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Notaufnahmen sind am LimitKeine Rettung in Sicht

In den Vivantes-Notaufnahmen ist die Lage so schlimm wie nie, sagen Beschäftigte – und berichten von fragwürdigen Konzernpraktiken.

3 Pfle­ge­r:in­nen für einen Patienten gibt es selten Foto: Karsten Thielker

Berlin taz | Der Betriebsrat des kommunalen Klinikkonzerns Vivantes hat sich in einer dramatischen Mitteilung an die Öffentlichkeit gewandt, um auf die Zustände in den Notaufnahmen der Vivantes-Kliniken hinzuweisen. Die Personalsituation sei „so schlecht wie noch nie“, heißt es in der Mitteilung.

„Fast täglich“ müssten sich Notaufnahmen bei der Leitstelle abmelden mit der Folge, dass Rettungswagen mit Not­fall­pa­ti­en­t:in­nen abgewiesen werden. Der Versorgungsauftrag könne „nicht immer“ erfüllt werden. Die Wartezeit für Pa­ti­en­t:in­nen betrage aktuell zwischen 6 bis 48 Stunden.

„Eigentlich sollen wir in einer normalen Schicht 13 Pfle­ge­r:in­nen sein, doch wenn wir zu viert sind, ist das schon gut“, berichtet auch Katja Müller, Pflegerin in einer Vivantes-Notaufnahme. „Es haben unglaublich viele Kol­le­g:in­nen gekündigt“, sagt sie. Andere seien dauerkrank, weil sie die Arbeit psychisch und physisch nicht mehr leisten könnten.

Dabei hatten die Kol­le­g:in­nen letztes Jahr, als die Krankenhausbewegung einen Entlastungsvertrag erstreiken konnte, neue Hoffnungen geschöpft. Doch verbessert habe sich wenig. Zwar lege der Tarifvertrag Mindestbesetzungen fest, doch diese würden nicht eingehalten. Auch die Entlastungspunkte, die Schichten in Unterbesetzung laut Vertrag generieren sollen, würden auf den Arbeitszeitbögen nicht immer auftauchen. „Wem welche Punkte angerechnet werden erscheint völlig willkürlich“, sagt Müller.

Finanzierungsprobleme in den Rettungsstellen

DRG-System Dass Vivantes in den Rettungsstellen mit harten Bandagen kämpft, ist kein Zufall. Denn anders als in anderen Klinikbereichen bekommt Vivantes die Personalkosten nicht über die Krankenkassen erstattet. Hier gilt das berüchtigte DRG-System, das nur festgelegte Preise für die Behandlung bestimmter Krankenheiten kennt.

Verluste Wenn Klinikleitungen es schaffen, mehr Patient:innen schneller und mit weniger Personal zu behandeln, machen sie Gewinne – die Logik der Massenproduktion. Rettungsstellen machen wegen mangelnder Planbarkeit aber häufig Verluste. Vivantes liebäugelt wohl auch deshalb mit einem bedarfsorientierten Finanzierungssystem. (tk)

Repression gegen aktive Beschäftigte

Eigentlich heißt Müller anders. Doch unter ihrem echten Namen mit der Presse zu sprechen traut sie sich nicht mehr. Kolleg:innen, die Missstände in Vivantes-Kliniken publik gemacht haben, seien zu Personalgesprächen eingeladen worden, berichtet sie. Der Betriebsrat bestätigt das auf taz-Nachfrage. Auch Ärz­t:in­nen würden wegen ihrer öffentlichen Äußerungen unter Druck gesetzt.

Offiziell sage Vivantes das nicht, doch die Gespräche dienten dem Zweck, Angst vor Abmahnungen oder Kündigungen zu schüren – auch wenn dies arbeitsrechtlich nicht haltbar sei. „Das ist Psychoterror“, sagt Müller.

