Nominierung von Kamala Harris als Vize: Eine Frau, nicht weiß
Sie wird Joe Biden nicht schaden, vielleicht sogar nutzen. Harris kann sogar US-Präsidentin werden – wenn Biden nicht versagt.
N och ist es ein bisschen zu früh für Kamala Harris, sich zu überlegen, was sie als US-Präsidentin tun möchte, aber die Frage kann sich in überschaubarer Zukunft stellen. Wohl niemals zuvor war die Vizepräsidentschaft eine machtpolitisch vergleichbar wichtige Entscheidung wie in diesem Jahr. Der demokratische Bewerber Joe Biden wird bei Amtsantritt 78 Jahre alt sein, sollte er denn gewinnen. Eine zweite Amtszeit ist unwahrscheinlich. Und dann? Ja, genau. Dann, spätestens dann kann die Stunde für Kamala Harris schlagen.
Üblicherweise ist die Nominierung des oder der Vize für zwei Tage Berichterstattung gut und sonst für gar nichts. Man muss sich schon so blöd anstellen wie 2008 die Republikanerin Sarah Palin, um in den Schlagzeilen zu bleiben und dem eigenen Kandidaten – damals: John McCain – massiv zu schaden. Keine Regel ohne Ausnahme. Angesichts der Umstände lohnt ein genauerer Blick auf Kamala Harris.
„Geschmeidig“ trifft es
Wer die Senatorin aus Kalifornien nicht leiden kann, nennt sie wankelmütig. Wer ihre Nominierung begrüßt, und sei es auch nur aus strategischen Gründen, lobt sie als anpassungsfähig. Ich habe mich mit mir selbst auf das Wort „geschmeidig“ geeinigt – das ist erst mal neutral. Kamala Harris löst in mir keine Gefühlswallung aus. Moment, vielleicht ist das falsch: Manche ihrer Standpunkte machen mich wütend, sehr wütend sogar. Andere teile ich. Das Ergebnis? Ich stehe ihr insgesamt freundlich-distanziert gegenüber.
Joe Biden wäre vermutlich entzückt von meiner Haltung, wäre ich US-Wählerin. Dass er sich für eine Frau als Vizepräsidentin entscheiden würde, stand seit langem fest. Dass es eine nichtweiße Frau sein sollte, darauf haben Bürgerrechtsgruppen in letzter Zeit unmissverständlich bestanden. Okay. So ist es nun also Kamala Harris geworden.
Die Frau, die es für eine gute Idee hielt, die Eltern von Schulschwänzern ins Gefängnis zu werfen. Die als Staatsanwältin für eine strikte Law-and-Order-Linie stand. Die jetzt für eine staatliche Krankenversicherung eintritt, eine Polizeireform fordert und für umweltpolitische Maßnahmen kämpft. Schwer, so jemanden eindeutig in ein bestimmtes Lager zu scheuchen und damit zu diskreditieren.
Links? Wirklich nicht. Rechts? Na ja, auch nicht so richtig, aber selbst wenn – wie könnte das dem Präsidenten nutzen? Gar nicht. Es zeugt von dem Ausmaß der Ratlosigkeit im Lager von Donald Trump – wage ich es Verzweiflung zu nennen? –, dass den Verantwortlichen dort derzeit nicht mehr einfällt, als das alte Schätzchen des Geburtsrechts aus der Mottenkiste zu ziehen: Ist sie wirklich in den USA geboren? Darf sie mit ihrer Familiengeschichte überhaupt Vizepräsidentin werden? Oh je. Doch, darf sie, nach allem, was wir bisher wissen.
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Kamala Harris wird Biden vermutlich nicht schaden, vielleicht aber nutzen: in nichtweißen Bevölkerungsschichten, bei der jüngeren Generation. Das wäre gut genug für eine potenzielle Vizepräsidentin. Mehr muss sie nicht leisten. Derzeit nicht.
Aber Joe Biden hat die Wahl bisher nicht gewonnen. Die Fernsehdebatten stehen noch aus. Manche Leute aus seinem Lager haben die Frage aufgeworfen, ob es nicht besser wäre, darauf zu verzichten – um dem notorisch lügenden Donald Trump keine Bühne zu bieten.
Ernsthaft? Man möchte die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass es gut sei, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten „keine Bühne“ zu bieten? Lachhaft. Er hat eine Bühne, wann immer er sie wünscht. Joe Biden wird um die Debatten nicht herumkommen. Wenn er da versagt, dann hat sich auch die Frage nach der Qualifikation von Kamala Harris erledigt.
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