Nominierung des EM-Kaders: Die Salamitaktik
Der DFB landet den nächsten Kommunikations-Coup: Nicht der Bundestrainer gibt den EM-Kader bekannt, sondern Altenpfleger, Dachdeckerinnen und Bäcker.
D ie Tränen waren noch nicht ganz getrocknet, da wurde den Fans schon die nächste Nominierung für das deutsche EM-Team ins Fußballhirn gehämmert. Dabei hätte so mancher sicher noch gerne weiter seiner Rührung zum Ausdruck verholfen. Zu schön war das Video mit der uralten Oma Lotti, die von einem gewissen Rashid Hamid ein DFB-Trikot über das weiße Haupthaar gezogen bekam und von einer Torte kosten durfte, auf der das Antlitz von Leverkusens Innenverteidiger Jonathan Tah zu sehen war.
Die Welt wusste nun, dass jener Tah zum Aufgebot von Bundestrainer Julian Nagelsmann für das Heimturnier gehört, das in vier Wochen mit dem Spiel der Deutschen gegen Schottland beginnt. Und sie wusste auch, dass es tatsächlich so etwas wie Altenpflege-Influencer gibt. Ein solcher nämlich ist jener Rashid Hamid, dem auf Instagram mehr als 300.000 Menschen dabei zuschauen, wie gut gelaunt er Oma Lotti pflegt.
Doch es musste weitergehen. Niclas Füllkrug wurde in einer Radioshow angerufen und hat sich brav gefreut, als er auf seine Nominierung angesprochen worden ist. Eine Dachdeckerin gab bekannt, dass Manuel Neuer Deutschlands Nummer eins bleiben wird. Was da wohl die Idee war? Eine Handwerkerin benennt den Handarbeiter im deutschen Team? Vielleicht. Eine Bäckerei durfte dann verkünden, dass der Stuttgarter Chris Führich bei der EM dabei sein darf. Gibt es auch hier eine Botschaft? Soll Führich erst mal kleine Brötchen backen, weil ihm die große internationale Erfahrung noch fehlt?
Auch TV-Moderatorin Frauke Ludowig, die in ihrer Sendung „RTL-Exclusiv“ eigentlich nie etwa Interessantes zu vermelden hat, es sei denn, man interessiert sich für die Royals oder den „Showdown der Dschungellegenden“, durfte einen deutschen EM-Fahrer benennen. Dass sie den Namen Aleksandar Pavlović zuvor vielleicht noch nie gehört hat, muss denken, wer ihr bei der Nennung ins Gesicht geschaut hat. Darüber jedenfalls spricht das Netz, wie es so schön heißt, und natürlich auch über den kometenhaften Aufstieg des jungen Mittelfeldmanns vom FC Bayern München.
Ist die Namensliste doch nicht so wichtig?
Und genau darum geht es. Es soll gesprochen werden über die Nationalmannschaft in einer Zeit, in der sie gar nicht spielt. Das ist die Idee, die hinter der scheibchenweisen Verkündung der Nominierten steht. Das EM-Fieber möge steigen, lautet der Wunsch des Deutschen Fußball-Bundes. Nun darf man sich durchaus fragen, ob es wirklich wünschenswert ist, wenn schon jetzt in nationaler Fußballbesoffenheit über die Nationalmannschaft diskutiert wird, als gäbe es kein anderes Thema. Doch beim DFB stellt man sich diese Frage sicher nicht.
Dort kann man nun beobachten, wie sich das Fußballland zur möglichen Ausbootung von Mats Hummels verhält, der wohl nicht zum deutschen EM-Team gehören wird, obwohl er in dieser Saison so schöne Grätschen angesetzt hat, wie man sie selten gesehen hat. Immerhin ist der DFB so pietätvoll gewesen und hat darauf verzichtet, die Nichtnominierung des deutschen Verteidigungsnestors vom Altenpfleger Rashid Hamid verkünden zu lassen.
Auch die taz, lieber DFB, steht übrigens bereit, einen Nominierten exklusiv zu vermelden. Die Telefonnummern und E-Mail-Adressen der Sportredaktion sind dem Verband bekannt. Was die Youtuber von „Calcio Berlin“ können, die das EM-Ticket für Kai Havertz vermelden durften, kann die taz schon lange. Die Reichweite der Social-Media-Accounts der taz kann sich sehen lassen. Das müsste doch reichen, um wenigstens den Namen des dritten Torhüters im deutschen EM-Team verkünden zu dürfen.
Viel Zeit bleibt nicht mehr. Am Donnerstagmittag werden die Namen der 26 Männer, die dem vorläufigen EM-Kader angehören werden, in Berlin offiziell vom Bundestrainer bekanntgegeben. Mal sehen, wie hoch das EM-Fieber bis dahin schon gestiegen ist. In der Hauptstadt ist die Straße des 17. Juni vor dem Brandenburger Tor zum Zwecke der Vorbereitung als Fan-Zone für die EM bereits gesperrt. Es gibt also Platz genug für Hunderttausende, den Kader schon am Donnerstag gemeinsam zu feiern. Oder ist die Namensliste am Ende vielleicht doch gar nicht so wichtig?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken