Novelle über Sexarbeit: Von Beruf Frau
Christian Schmacht schreibt in „Fleisch mit weißer Soße“ über die Arbeit im Bordell. Was hat sie mit der Revolution und Schönheitsidealen zu tun?
Schmacht wurde bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugeschrieben, obwohl er ein Mann ist. Von Beruf aber ist er Frau: Der 27-Jährige arbeitet in einem Berliner Bordell, tritt dort als Frau auf. Und er schreibt darüber. Sein erstes Buch „Fleisch mit weißer Soße“ ist eine höchst persönliche Novelle, die vom Alltag eines Sexarbeiters und trans Mannes handelt. Seine Gedanken kreisen immer wieder um Machtverhältnisse, Klasse, Rassismus und Benachteiligungen von Sexworker*innen, Migrant*innen, Frauen und LGBTQIA. Auch um Freund*innenschaften, Liebe und Vertrauen geht es. Stilistisch erinnert die Novelle mal an ein Tagebuch, mal an ein politisches Pamphlet. Schmacht zeigt mit dem Finger auf ein Buch von Ronald M. Schernikau, seinem Lieblingsautor, der sein Schreiben sehr beeinflusst hat.
Wenn Schmacht von „Revolution“ spricht, meint er eine neue Ordnung, in der die Wertschätzung von Arbeit neu definiert wird. Ihm geht es vor allem darum, feminisierte Arbeiten, die heute meist abgewertet werden, unter- oder unbezahlt sind, ins Zentrum zu rücken: Pflegearbeit, Sexarbeit oder das Kochen und Putzen für Angehörige: „Selbst Ulrike Meinhof war später klar – wenn der SDS Tomaten wirft, dann wirft er einer weiteren Frau eine unbezahlte Nachtschicht zu“, lautet eine Stelle in Schmachts Buch; „wenn sie nämlich die Klamotten des tomatengetroffenen Mannes sauber schrubben muss.“
In „Fleisch mit weißer Soße“ feiert Schmacht auch Uschi Obermaier und Amber L. Hollibaugh als Heldinnen: Frauen, die durch Sexarbeit ihre Kommune unterstützten („Ohne pussy money keine Kommune eins“). Auch ihm gibt die Sexarbeit genug Zeit zum Nachdenken, Schreiben und für sein politisches Engagement: „Wäre ich in irgendeiner anderen Branche, müsste ich für dasselbe Geld viel länger arbeiten.“
Frauen geschlechtslos machen
Schmacht schreibt regelmäßig Kolumnen für das Missy Magazine. Eines der Kernthemen seiner Artikel und auch seines Buchs ist die internalisierte Frauenfeindlichkeit in vielen linken Bewegung. Emanzipation in linken Räumen werde meist damit verwechselt, Frauen geschlechtslos zu machen, glaubt der Autor: „Denjenigen, die sich gern schminken oder eine feminine Art haben, sich zu kleiden, egal ob cis oder trans, wird die Schuld dafür gegeben, dass andere Gewalt gegen Femininität ausüben.“ Damit entsolidarisiere man sich sowohl von cis Frauen als auch von trans Frauen und Sexarbeiter*innen. In Deutschland sei es Norm, sich wenig zu schminken und dennoch feminin zu sein. „Wenn man so aussieht, kann man lange genug durchkommen, aber letzten Endes schützt das keine cis Frau davor, Gewalt zu erfahren“, sagt Schmacht. „Auch wenn sie so aussehen, werden sie nicht respektiert.“
Über Christian Schmachts Kleiderschrank liegen zwei Perücken, eine blonde und eine pinke. Rechts steht ein Schminktisch mit Make-up-Döschen und vielen Pinseln. Schmacht ist sehr gut darin, feminin auszusehen, Selbstdarstellung und Körperinszenierung spielen eine große Rolle in seinem Beruf. Geld ausgeben nennt er „Selbstliebe“, in seiner Novelle beschreibt der Sexworker seine Performance im Bordell bis ins letzte Detail: High Heels, lackierte Fingernägel, Perücken, Dessous. Häufig bekomme er von Freiern zu hören, dass er „so schön natürlich“ aussehe, sagt Schmacht. Also: „Nicht so girly. Nicht so künstlich. Nicht so feminin.“
