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Nobelpreis für ÖkonomieEin Hoch auf den Markt

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Die schwedische Reichsbank, die den Wirtschaftsnobelpreis stiftet, bleibt ihrer Linie treu, Arbeiten auszuzeichnen, die um das Thema „Markt“ kreisen.

Gewinner des Nobelpreises für Ökonomie: die Professoren Wilson und Milgrom in Stanford, Kalifornien Foto: Kate Munsch/reuters

E s war spannend: Wer würde in diesem Jahr den Nobelpreis für Ökonomie erhalten? Denn die Welt der Wirtschaft ist in Aufruhr, seitdem Corona grassiert. Globale Lieferketten brechen zusammen, Regierungen verschulden sich in unbekanntem Ausmaß, und in vielen Ländern nimmt die Armut dramatisch zu. Doch für diese Gegenwart interessiert sich die schwedische Reichsbank nicht, die den Nobelpreis für Ökonomie stiftet. Sie blieb ihrer Linie treu, Arbeiten auszuzeichnen, die um das Thema „Markt“ kreisen. Für die schwedische Reichsbank reduziert sich die Ökonomie auf ein ganz enges Feld – nämlich auf das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage.

Immerhin: In diesem Jahr sind die Preisträger nicht peinlich. Auch das gab es schon. Man denke etwa an Eugene Fama, der 2013 den Nobelpreis erhielt – für die Behauptung, dass Finanzmärkte immer „effizient“ seien. Dabei hatte die Finanzkrise das Gegenteil bewiesen.

Die diesjährigen Preisträger Paul Milgrom und Robert Wilson haben erforscht, wie sich Bieter auf Auktionen verhalten – und wie sich dieses Wissen praktisch nutzen lässt, wenn etwa der Staat Frequenzen für den Mobilfunk versteigern will. Auch Deutschland hat entsprechende Verfahren angewandt, um die 5G-Frequenzen zu verkaufen – was am Ende 6,55 Milliarden Euro brachte. Dafür kann man ruhig einen Nobelpreis verteilen.

Trotzdem bleibt ein unguter Nachgeschmack. Denn in den Texten der schwedischen Reichsbank ist unverkennbar, dass sie die Arbeiten von Milgrom und Wilson zum Standardmodell verklären will, wie man „Märkte“ generell untersuchen sollte.

Doch Auktionen sind nicht der Normalfall, sondern seltene Ausnahmen. Denn es gibt explizite Regeln, und oft verfügen alle Bieter über die gleichen Informationen. Für Konkurrenz ist also gesorgt. Normale Märkte funktionieren anders: Dort kontrollieren Großkonzerne die gesamte Wertschöpfungskette – und hebeln den Wettbewerb aus. Diese unschöne Realität ignoriert man in Stockholm jedoch lieber, weil sonst nicht mehr viel übrig bliebe von der Lehre vom „freien Markt“.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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10 Kommentare

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  • Ich weiß nicht inwiefern ich hier einen Link einbringen kann, aber die beiden Preisträger haben eine lange Liste beeindruckender Veröffentlichungen, deren Ideengeschichte bis zur Entstehung der Spieltheorie Anfang des vorigen Jahrhunderts zurückführt.

    Wenn Fr. Herrmann und die taz meinen, dass das ein Hoch auf den Markt darstellt - so be it.

    informativ:

    afinetheorem.wordp...ilgrom-and-wilson/

  • Eine spannende Frage wäre, warum alle Welt so tapfer an der Vorstellung vom "freien Markt" festhält, obwohl mittlerweile ziemlich offensichtlich ist, dass eine kapitalistische Wirtschaft mit Marktwirtschaft nicht so wahnsinnig viel zu tun hat.

    Vielleicht liegt es daran, dass der "Markt" ein entwaffnend elegantes System ist: wartungsarm, selbstreinigend, funktional und effizient - ideal, besser geht's einfach nicht. Das ist so wunderschön, dass man gerne daran glaubt und glatt vergisst, mal zu prüfen, ob es in der Praxis wirklich so läuft.

    Eine weitere, daran anschlussfähige Erklärung wäre, dass die "Markt"-Weltanschauung dem Menschen schmeichelt: Wo Menschen zusammenkommen, so die Vorstellung, läuft grundsätzlich alles auf Fairplay hinaus; jeder bekommt, was er verdient. Und wenn's dann doch irgendwo hakt, sind "gierige" Manager oder andere Falschspieler am Werk, "böse" Typen. Damit wird überdeckt, dass Menschen - wie alle anderen Tiere auch, die die Evolution hervorgebracht hat - eigennützig sind und sein müssen, und dass sich dies in ihren sozialen Umgangsformen widerspiegelt: Den Moralphilosophen vielleicht schmerzend, sind Hierarchien, Vitamin B, Gefälligkeitsarrangements, Intrigen, Syndikate usw. das, was wir mit unserer biologischen Besonderheit, dem Großhirn, überwiegend veranstalten.

    • @zmx52:

      Angenommen das stimmt alles, was Sie über die Menschen schreiben. Inwiefern spricht das dann für oder gegen Markt bzw. für oder gegen irgendeine andere Organisationsform ?

      • @Shaftoe:

        Das spricht gegen garnix; aber auffällig ist eben, dass das Märchen, wir hätten hier eine Marktwirtschaft, so unfassbar wirkmächtig ist. Und da glaube ich nun, dass das etwas mit dem weit verbreiteten Denken in moralischen Kategorien (auf Unterhaltungsfilmniveau) zu tun hat: Im Grunde ist der Mensch nett und "sozial", es läuft also alles von allein und zur Freude aller - stören tut dabei immer nur das "Böse": die "Gier", das "falsche Spiel", usw. Daraus wird dann der Schluss gezogen, man müsse lediglich die "Gier" bekämpfen (Harald Lesch, zum Beispiel, haut immer wieder mal so ein Ding raus), damit der Markt wieder rund läuft.



        Tatsächlich aber basiert das Wirtschaftssystem, dass seit 200+ Jahren Massenwohlstand produziert, den technischen Fortschritt getrieben und u.a. die moderne Medizin ermöglicht hat, ganz und gar auf Eigennutz. In Anbetracht der Tatsache, dass unsere moderne Zivilisation und Kultur kompletto am Kapitalismus hängt, ist diese Einsicht für kaum jemanden zu ertragen. Scheint mir jedenfalls so.

  • "Normale Märkte funktionieren anders: Dort kontrollieren Großkonzerne die gesamte Wertschöpfungskette – und hebeln den Wettbewerb aus."



    Eben das sind keine "normalen Märkte".

    • @Adam Weishaupt:

      Angesichts der Tendenz der Akkumulation eben gerade doch. Wenn man dann die Ebene der Kapitalverwalter noch mit einbezieht, wird das Bild schnell noch gruseliger. Aber welcher Ökonom täte das derzeit? Da wird diese Sphäre gerne für sich und die ihnen untergebene als ebenso autonom dargestellt, es sei denn, ein Investor macht mal laut Rabatz. Dann hat das aber wieder ja mit anderen Akteuren in seinem Portfolio überhaupt nichts zu tun. Wers glaubt wird wohl selig.

  • Danke.

    Auktionen steigern Marktmechanismen zum Kipppunkt eines spekulativen Casino Spiels mit vielen Unbekannten, im Hintergrund namenlosen Akteuren, wie z. B. Ende 70ziger Jahre als der verurteilte zwanzig Jahre in Spandauer Festungshaft einsitzende NS Kriegsverbrecher ehemals Hitlers Rüstungsminister Lieblingsarchitekt Albert Speer (1905-1981)sich aus jahrelanger Deckung traute, in einer öffentlichen Kunstauktion in Düsseldorf jahrzehntelang bei Freunden gebunkerte Gemälde, Kunst-, Kulturgegenstände aus NS Raubgutbeständen 1933-45 anonym erfolgreich zu veräußern verstand. Speers Tochter Hilde verheiratete Schramm berichtete später, Erlös aus diesen anonymen Auktionen ihres Vaters habe sie später in Stiftung zur Entschädigung von NS Opfern überführt, ohne dass das bis heute belegt ist.

    Auktionen sind Ereignisse, bei dem zuletzt der größte Batzen Geld den Zuschlag bekommt, gleich um welchen Gegenstand, Zusammenhang es geht, noch, dass transparent wäre, wie dieser Batzen mit welcher Herkunft aus welchen anonymen Quellen sich zusammensetzt. Auktionen verkörpern insofern par exellence in aller Öffentlichkeit legalisierte Öffnung von Räumen für Optionen anonymer Akteure auf Geldwäsche im großen Maßstab.



    In Zeiten, in denen es weiter an Kontrolle von Kunstmärkten, Handel mit verbotenen Kultur Gütern, bedrohten Tieren, Elfenbein mangelt, Kunstraub im großen Stil weiter geschieht trotz Washingtoner Abkommen 1997, passen anonyme Auktionen wie die Faust aufs ruhende Auge im Inneren kapitalistischer Orkane.



    Übrigens praktiziert die Mafia Auktionen seit ihrer Gründung im Namen Vatikans um 1860, Konstituierung italienischen Staates entgegenzuwirken, als päpstlich heimlich eingeschworene Strohmann Treuhänder verstaatlichte Kirchen Güter, Ländereien zu verwalten über Auktionen anonym zu veräußern

  • der "Nobelpreis für Ökonomie" ist kein Nobelpreis

    • @Christoph Buck:

      Nö. Nach dem Ende der Vorsehung.

      Ist die Schimäre Markt die Ablöse.

      unterm—— servíce —



      Der Souveränitätseffekt - Joseph Vogl



      taz.de/Joseph-Vogl...ues-Buch/!5017253/ -

  • Es ist unerträglich, dass über diese Auszeichnung des Neoliberalismus überhaupt im Kontext der von Alfred Nobel gestifteten Preise berichtet wird (auch wenn die taz dies zumindest kritischer tut als diverse andere Blätter). Aber natürlich ergibt dies wie von Anfang an gewünscht gute und seriöse Propaganda für das Dogma des "freien Markts".