Sie ist Geoökologin, Anwohnende und Gärtnerin. In der Gartengruppe sind alle per du und wollen deshalb auch in der Zeitung nur mit ihren Vornamen erwähnt werden. Die Panke, ein kleiner Wasserlauf, der sich nur wenige Schritte vom Garten entfernt befindet, erlaube einen „Luftmassenaustausch und bilde mit dem umgebenden Grün eine stadtklimatologische Pufferzone, von der der Soldiner Kiez profitiere“, erklärt Conny. Eine Bebauung würde diese Luftschneise unterbrechen und damit zur Aufheizung der Stadt beitragen.
Der Prinzengarten befindet sich im 3. Hinterhof der Prinzenallee 58. Er ist vor 11 Jahren buchstäblich aus einem Parkplatz erwachsen und wird von etwa 60 Aktiven aus der Nachbarschaft ehrenamtlich gepflegt. Die Nutzung des Gartens ist für alle immer möglich; es ist ein öffentlich zugänglicher Ort.
„Beispiel für diese Form der Exklusion“
Im Frühjahr 2021 erhielt zunächst ein Teil des Gartens eine Kündigung, und seitdem ist unklar, wie oder ob es auf den 1.500 Quadratmetern weitergeht. Die neueste Planung sah vor, einen modularen Erweiterungsbau der Charlotte-Pfeffer-Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung auf dem Gelände in der Prinzenallee zu realisieren.
Elfi von der Initiative Kiezgärten beanstandet dieses Vorhaben grundsätzlich: „Laut UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung dürfen Schulkinder nicht vom allgemeinen Schulsystem ausgeschlossen und in gesonderte Strukturen gedrängt werden. Der geplante Neubau ist ein Beispiel für diese Form der Exklusion“, sagt Elfi.
Um im Rahmen einer Bürgerbeteiligung in Austausch zu kommen, wurde diese Infoveranstaltung seitens des Bezirks Mitte, zu dem der Ortsteil Wedding gehört, organisiert. Auch Ephraim Gothe (SPD), Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, und Stefanie Remlinger (Grüne), Bezirksstadträtin für Schule, Sport, Weiterbildung und Kultur, kamen daher in den Prinzengarten.
Das Projekt sei auf mehreren Ebenen ein Gewinn für den Bezirk, behaupten die Gartenfreunde. „Das eine ist das ökologische Klima, das andere ist das soziale Klima“, fasst es ein Gärtner zusammen. Die Verantwortlichen in den Verwaltungen hingegen suchen händeringend nach Standorten, um die Schulpflichtigen in Mitte mit Schulraum zu versorgen. Die Lokalpolitiker sind zum Termin gekommen und versuchen die Menschen für die Notwendigkeit von Schulneubauten und die Probleme, dafür Standorte zu finden, zu sensibilisieren.
„Es wird nicht gebaut“
„Ich komme gerade von einem weinenden Schulleiter“, sagt Bezirksstadträtin Remlinger. Sie sitzt unter dem schwarzen Gartenzelt auf einem Stuhl. Hinter ihr wurde ein Stadtplan des Bezirks aufgestellt. „Wo sollen wir nur die ganzen Kinder unterbringen?“, fragt Remlinger und berichtet mit stockender Stimme von besonderen Herausforderungen, junge Schüler*Innen mit geistiger Behinderung zu beschulen. Hierfür brauche es Zufahrtswege für die Sonderfahrdienste, barrierefreie Räume und gut geschultes Personal. Da der Platz nach eingehender Prüfung jedoch nicht ausreiche, um das Projekt im Prinzengarten zu realisieren, sagt sie schließlich: „Es wird nicht gebaut.“
Es geht ein Raunen durch die Reihen, dann klatschen die meisten.
„Der Bezirk halte sich die Fläche jedoch weiterhin vor“, so Remlinger weiter. Eine Zusage, den Garten als solchen zu erhalten, gibt sie bis Ende 2023. Die Bezirksstadträtin bittet an diesem Nachmittag um aktive Unterstützung: „Bitte melden Sie sich, wenn Sie einen alternativen Standort kennen“, sagt sie fast flehentlich.
Ein Teilerfolg
Zunächst konnte der Prinzengarten also einen Teilerfolg verbuchen. Es gab einen ersten Austausch zwischen allen Parteien, und Bezirksstadträtin Remlinger versichert, „weit vor Ende 23 über den Stand der Dinge zu informieren“. Insbesondere der Neubau einer Mensa für die Charlotte-Pfeffer-Schule, die kleiner als das eigentlich avisierte Projekt sein soll, sei für den Standort Prinzenallee 58 im Gespräch.
Bezirksstadtrat Gothe (SPD) hat nichts Wesentliches zu vermelden. Er informiert über einen Zuwachs von Einwohnenden im Bezirk und leitet daraus einen perspektivisch noch größeren Bedarf an Flächen ab. Es bleibt also abzuwarten, ob der Prinzengarten über einen längeren Zeitraum als ein Freiraum für Feste, Nachbarschaftlichkeit und als Pufferzone gegen den Klimanotstand im quirligen Soldiner Kiez erhalten werden kann. Und für die Schulkinder findet sich hoffentlich bald ein alternativer Standort, der den Bedürfnissen gerecht wird. Im Idealfall muss dafür kein anderes wichtiges Sozialprojekt weichen.
Katrin, ebenfalls Gärtnerin, missfällt die „mangelnde Kommunikationsbereitschaft seit der Kündigung“. Dem Garten sei ohne Erklärung gekündigt worden. Sie wünscht sich, dass „insgesamt mehr Akzeptanz für Stadtgärten da ist und dass progressiver gedacht wird“. Dieses Argument stützt auch Kerstin Stelmacher vom Netzwerk urbane Gärten. „Es gibt keinen einzigen gesicherten (Stadt-)Garten in Berlin“, sagt sie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid