Nullwachstum in Deutschland: Autoindustrie als Risikofaktor
Die Wirtschaftsweisen fordern feste Investitionsquoten. Die Regierung soll sich keine Konsumausgaben genehmigen können.

Diese Mittel – momentan wären das rund 50 Milliarden Euro jährlich – sollten im normalen Haushalt neben dem neuen, schuldenfinanzierten Infrastrukturfonds von 500 Milliarden Euro bereitstehen. Dies sei nötig, erklärte Ökonomin Ulrike Malmendier, weil die Regierung ihren Etat sonst für Konsumausgaben nutzen könne – „Stichworte Mütterrente, Agrardiesel-Subventionen, Gastrosteuersenkung“. Die 10-Prozent-Quote steht zwar in einem gemeinsamen Beschluss von Union, SPD und Grünen, aber der höhere Anteil müsse auch festgezurrt werden, sagten die Wirtschaftsweisen. „Es kommt kritisch auf die Zusätzlichkeit an“, fordert Ökonom Joachim Truger.
Damit außerdem „zukunftsorientierte Ausgaben für Infrastruktur, Bildung und Verteidigung nicht wieder ausbleiben oder zu gering ausfallen, sollten ein dauerhafter Fonds für die Verkehrsinfrastruktur mit eigenen Einnahmen sowie Mindestausgabenquoten für Bildung und Verteidigung gesetzlich geregelt“ werden.
Für das Militär schlagen die Wirtschaftsweisen eine 2-Prozent-Quote im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung im Bundeshaushalt vor. Bisher will die Regierung alle Verteidigungsausgaben über 1 Prozent mit neuen Krediten finanzieren – das aber könnte die Neuverschuldung zu sehr in die Höhe treiben.
Das Gutachten bestätigt die ernüchternde Erkenntnis, dass der Laden momentan nicht läuft. Null Prozent Wirtschaftswachstum hierzulande, Stagnation, lautet die Diagnose für dieses Jahr. 2026 wären demnach mit 1 Prozent zu rechnen, immerhin, wobei die Lage unsicher bleibt. Aber das Gremium geht davon aus, dass der 500-Milliarden-Euro-Investitionsfonds und die höheren Militärausgaben die Produktion anschieben. Zum Beispiel werde die „Bauwirtschaft expandieren“, sagte Wirtschaftsweise Veronika Grimm.
Schnitzer rechnet mit keinen Massenentlassungen
Während die Inflation im kommenden Jahr leicht auf 2 Prozent zurückgehen könnte, sollen die Löhne durchschnittlich um 2,7 Prozent steigen, wodurch die Privathaushalte mehr Geld auf den Konten hätten. Die Arbeitslosigkeit bleibt mehr oder weniger da, wo sie jetzt ist, bei 6,1 Prozent. Mit Massenentlassungen sei nicht zu rechnen, erklärte Monika Schnitzer, die Vorsitzende des Gremiums.
Das alles liegt nicht nur in deutscher Verantwortung, sondern hat auch globale Ursachen: Die Weltwirtschaft schlumpft mit vergleichsweise niedrigen 2,1 Prozent dahin.
Für Baden-Württemberg und Bayern heißt es: Aufpassen! Denn für diese Bundesländer und weitere Regionen etwa um Bremen, Düsseldorf, Köln, Hamburg oder Halle-Leipzig enthält das Gutachten eine deutliche Warnung. „Von künftigen wirtschaftlichen Umbrüchen besonders betroffen“ seien „Regionen mit einer starken Spezialisierung auf das wissensintensive Verarbeitende Gewerbe wie die Automobilbranche oder die chemische Industrie“. So machten sich große Veränderungen auch in den Gegenden bemerkbar, die bisher die industriellen Wachstumstreiber waren.
Mehr Investitionen in Infrastruktur und Bildung gefordert
Den Strukturwandel beschreiben die Wirtschaftsweisen mit den Stichworten „Handelskonflikte, Dekarbonisierung, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und demografischer Wandel“.
Als Reaktion befürwortet der Sachverständigenrat unter anderem „gezielte Investitionen in lokale Infrastruktur, Unternehmen, Bildung und Umschulung“. Alte Industrien und Produktionsverfahren künstlich am Leben zu erhalten, habe hingegen wenig Sinn.
Ökonom Martin Werding präsentierte Ideen, wie die Politik die Arbeit der Unternehmen erleichtern könnte. Er sprach sich für „Genehmigungsfiktionen“ aus: Habe eine Firma eine Genehmigung beantragt, von der Behörde innerhalb einer bestimmten Frist aber keine Entscheidung erhalten, solle die Erlaubnis als erteilt gelten. Dies ist einer von vielen Vorschlägen aus der Abteilung „Bürokratieabbau“.
Nicht in allen Punkten konnten sich die Weisen einigen. Grimm gab mehrere Minderheitsvoten ab. Sie argumentierte, die in Deutschland geplante höhere Verschuldung werde die europäischen Schuldenregeln sprengen. Unter bestimmten Bedingungen ließe sich beides in Einklang bringen, meint dagegen die Mehrheit des Gremiums.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Arbeitszeitbetrug-Meme
Arbeitgeber hassen diesen Trick
Indischer Schriftsteller Pankaj Mishra
„Gaza hat die westliche Glaubwürdigkeit untergraben“
Neue EU-Sanktionen gegen Russland
Zuckerbrot statt Peitsche
Trump und Putin am Telefon
Nichts als Floskeln
Wisente in Deutschland
Riesen hinter Gittern
Bundesanwaltschaft nimmt Jungnazis fest
Tatvorwurf: Terror