Nicht wegwerfen, zurückbringen!: Ministerialer Müll
Freiburg will den Berg der Coffee-to-go-Becher in den Griff bekommen – mit einem freiwilligen Angebot. Das freut vor allem die Politik.
D ass wir in unseren Ländern und Ländles von ernsthaften Problemen verschont bleiben, hat gerade erst wieder eine Studie aus – ausgerechnet – Großbritannien gezeigt. Die EU-Deserteure bescheinigten den Deutschen, in Europa zu der Gruppe zu gehören, die am geringsten für „Populismus“ empfänglich sei.
Nicht nur bei den Grünen ergriff man die Gelegenheit, „einfach mal wieder durchzuatmen“: Darauf einen Espresso, oder nein, lieber einen Kaffee zum Weglaufen – denn sagen wir, es wie es ist: Trotz allgegenwärtiger Luxusvollautomaten und Importprotzmaschinen ist es immer noch nahezu unmöglich, einen starken, schwarzen Trunk zu bekommen, der sich in Aroma, Struktur und Nichtbittersein auch nur dem annähert, was bei unseren italienischen Nachbarn zum Alltagsleben gehört – zum Preis von 80 Cent pro Tässchen am Bartresen.
Anstatt aber nun flächendeckend Barista-Kurse einzuführen, entschließt man sich bei uns, nichts am meistens abscheulichen Inhalt zu ändern, sondern einen freiwilligen Pfand auf die Verpackung, die Kaffeebecher, einzuführen.
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) lobt denn auch aktuell ein Projekt in Freiburg – nicht das erste seiner Art in Deutschland –, wo Cafés und Bäckereien Pfandbecher für Kaffee zum Mitnehmen anbieten. „Dafür brauchen wir keine Bundesregelung“, sagt die Ministerin gutgelaunt, „das geht auf lokaler und freiwilliger Basis.“
Freiwillige Basisarbeit
Diese Aussage ist insofern interessant, als das deutsche Gemeinwesen ja – nur so als Beispiel – beim Mitmischen in rechtsterroristischen Vereinigungen nicht viel von freiwilliger Basisarbeit hält: Die bundesweite Neonaziszene wurde über Jahre von diversen Verfassungsschutzämtern hingabevoll aufgepäppelt.
„Freiwilligkeit“ ist in den letzten zwanzig Jahren ein Schimpfwort wie „Reform“ geworden: Erstere steht für Feigheit und Arbeitsverweigerung der Politik, letztere für Projekte, bei denen es zumeist um den Abbau von Sozialleistungen oder die Einschränkung von Grundrechten geht.
Solche heimischen Petitessen interessieren allerdings nur peripher: Diesen Eindruck muss man haben, wenn man an die obsessive Beschäftigung der deutschen Öffentlichkeit mit einem mindestens 5.242,38 Kilometer (Luftlinie Isenbruch, Deutschland – Eastport, USA) entfernten Wahlkampf in den letzten Monaten denkt, die dann – darf man es noch ein letztes Mal vermerken? – ganz überwiegend zu einer katastrophalen Fehleinschätzung der tatsächlichen Verhältnisse und dementsprechend des wirklich Wahlausgangs führte.
„Umweltministerin Barbara Hendricks tut nichts Ernsthaftes, um Abfälle zu vermeiden.“ Das ist, wenn wir hier in Schlagzeilen denken würden, die eigentliche Meldung vom Tage, formuliert vom Leiter Kreislaufwirtschaft der Deutschen Umwelthilfe, Thomas Fischer.
Wenn man nicht auf die freiwillige Durchsetzung der Espresso-Tresen-Kultur (nur nebenbei: dabei kann man wunderbar miteinander ins Gespräch kommen) warten will, dann muss die zuständige Politikerin aufhören, den Müllberg von jährlich drei Milliarden deutschen Brühe-Bechern von sich wegzuschieben.
Gestaltungsunwille
Einer bundesweiten Abgabe von 20 Cent auf jeden Einwegpappbecher stehe rechtlich genauso wenig etwas im Wege wie einer landesrechtlichen Umsetzung, sagte Fischer der taz. Damit würden vor allem die Vieltrinker motiviert, von Einweg auf Mehrwegbecher zu wechseln. Beschlüsse zur Förderung oder Einführung von Mehrwegsystemen für Coffee to go seien in Hamburg und von der neuen rot-rot-grünen Koalition in Berlin verabschiedet worden.
Populismus, um auf den Beginn diesen kleinen Kaffee-Talks zurückzukommen, ist es nämlich nicht nur, Menschen mit hetzerischen Parolen in der braunen Soße abzuholen, in der sie bedauerlicherweise feststecken; sondern auch, wenn Politiker ihren Gestaltungsunwillen nicht schlicht zugeben und womöglich sogar persönliche Konsequenzen ziehen, sondern ihn auch noch als Weisheit verkaufen.
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