„Notes of Berlin“-Regisseurin über die Stadt: „Berlin bleibt nicht mehr so attraktiv“
„Notes of Berlin“ erzählt von kleinen und großen Dingen. Regisseurin Mariejosephin Schneider darüber, warum nicht mehr so viele Menschen in die Hauptstadt wollen.
Selma ist schwanger. Als sie das in einem Café ihrer Mutter eröffnet, mischt sich die gesamte anwesende Community ein – eine junge Frau unterstützt sie und kritisiert die Bigotterie der türkischen Gesellschaft, eine andere beschwört sie, auf ihre Mutter zu hören. Währenddessen klebt ein handgeschriebener Zettel an dem Stromkasten vor einem Späti: „Rawad melde dich, du wirst Vater“.
Rawad dagegen hat gerade einen neuen „Job“ begonnen, als Handydieb. Aber nicht alle potenziellen Opfer lassen sich das gefallen. „Notes of Berlin“ erzählt von wichtigen, sehr wichtigen, unmöglichen, unglaublichen und nebensächlichen Dingen.
Wie flatternde rote Fäden lassen dabei authentische „Notes“, die in Berlin allgegenwärtigen Suche-, Finde-, Tausche- und Kommentarzettel an Stromkästen, Häuserwänden und Ampelsäulen, die vierzehn episodischen Geschichten ineinanderfließen, bringen Motive zu einem anderen Zeitpunkt wieder hoch und halten klassische (Großstadt-)Situationen fest, ohne je aufgesetzt oder klischiert zu wirken.
Themen wie Einsamkeit und Schüchternheit kommen genauso zur Sprache wie kulturelle Unterschiede, Geldnot oder der angespannte Wohnungsmarkt: Als Rosa, eine echte Berlinerin, ein WG-Zimmer besichtigen möchte, muss sie zunächst eine Nummer ziehen – ihre potenzielle designierte WG hat aus der Situation eine lukrative Party gemacht und hält zur Aufnahmeprüfung in der WG-Küche Hof, natürlich auf Englisch. Man nimmt 4 Euro für einen Wodka auf Eis …
geboren 1976 in Berlin. Studium an der Deutschen Film und Fernsehakademie Berlin (dffb). „Notes of Berlin“ ist ihr Debüt als Regisseurin eines Langfilms.
taz: Mariejosephin Schneider, wie kam es zu Ihrem Film?
Mariejosephin Schneider: Die Idee stammt vom gleichnamigen Blog und dem dazugehörigen „Notes of Berlin“-Buch, herausgegeben von Joab Nist. Ich war auf Stoffsuche, und beim Lesen der Zettel gingen bei mir eine Menge Räume auf. Ursprünglich wollte ich die vielen kleinen Geschichten von unterschiedlichen Menschen schreiben lassen, in einer Art „Film Lab“, eine Idee, die den beteiligten Redaktionen sehr gefallen hat. Das hat aber nicht immer funktioniert. Außerdem wollte ich eigentlich nur unbekannte Schauspieler und Schauspielerinnen besetzen. Jetzt ist es eine Mischung. Wir haben dann jedenfalls aufgrund der vielen Geschichten wahnsinnig lange sehr viele Leute gecastet. Und da der Blog so populär ist, hatten viele Menschen ganz genaue Erwartungen an den Film geknüpft. Das war also gar nicht so einfach.
Wie ist aus den Zetteln und ihren Geschichten ein Film geworden?
Wir haben etwa 6.000 Zettel gesichtet. Zunächst fragten wir uns, ob man überhaupt ohne klare Hauptfigur nur in Episoden erzählen kann. Die Zettel sollten die Protagonisten sein, die alles verbinden. Es gab zudem wenig Geld, wir konnten viele Geschichten gar nicht realisieren. Und die Produktionszeit war lang: Wir hatten schon 2015 angefangen, den Dreh aber zwischendurch mehrmals unterbrochen. Ich habe mittendrin auch noch ein Kind bekommen.
Was ist Ihre Lieblingsepisode?
Im Kino funktioniert jedenfalls die Geschichte mit Rosa sehr gut, die ein WG-Zimmer sucht, und dafür vor einer Art internationalem WG-Tribunal vorsprechen muss. Und die mit Alex, gespielt von Tom Lass, der einen Hasen in seinem Haus findet und darüber die Nachbarn kennenlernt, kommt auch immer gut an. Ich selbst mag vor allem einen Moment sehr gern: Wenn der Ausflugsdampfer vorbeifährt und der Protagonist, der sich gerade mit einem herrenlosen Hund angefreundet hat, reißt die Arme hoch.
Es gibt aber auch eine weniger heitere, tragische Episode: Eine Frau hat ihren erwachsenen Sohn verloren.
Wir haben darüber nachgedacht, inwiefern die Geschichten emotional in alle Richtungen ausschlagen können, wie intensiv sie sein dürfen. Die Geschichte mit der Mutter, deren Sohn ums Leben gekommen ist, war eine doppelte Herausforderung: Sie ist sehr traurig, und wir mussten sie aus Tongründen nachsynchronisieren lassen. Aber Andrea Sawatzki als Mutter hat das großartig gemacht.
Nach welchen Kriterien haben Sie Ihr Personen- und Geschichtenkarussell ausgesucht?
Genaue Kriterien gab es keine, der Drehbuchautor Thomas Gerhold und ich haben unheimlich viel recherchiert und geschrieben. Sehr früh hatte ich die Episode mit der türkischstämmigen Selma, die von Rawad schwanger ist und das mit ihrer Mutter und der gesamten Community bespricht, und auch die mit dem „Man with a Van“, einem Mann, der in seinem Auto lebt, und eine Frau kennenlernt, die ihn dann sitzen lässt, als sie in seinem Ausweis sein Alter liest.
Ältere Figuren, beispielsweise Rentner aus Mariendorf, kommen sonst eher nicht vor …
Stimmt, aber es sind eine Menge Geschichten weggefallen, wir hätten noch viel Material gehabt.
Macht die lange Drehzeit den Film auch zu einem Dokument eines verschwundenen oder zumindest veränderten Berlins?
Ich hoffe es. Wir wollten dieses Berlin auch dokumentieren. Kamerafrau Carmen Treichl hat Motive ausgewählt, die die Stadtatmosphäre einfangen. Die Stadt hat als eine Figur mitgespielt.
Sie sind gebürtige Berlinerin und kennen manche Situationen wahrscheinlich aus eigener Erfahrung?
Für die Geschichte zählen ja weniger die Orte, sondern eher die Erfahrungen und Gefühle der Menschen, die dort entstehen. Manches wie die Wohnungssuche ist tatsächlich immer schlimmer geworden, als wir den Film drehten. Wenn man jetzt seine Wohnung verliert, kann man die Stadt eigentlich verlassen. Man findet keine bezahlbare mehr. Wo und wie Menschen wohnen, spielt bei vielen in dem Film eine Rolle, einer lebt im Van, eine ist nur zu Besuch, einer geht nie raus …
Wie wird sich Berlin weiterentwickeln, wie sehr können junge Menschen die Stadt überhaupt mitgestalten?
Ich kann mir vorstellen, dass Berlin nicht mehr so attraktiv bleibt und nicht mehr so viele Menschen nach Berlin ziehen wollen. Von Ideen wie dem Mietendeckel habe ich mich zum Beispiel eher verarscht gefühlt. Die Idee war ja richtig, aber es war klar, dass die Eigentümer sich das nicht gefallen lassen, dass das Geld zurückgezahlt werden muss. Das hat also nichts gebracht.
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