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Nutzung des Hamburger JungfernstiegsEin Wohnzimmer für junge Menschen

Kaija Kutter
Kommentar von Kaija Kutter

Pünktlich zum Frühling warnt die Lokalpresse wieder vor Jugendgangs am Alsteranleger. Derweil fordert ein Jugend-Gipfel mehr öffentliche Räume.

Ein schönes Wohnzimmer – gerade auch für die Vorstadt-Jugend Foto: Christian Charisius/dpa

E in unbeschwerter Aufenthalt mit Alsterblick am Jungfernstieg wird nicht jedem gegönnt. So wusste das Hamburger Abendblatt zu berichten, dass zwar zwei bekannte Jugendgangs dort nicht mehr anzutreffen sind, nachdem zwei führende Köpfe verhaftet wurden. Doch die Polizei erwartete, dass sich dafür eine „neue Klientel an der Binnenalster tummeln und Probleme machen könnte“. Deshalb melde sich die „Soko Alster nach der Winterpause zurück“.

Man habe nun „eine völlig neue Szene am Alsteranleger, die mit dem besser werdenden Wetter langsam größer wird“, zitiert das Blatt anonym einen Beamten. Gleich geblieben sei, dass es sich „vorwiegend um Jugendliche um 14 bis 20 Jahre“ handle, vielfach mit „Migrationshintergrund“. Tja, auch schon einem früheren Artikel war zu entnehmen, dass diese jungen Menschen „in der Regel“ in öffentlichen Unterkünften wohnen. Das sei zumeist mit großen Familien und wenig Platz verbunden. Da sei der „gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichende Jungfernstieg für viele so etwas wie das ‚Wohnzimmer‘“.

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Der Jungfernstieg ist eine der feinen Hamburger Adressen, Nobelkaufhäuser, Luxushotels und die Reederei Hapag-Lloyd sind in Sichtweite. Was immer die jungen Leute dort jetzt treiben, die Überwachungskameras sind pünktlich seit 1. April an und die „Soko“ wird es verfolgen.

Einen ganz anderen Blick auf das Thema warf in der Woche zuvor der „Hamburger Kinder- und Jugendhilfegipfel“. Die Jugendhilfe hat die Aufgabe, jungen Menschen Räume zu ermöglichen, in denen sie sich treffen und ausprobieren können. Doch in Hamburg wird diese Offene Kinder- und Jugendarbeit seit Jahren bespart. Es gibt weniger Angebote als 2012, obwohl gut 30.000 junge Menschen mehr in der Stadt leben.

Es fehlen Angebote für Kinder in Unterkünften

Wohin die Kinder und Jugendlichen denn gehen sollten, die in den Unterkünften sind?, fragte Sozialarbeiter Yama Wasiri bei dem Treffen. Diese Angebote fehlten. Meist lägen die Unterkünfte in Gewerbegebieten, wo die Kinder total isoliert seien. Schon ihr Weg zur Schule sei eine Herausforderung, sagte ein Mädchen, das mit sechs Geschwistern in einer Unterkunft lebt.

Der Kinder- und Jugendhilfe-Gipfel ist ein Zusammenschluss von Akteuren, die in der Jugendhilfe etwas zum Guten bewegen wollen. Der Leiter des Hamburger Amtes für Familie, Dirk Bange, war dabei und versprach, sich des Problems der Unterkünfte einmal anzunehmen. Eine Jugendgruppe aus Rissen berichtete, dass es unmöglich war, selber einen Jugendtreff ins Leben zu rufen. Zu groß seien die amtlichen Hürden.

Dabei sagt Paragraf 4a des Jugendhilfegesetzes, dass Kinder und Jugendliche ein Recht auf selbst organisierte Zusammenschlüsse haben und der Staat dies „anregen und fördern“ soll. Zu den Forderungen des Gipfels gehört denn auch eine Idee des Sozialwissenschaftlers Timm Kunstreich: „Wenn zehn Jugendliche zusammen einen Antrag stellen, für einen Raum, den sie haben wollen, dann muss der Bezirk dafür sorgen, dass sie den bekommen.“

Vielleicht ein Skateboard-Verleih

Ein solches Prinzip habe in den letzten zehn Jahren der DDR gegolten und zur Bildung von vielen Jugendclubs geführt. „Die sieben Hamburger Bezirke müssten ein Budget bekommen, um das zu finanzieren“, ergänzte Ronald Prieß vom Arbeitskreis Kinder, Jugend und Bildung der „Patriotischen Gesellschaft von 1765“, in dessen historischen Gebäude unweit der Alster der Jugend-Gipfel tagen konnte.

Das vielleicht bekannteste Haus am Jungfernstieg ist der Alsterpavillon direkt an der Kaimauer, der gerade neu verpachtet wird. Dort wäre eine Jugend­etage doch ganz passend, zumindest im Souterrain oder in einem kleinen Pavillon daneben wäre gewiss dafür Platz. Statt „Soko“ und Kameras gäbe es an Hamburgs Flaniermeile Angebote der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, mit Skateboard-Verleih vielleicht. Dann könnte keiner mehr sagen, dass Jugend an diesem Ort nichts zu suchen hat.

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Kaija Kutter
Redakteurin taz-Hamburg
Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.
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