Auf taz-Nachfrage bestätigt Vivantes-Sprecher Christoph Lang, dass der Konzern Beschäftigte befragt, die „öffentlich oder intern den Verdacht auf Gefährdung des Patientenwohls“ äußern. Grundsätzlich dürften Ar­beit­neh­me­r:in­nen keine „Unternehmensinterna“ an die Öffentlichkeit tragen oder „bewusste Falschaussagen“ über das Unternehmen treffen. Dennoch könnten sich Angestellte von Vivantes „selbstverständlich“ frei äußern. Auch gebe es die Möglichkeit, „sich anonym an einen externen Ombudsmann zu wenden“.

Müller aber sagt, das bringe nichts. „Wir haben die Missstände etliche Male kommuniziert.“ Auch der Betriebsrat schreibt, es lägen „etliche Gefährdungsanzeigen“ von Mit­ar­bei­te­r:in­nen vor.

Überforderung von Beschäftigten

Rettungswagen müssten häufig viel zu lange darauf warten, dass Pa­ti­en­t:in­nen von Pfle­ge­r:in­nen angenommen werden, erzählt Müller. Nach ärztlicher Anordnung würden Medikamente viel zu spät verabreicht. „Wenn eine Kollegin einen Patienten beatmet, die andere einen Oberschenkel gipst und dann ein kritischer Fall reinkommt, entstehen Verzögerungen, die Menschenleben gefährden“, sagt sie. Konkreter werden möchte Müller öffentlich nicht – aus Angst, dass die Fälle ihr zugeordnet werden könnten.

Vivantes setze auch Medizinische Fachangestellte (MFAs) in den Notaufnahmen für Aufgaben ein, für die diese gar nicht ausgebildet seien, so Müller weiter. Im Gegensatz zu jener von Pfle­ge­r:in­nen legt die Ausbildung von MFAs einen stärkeren Fokus auf kaufmännische Tätigkeiten, wie zum Beispiel dem Abrechnen von Leistungen.

Im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) werden MFAs auch schlechter eingruppiert als Pfleger:innen, in den meisten Fällen verdienen sie einige hundert Euro weniger. Gut möglich, dass dies ein Grund ist, warum Vivantes anscheinend verstärkt auf MFAs setzt.

Was bleibt ist Frustration

Auf taz-Nachfrage bestätigt Sprecher Lang, dass MFAs in den Rettungsstellen eingesetzt werden. Deren „wertvollen Beitrag als minderqualifiziert zu degradieren“ gehe jedoch an der Realität vorbei, da MFAs über eine dreijährige Ausbildung verfügen – wie Pfle­ge­r:in­nen auch.

Das diese unterschiedliche Schwerpunkte haben, erwähnt Lang nicht. Auch bleibt unerwähnt, dass schon das Pflegeberufsgesetz vorschreibt, dass einige Tätigkeiten – insbesondere solche, die eigenständige Pflegeentscheidungen beinhalten – nur von Pfle­ge­r:in­nen ausgeführt werden dürfen.

„Natürlich haben sich viele MFAs über die Jahre einiges angeeignet“, sagt Müller. Wenn die Klinikleitung sie aber unter Verweis auf die Personalnot in den Schockraum einteile oder die MFAs Medikamente vergeben müssten, sei das aber gefährlich – gerade bei jungen Kolleg:innen. „Wer die möglichen Nebenwirkungen eines Medikaments nicht kennt, kann auch nicht reagieren, wenn es zum Beispiel zu allergischen Reaktionen kommt“, sagt sie.

Dass die Klinikleitungen keine Einsicht zeigen, frustriert Müller. Sie würden noch nicht einmal versuchen, die Kolleg:innen, die kündigen, zu halten. Auch neue Stellen müssten dringend genehmigt werden. „Wenn das nicht passiert nehme ich meine Sachen und gehe“, sagt sie. „Wie viele Menschen sehen wir denn wegen dem Personalmangel sterben?“ Es gebe nur ein bestimmtes Maß, das jeder Mensch ertragen kann.

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