Nicht-binär im Musical: Wie Bram Tahamata lernte, they selbst zu sein
In der heteronormativen Welt des Musicals hat Bram Tahamata Fuß fassen können. Das hat viel mit der genderfluiden Produktion „& Julia“ zu tun.

Musicals sind nicht selten eine ziemlich eindimensionale Angelegenheit. Gerade Disney-Klassiker wie „Tarzan“ oder „Aladdin“ heben schon mit ihrem Titel den männlichen Helden hervor. Man muss kein:e große:r Muscial-Kenner:in sein, um zu erraten: Wenn ihm eine schöne Frau begegnet, gedeiht natürlich die Liebe. Für Homoerotik oder nicht-binäre Charaktere ist zumindest im deutschsprachigen Musiktheater wenig Platz. Am Broadway oder im Londoner Westend hingegen kriegen LGBTQ+-Sujets in Stücken wie „A strange Loop“ deutlich mehr Raum.
Immerhin bringt das Musical „& Julia“, das seit Ende Oktober 2024 im Stage Operettenhaus auf dem Hamburger Kiez läuft, frischen Wind in die hiesige Szene. Nicht nur, weil Shakespeares „Romeo und Julia“ auf links gedreht wird. Julia führt nämlich lieber ein selbstbestimmtes Leben, statt Romeo in den Tod zu folgen. Ebenso bemerkenswert ist, dass ihr mit May ein:e nicht-binär:e Freund:in zur Seite steht, der/die schließlich einen queeren Mann für sich gewinnt.
Gespielt wird diese Rolle von Bram Tahamata. Tahamata, in den Niederlanden geboren, definiert sich auch abseits der Bühne als nicht-binär und verwendet die Pronomen they/them. Nun sitzt der/die 26-Jährige im kleinen Konferenzraum des Operettenhauses, noch ungeschminkt. Lampenfieber scheint Bram Tahamata vor der nächsten Vorstellung kaum zu haben, vor der Deutschlandpremiere war das allerdings anders: „Ich hatte ein bisschen Angst vor meinem allerersten Auftritt.“
Lachen im Saal
Geschuldet war das den teils heftigen Reaktionen des amerikanischen Publikums, von denen US-Kolleg:innen erzählt hatten. Wenn May einen Mann küsste und sich in Katy Perrys Hit „I Kissed a Girl“ plötzlich die Zeile „I kissed a boy and I liked it“ einschmuggelte, lachten einige Amerikaner:innen. Manche verließen direkt den Saal.
So negative Resonanz gab es in Hamburg nie, im Gegenteil. Unvergesslich geblieben ist Bram Tahamata jener Abend, als nach der Vorstellung ein großer, kräftiger Mann, Typ Rugby-Spieler, auf them zukam. Er wirkte auf den ersten Blick einschüchternd, wollte aber bloß loswerden, wie sehr ihn Bram Tahamatas Interpretation von Britney Spears’ „I’m not a Girl, not yet a Woman“ bewegt hatte. „Ehrlich gesagt hat mich das total überrascht“, bekennt they. „Ich war zu Tränen gerührt.“
Als Musical-Darsteller:in bekommt Tahamata via Social Media ständig Feedback zur Show. Einige Leute schreiben, May habe ihnen ihr Coming-out erleichtert. Auch Bram Tahamata schätzt diese Figur, sehr sogar. Von ihr habe they tatsächlich einiges gelernt, etwa sich von starren gesellschaftlichen Normen zu lösen. „Ich habe mich nie komplett als Frau oder Mann gefühlt, sondern immer irgendwo dazwischen“, sagt Bram Tahamata. Bloß bläuten die Lehrkräfte them während der Ausbildung ein, auf der Bühne unbedingt das Maskuline hervorzukehren: „Diesen Gedanken habe ich nun endlich losgelassen. Dank May weiß ich, dass ich ganz ich selbst sein kann.“
Trotzdem hat sich Tahamata bisher um keine weiblich gelesene Rolle beworben: „Die Musical-Macher:innen beginnen gerade erst, sich etwas zu öffnen.“ Dabei haben Bram Tahamata bereits als Kind Frauencharaktere weit mehr fasziniert als männliche Figuren. They begeisterte sich für Elle Woods aus „Legally Blond“ oder für Glinda aus „Wicked“. Überhaupt hatte Bram Tahamata eher Interessen, die traditionell als mädchen-typisch galten: „Ich habe Barbies und Make-up geliebt. Für meine Familie war das völlig okay. Niemand hat mir das Gefühl gegeben, merkwürdig zu sein.“ Dennoch warnte die Mutter them, als Bram im rosa Kleid zur Schule gehen wollte: „Sei dir bewusst, dass andere abfällige Kommentare machen könnten.“
Rosafarbene Mädchenzimmer
Gerade dieses Schubladendenken findet Bram Tahamata, dessen/deren Karriere mit einem ebenfalls genderfluiden Part in „Wicked“ in Hamburg begann, furchtbar. „Warum streichen Eltern ein Mädchenzimmer rosa?“, fragt they. „Sie sollten ihr Kind zunächst einfach als Kind betrachten und schauen, wie sich seine Persönlichkeit dann entwickelt.“ Positiv bewertet Bram Tahamata indes, dass sich die Sängerin Lorde auf ihrem Album „Virgin“ für nicht-binäre Menschen stark macht: „Sie bringt dieses Thema einem Mainstream-Publikum nahe.“
Gleichwohl hat Bram Tahamata den Eindruck, dass die Offenheit der Gesellschaft immens schrumpft. Fakt ist: Fast überall kommen konservative, teils rechtspopulistische Politiker:innen an die Macht – das Resultat: „Die Leute begegnen einander mit weniger Toleranz.“ Wenn Donald Trump trans* Personen entrechtet und per Dekret festlegt, dass in den USA nur noch zwei Geschlechter anerkannt sind, schockiert das Bram Tahamata: „Was dort gerade passiert, ist entmenschlichend und beängstigend.“ Wenigstens fühlt they sich in Hamburg relativ sicher, selbst wenn they nach einer Show geschminkt das Theater verlässt: „Ich bin bei Dunkelheit zwar achtsamer, doch das sind Frauen auch.“
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