Was damit gemeint ist: Er komme „als Mittelschicht“ rüber, so ohne künstliche Fingernägel, Haarextensions oder Silikonbrüste, die mit einer bestimmten Klasse oder Herkunft assoziiert würden. „Menschen freuen sich selbst im Puff darüber, dass jemand die bürgerlichen Schönheitsideale vertritt“, sagt Schmacht genervt. „Aber diese Natürlichkeit ist für mich ein ekelhafter Begriff, weil ich denke, dass er nur dazu dient, Leute zu entmenschlichen.“
Eine andere entwürdigende Praxis stellt für Schmacht das sogenannte „Prostituiertenschutzgesetz“ dar: Seit dem 1. Januar 2018 verpflichtet dieses Gesetz alle Sexarbeiter*innen, sich anzumelden – sonst dürfen sie nicht arbeiten. Schmacht hat sich unter einem Pseudonym registriert: „Alice Schwarzer“, eine der prominentesten Befürworter*innen des Gesetzes. Auch viele andere Sexarbeiter*innen wählten diesen Namen für die Anmeldung. Schwarzer und andere argumentieren, das Gesetz stärke diejenigen, die zur Sexarbeit gezwungen würden. Auch Schmacht findet es wichtig, über Zwangsprostitution zu sprechen. Doch für ihn geht es bei diesem Gesetz nicht um Schutz, sondern allein um staatliche Kontrolle – und um die Kriminalisierung von migrantischen Sexworker*innen und Sexworker*innen of Color.
Meldezwang und Datenmissbrauch
„Deutschland zwingt Menschen dazu, im Mittelmeer zu ertrinken, weil es kaum legale Wege für sie gibt, einzuwandern“, sagt Schmacht. „Aber wenn Menschen von Zuhältern erpresst werden, weil sie keinen Pass und damit keine Recht haben, stören sich plötzlich alle daran. Wie passt das zusammen?“ Wie das Gesetz diesen Menschen helfen soll, versteht er nicht. „Sollen diese Menschen vom Zwang der Zuhälter befreit werden, bloß um anschließend abgeschoben zu werden?“
Der Mensch: Christian Schmacht, 27, ist Sexworker und Autor. Er lebt in Berlin.
Das Buch: „Fleisch mit weißer Soße“ ist bei Edition Assemblage erschienen.
Das Thema: Am 21. April diskutiert Schmacht beim taz lab im Haus der Kulturen der Welt in Berlin mit Künstler*in Cleo Kempe Towers, Autor*in Francis Seeck und taz-Kolumnist*in Hengameh Yaghoobifarah über die Fallstricke feminin konnotierter, meist abgewerteter Sorgearbeit.
Außerdem sei keine Struktur erkennbar, die sicherstelle, dass die Daten der Sexarbeiter*innen vertraulich behandelt würden. Schmacht geht davon aus, dass seine Daten missbraucht werden. Er erzählt, wie eine Kollegin mal auf einer Demonstration von Polizist*innen kontrolliert wurde – und diese schnell herausfinden konnten, dass sie Sexarbeiterin ist. Sie hätten ihr damit gedroht, ihre Identität zu enthüllen. Das war lange vor dem Prostituiertenschutzgesetz.
Mehr Schutz als der sogenannte „Hurenpass“ würde ein gesellschaftliches Klima bieten, in dem Sexarbeiter*innen über ihre Gewalterfahrungen sprechen können, ohne Victim-Blaming zu erfahren, sagt Schmacht. „Auf der Arbeit wurde ich einst von einem Nazi vergewaltigt, und habe darüber in meiner Kolumne geschrieben“, erzählt er. „Eine Person schrieb mir daraufhin, ich sei doch selber schuld. Nach dem Motto: ‚Deine Sexualität ist frei zugänglich, also kann man dich gar nicht vergewaltigen.‘“
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