Nord-Süd-Ausbau des Stromnetzes: Teurer Trassenfrieden
Die unterirdische Verlegung besänftigt Kritiker, bringt aber neue Probleme. Die Notwendigkeit der Leitungen bleibt umstritten.
Denn die Unternehmen Tennet, 50Hertz und TransnetBW planen nun, die neuen Leitungen Südlink und Südostlink auf der gesamten Länge von 1.400 Kilometern unter die Erde zu legen. Damit gehen sie noch über die Vorgaben der Politik hinaus, die Vorrang für Erdkabel gefordert hatte, aber auch Ausnahmen zugelassen hätte. Zudem haben die Netzbetreiber Vorschläge unterbreitet, wo die neuen Trassen verlaufen sollen.
Von offizieller Seite kam überwiegend Lob für die vollständige Erdvariante. Zwanzig Landkreise („Landkreisbündnis Südlink“), die sich vor zwei Jahren mit ihrer „Hamelner Erklärung“ zugunsten einer Erdverkabelung positioniert hatten, sprachen von einem „großen Erfolg“. Auch Baden-Württembergs grüner Umweltminister Franz Untersteller, durch dessen Land rund 100 Kilometer der Trasse führen sollen, begrüßte die Erdvariante. Er hoffe nun, dass es damit vielen leichter falle, das Ausbauvorhaben zu akzeptieren. Eine zweimonatige Beteiligungsphase, die Bürgern die Möglichkeit gibt, Hinweise zur Optimierung der Erdkabel-Korridore einzureichen, hat am Donnerstag begonnen.
Auch jene Bürgerinitiativen, die sich primär aus optischen Gründen gegen die zunächst geplanten Freileitungen gewehrt hatten, sind mit den neuen Vorschlägen zufrieden. Andere sehen hingegen auch die Erdkabel kritisch.
Eingriff in die Natur
Denn auch sie stellen einen gigantischen Eingriff in die Natur dar – der sogar noch größer sein dürfte als durch die bisher geplanten Strommasten. Die Bautrasse ist bis zu 60 Meter breit – „mehr als zwei sechsspurige Autobahnen nebeneinander“, sagt Jan-Eric Bothe von der Bürgerinitiative Calenberger Land gegen Südlink in Niedersachsen. Das Verlegen der Kabel in etwa 1,80 Meter Tiefe bedeutet einen erheblichen Eingriff in Natur und Wasserhaushalt.
Aber weil zumeist das Prinzip „aus den Augen, aus dem Sinn“ gelte, habe die Beeinträchtigung der Natur in der politischen Debatte keine so hohe Priorität wie die sichtbare Beeinträchtigung der Landschaft durch hohe Masten, meint Bothe. Der Widerstand gegen die Erdvariante werde dadurch nun schwieriger.
Die Vorschläge: In dieser Woche haben Tennet und 50Hertz Korridore für mögliche Trassenverläufe vorgestellt.
Die Bürgerbeteiligung: Im Oktober und November soll in zahlreichen Städten entlang der möglichen Trassen mit den AnwohnerInnen über den besten Verlauf der Leitung innerhalb der Korridore diskutiert werden.
Der Antrag: Im Frühjahr 2017 wollen die Netzbetreiber dann den offiziellen Genehmigungsantrag bei der Bundesnetzagentur einreichen. Bis zum Jahr 2021 sollen Planungen und Genehmigungen abgeschlossen sein.
Der Bau: Die Betreiber rechnen mit einer Bauzeit von vier Jahren. Allerdings gibt es mit Erdkabeln bisher wenig Erfahrung. (mkr)
Neuen Protest gibt es hingegen aus der Land- und Forstwirtschaft. Viele Bauern seien durch die Erdkabel „direkt in Eigentum und Nutzungsrecht betroffen“, sagt der bayerische Bauernpräsident Walter Heidl. Neben den Einschränkungen während der Bauzeit fürchten die Landwirte, dass die von den Kabeln ausgehende Wärme die Erträge auf den darüber liegenden Feldern verringert. Bäume und Gebäude dürfen auf einem 20 bis 25 Meter breiten Streifen oberhalb der Leitungen gar nicht stehen.
