Nordirland gegen den Brexit: In Crossmaglen ist keiner für den Brexit
Die Befürworter eines Austritts aus der EU vertreten einen klaren Standpunkt. Im Grenzgebiet zu Irland ist ein EU-Austritt aber unpopulär.
„Aber wir brauchen eine andere Organisation, die sich für die Rechte der Arbeiter einsetzt“, sagt er. „Die EU hat sich immer mehr in eine neoliberale Umlaufbahn bewegt, sie wird von den Prinzipien des freien Marktes regiert.“ Es gebe keinen allgemeingültigen Mindestlohn in der EU, man toleriere Steueroasen wie Irland, Luxemburg oder Großbritannien.
„Es ist ein Club der Kapitalisten auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung“, sagt er. „Das hat man zuerst an der Peripherie gemerkt, nun aber fährt auch Frankreich erkämpfte Rechte zurück.“
McKearney entstammt einer katholischen Arbeiterfamilie aus der nordirischen Grafschaft Tyrone. Er war vierzehn, als der Konflikt ausbrach. Als die britische Regierung am 9. August 1971 ihre Truppen nach Nordirland entsandte und 300 Katholiken internieren ließ, brach McKearney seine Berufsausbildung ab, trat der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) bei und stieg alsbald zum Kommandanten der Tyrone-Brigade auf.
Keine Grenze zwischen Nordirland und Irland
1977 wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er einen Armee-Reservisten erschossen hatte. Nach 16 Jahren kam er frei, heiratete Patricia und zog mit ihr in ein kleines Haus am Rande Monaghans in der Republik Irland an der Grenze zu Tyrone.
Er ist pessimistisch. „Die Pro-EU-Seite arbeitet mit Angstmache, und die Gewerkschaften haben kein Selbstvertrauen“, sagt er. „Dabei wurden die Verbesserungen für die Arbeiterklasse lange vor der EU durchgesetzt, und zwar durch die organisierte Arbeiterklasse. Das waren ja keine Geschenke von der EU.“
Jim Teeling, 58, Bauarbeiter
Von Monaghan führt die Nationalstraße N 2 Richtung Südosten. Kurz hinter Castleblaney, auf der N 53, wird die Straße schmaler und schlechter. Ein Schild weist daraufhin, dass die Geschwindigkeitsbegrenzungen nun in Meilen angegeben sind. Es ist der einzige Hinweis, dass man die Grenze nach Nordirland überschritten hat. Ein paar Kilometer weiter zweigt eine Straße nach Crossmaglen ab.
Während des nordirischen Konflikts erwarb der Ort einen legendären Ruf. Die einen bezeichneten ihn als Hauptstadt des „Banditenlandes“, die anderen verglichen ihn mit dem gallischen Heimatdorf von Asterix und Obelix, das in diesem Fall Widerstand gegen die britischen Besatzer leistete. Crossmaglen war eine Hochburg der IRA. Wenn die britische Armee die Gegend patrouillieren wollte, wurden die Soldaten meistens mit Hubschraubern zum Einsatzort gebracht, weil sie sich nicht trauten, mit ihren Panzerwagen die Straßen zu benutzen.
Crossmaglen ist ein wenig trist
17 britische Soldaten wurden allein auf dem Marktplatz von Crossmaglen getötet. Das Denkmal in der Mitte des zubetonierten Platzes, der als Parkplatz dient, erinnert jedoch an die IRA-Mitglieder, die im Zuge des Konflikts ums Leben gekommen sind. Umgeben ist das Denkmal von der irischen Flagge und den Flaggen der vier irischen Provinzen, der Sonnenflagge des mythischen Kriegerstamms der Fenier sowie der EU-Fahne.
Der Ort ist trist, und das liegt nicht nur am Nieselregen. Am Tresen im einzig geöffneten Pub sitzt Jim Teeling. Er ist 58, sieht aber älter aus. Unter seiner Schirmmütze mit dem Aufdruck „Crossmaglen“ ragen Locken hervor, er trägt Arbeitskleidung, ist aber arbeitslos. Teeling hat drei Töchter, die älteste ist 40, die anderen beiden sind 27. Zwillinge? „Nein, es sind irische Zwillinge, es liegen elf Monate zwischen ihnen“, sagt er. „Ich habe früh angefangen. Als meine Freundin schwanger wurde, war ich 17. Mein Vater hat darauf bestanden, dass ich sie heirate, sonst hätte er mich aus dem Ort gejagt.“
Teeling ist in Crossmaglen geboren. Von der EU hält er nicht viel. „40 Jahre lang waren wir denen in Brüssel egal, und umgekehrt war uns die EU egal“, sagt er. Beim Referendum wird er trotzdem abstimmen: „Ich mache mir aber keine großen Gedanken darüber. Ich mache das Kreuz dort, wo Sinn Féin es haben will.“
Klare Mehrheit für den Verbleib in der EU
Sinn Féin, der ehemalige politische Flügel der IRA, will das Kreuz beim Ja zur EU haben, und nicht nur in Crossmaglen wird der katholisch-nationalistische Bevölkerungsteil dem folgen. 91,2 Prozent der Wähler von Sinn Féin und der sozialdemokratischen SDLP werden für den Verbleib in der EU stimmen.
Die protestantisch-unionistische Seite ist hingegen gespalten. Die etwas gemäßigtere Ulster Unionist Party (UUP) ist für einen Verbleib in der EU, die von Pfarrer Ian Paisley gegründete Democratic Unionist Party (DUP), die als stärkste Partei mit Arlene Foster die Premierministerin stellt, ist für den Brexit. Insgesamt sind 56 Prozent der Nordiren für die EU, gut ein Viertel ist dagegen, und der Rest ist noch unentschlossen.
„Brexit-Befürworter wird man in Crossmaglen nicht finden“, sagt Conor McFadden, ein 24-jähriger Bauarbeiter. Er ist zu jung, um sich an die Grenzkontrollen zwischen beiden Teilen Irlands zu erinnern. „Gerade für uns im Grenzgebiet wäre das schrecklich“, sagt er. „Manche Straße kreuzt auf einer Strecke von zehn Kilometern fünf Mal die Grenze. Wie soll man das überwachen? Und was ist mit den Bauern, die auf beiden Seiten der Grenze Land besitzen?“ McFadden ist empört, dass die britische Nordirland-Ministerin Theresa Villiers für den Brexit kämpft. „Genauso wie wir der EU während des Konflikts egal waren“, sagt er, „scheren sich die Brexit-Befürworter drüben in England nicht um uns.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Kurdische Gebiete unter Beschuss
Stoppt die Angriffe Erdoğans auf die Kurden in Syrien!