Nibelungenfestspiele in Worms: Eine von Krisen erschütterte Welt

Mit Pop in Musik und Bild weichen die Festspiele in Worms alte Machtkonstellationen auf. Ferdinand Schmalz hat den Mythos neu bearbeitet.

Vier Schauspielerinnen in Kostümen in einem Wasserbecken

Genija Rykova als Brünhild, neben ihr im Wasser Kriemhild (Gina Haller) Foto: David Baltzer

Wasser, überall Wasser, aus dessen Tiefen unversehens zwei Liebende auftauchen: Siegfried (Felix Rech), der unverwundbare Drachentöter, und Brünhild (Genija Rykova), die eiserne Königin von Island. Kurz landen sie in dem gigantischen Becken vor der Kulisse des Doms in Worms – traditioneller Spielort der Nibelungenfestspiele Worms – einander in den Armen, bevor die Schicksalsgöttinnen die Machthaberin zur Vorsicht mahnen und der Recke die kalten Gefilde hinter sich lassen wird.

Selbst in Ferdinand Schmalz’ Überschreibung von der Deutschen liebstem Mythos, seiner „hildensaga. ein königinnendrama“, kann es kein Glück geben. Wovon sich diese Uraufführung bei den diesjährigen Nibelungenfestspielen hingegen deutlich von der Vorlage absetzt, sind die bisherigen Frauenrollen. Gewiss, auch schon im mittelalterlichen Lied begegnen uns die beiden Herrscherinnen als souveräne Gestalten.

Aber erweisen sie sich darin nicht auch als Spielbälle männlicher Machenschaften? Um Gunther mit Brünhild des Nachts zu vermählen, muss schließlich Siegfried letztere heimlich mithilfe der Tarnkappe vergewaltigen. Nachdem dieser wiederum dem Strippenzieher Hagen zum Opfer fällt, sinnt seine hinterbliebene Kriemhild in der Überlieferung noch auf Rache für den Ehegattenmord.

In Schmalz’ Version erkennen sich die beiden gebeutelten Frauen nunmehr als Leidensgefährtinnen. Sie begehren gegen die Übermacht der Väter auf und bringen entschlossen und vereint Siegfried zu Fall. Sie nehmen also die Fäden in die Hand, die zum Leitmotiv des Textes avancieren.

Welterschaffung und Weltzerstörung liegen eng beieinander

„Ich ersticke. Ich ersticke mir die Welt“, sagt Kriemhild (Gina Haller) einmal. Die Replik ihres Gatten lautet: „Die Nadel, an der man sich nicht sticht, die gibt es nicht.“ Welterschaffung und Weltzerstörung liegen in diesen mehrdeutigen Sprachspielen, die voll und ganz den poetischen Elan des Autors dokumentieren, eng beieinander.

Aber wo viel Wasser ist, können Fäden auch ausfransen. Diese Überlegung dürfte nicht der einzige Grund für den Entschluss des Regisseurs Roger Vontobel gewesen sein, einen überdimensionalen Pool als Bühne zu errichten. Während Liebes- und Gewaltakte gleichermaßen unter der schimmernden Oberfläche stattfinden, während die Protagonistinnen abtauchen oder entkräftet rettend an Land ziehen, kommen den ZuschauerInnen unterschiedlichste Assoziationen in den Sinn.

„hildensaga. ein königinnendrama“ läuft im Rahmen der Nibelungenfestspiele noch bis zum 31. Juli 2022 auf der Freilichtbühne vor dem Wormser Kaiserdom

Man denkt natürlich an den Untergang oder an das dünner werdende isländische Eis. Und abgesehen vom stets unsicheren Boden gilt das Wasser zumindest in vielen Werken der Kulturgeschichte ebenso als das weibliche Element. Am Ende dieser Inszenierung finden sich in ihm aber keineswegs nur Männerleichen. Alles andere wäre auch trotz des erfrischend feministischen Impetus ziemlich unerwartbar gewesen.

Denn dafür sind die sonstigen Fäden zu engmaschig mit dem ursprünglichen Stoff verwoben, verfängt sich dessen zweifelsohne aparte Realisierung oft in nacherzählerisch etwas ausufernden Szenen. Wickelt der zweite Teil des Abends sehr rasch all die blutrünstigen Auseinandersetzungen ab, ergeht sich die Darbietung zuvor mitunter in epischer Breite über die Ermordung des Drachentöters oder die Hochzeitsfeierlichkeiten.

Setting mit Luftmatratzen und Strandliegen

Auch mag einem die späte Verschwisterung von Kriemhild und Brünhild etwas zu plötzlich erscheinen. Um diese Unstimmigkeiten zu kaschieren, bedient sich die Aufführung einiger Methoden aus der Trickkiste. Wie schon in seiner Umsetzung von „Siegfrieds Erben“ bei den Nibelungenfestspielen 2018 setzt Vontobel beispielsweise erneut auf reichlich Livemusik. Eine Band mit eigener Bühne steht dafür am rechten Bühnenrand bereit.

Schade ist, dass deren Einstudierungen kaum über eine illustrative Funktion hinausreichen. Dafür besticht der archaische, mithin sakrale Gesang der Nornen umso mehr, der ebenso deutlich an einen Sänger aus dem Norden aus der letzten Worms-Produktion des Regisseurs erinnert.

Indem er – wenn auch eben nicht frei von recht künstlichen Mitteln wie dekorativer Soundbegleitung oder riesigen Videomonitoren – Stimmungen punktgenau erzeugt, fängt er all die unterschiedlichen Gefühlslagen der Sage und ihrer Protagonistinnen ein. Manchmal mutet das Setting mit Luftmatratzen und Strandliegen wie eine Pop-Show an, in anderen Momenten fängt die Inszenierung treffend das zeitlose Pathos ein – wenn Vontobel etwa seine Figuren nachdenklich und in ihren existenziellen Nöten befangen zeigt.

Dann treten sie nämlich aus ihrer historischen Verortung heraus und geben ihre Gegenwärtigkeit zu erkennen: auf ihrer Suche nach Selbstbestimmung in einer von Finsternis und Krisen erschütterten Welt.

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