Anders als Anwohner, die aus grundsätzlichen Erwägungen gegen die Hochspannungsmasten waren, würden sich die neuen Kritiker aus Land- und Forstwirtschaft aber wohl entschädigen lassen, meint Guntram Ziepel, Sprecher des Bundesverbandes der Bürgerinitiativen gegen Südlink: „Diese Widerstände sind mit Geld aufzulösen.“ Die Kosten werden dann über die Netzentgelte auf den Strompreis umgelegt.
Das Erdkabel wird teurer
Klar ist ohnehin längst: Das Erdkabel wird teurer. Mit rund 10 Milliarden Euro für Südlink kalkuliert Tennet-Chef Lex Hartmann, für die Freileitungen waren einst 3 Milliarden angesetzt worden; Südostlink soll weitere 5 Milliarden Euro kosten. Die Auswirkungen auf den Strompreis werden mit 0,1 bis 0,2 Cent pro Kilowattstunde dennoch überschaubar bleiben.
Denn die Investitionen sollen über eine Nutzungsdauer von 40 Jahren abgeschrieben werden. Zudem argumentiert die Stromwirtschaft, dass durch mehr Leitungen das Netzmanagement einfacher und kostengünstiger werde, weil der teure Redispatch – das sind Eingriffe des Übertragungsnetzbetreibers in den Markt aufgrund von Leitungsengpässen – damit zurückgehen könnte.
So ist es auch gar nicht so sehr der Preis, mit dem einige Bürgerinitiativen weiterhin gegen Südlink und Südostlink argumentieren. Vielmehr sind sie davon überzeugt, dass die Neubautrassen mehr dem Fortbestand der Kohlekraftwerke und dem internationalen Stromhandel dienen, als dass sie für die erneuerbaren Energien gebraucht würden. „Dass wir Südlink für den Windstrom brauchen, ist eine fadenscheinige Argumentation“, sagt Ingenieur Ziepel.
Zudem stören sich die Bürgerinitiativen an dem grundsätzlichen Vorgehen: Die Übertragungsnetzbetreiber stellen selbst den Leitungsbedarf fest, um dann abseits jeglichen Wettbewerbs die Trassen zu bauen, die ihnen garantierte Renditen bringen. „Wir brauchen ein vernünftiges Prozessmanagement“, sagt Ziepel. Solange man noch gar nicht über Speicher gesprochen habe, könne man keine Leitungen planen.
Warum keine dezentralere Stromversorgung?
Mitstreiter Bothe sieht das ähnlich und propagiert eine dezentralere Energieversorgung. Überschüssige Energie könne außerdem in Gas umgewandelt und über das bestehende Gasnetz transportiert werden. Für ihn ist eindeutig: „Südlink ist als europäisches Projekt für den europäischen Stromhandel gedacht. Eine Notwendigkeit für die deutsche Energiewende konnte bisher nicht belegt werden.“
Umweltverbände sehen das ähnlich. Für den Klimaschutz und den sofortigen Atomausstieg brauche man „keine neuen und zusätzlichen Stromautobahnen, sondern mehr Energiesparen, mehr Energieeffizienz und den naturverträglichen Ausbau der erneuerbaren Energien“, sagt Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND Naturschutz in Bayern. Eine zentralistische Netzausbauplanung sei der falsche Weg, stattdessen müssten vor Ort Bürgerenergiegesellschaften und die Stadtwerke gestärkt werden.
Ein stärkerer Ausbau der erneuerbaren Energien in Süddeutschland ginge vermutlich auch schneller als das Verlegen der neuen Erdkabel. Weil Planung und Bau komplizierter sind als bei Freileitungen, wird mit einer Fertigstellung frühestens im Jahr 2025 gerechnet. Das Ziel, die Leitungen betriebsbereit zu haben, wenn im Jahr 2022 in Süddeutschland die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet werden, wird damit deutlich verfehlt.
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