Newsletter von Friedrich Merz: Völlig weltfremd
Der CDU-Chef behauptet in seinem Newsletter, dass in „normalen Leben“ Inflation und Wohnungsnot Probleme seien. Rassismus gehört für ihn nicht dazu.
D ie Alliteration muss man dem PR-Team von Friedrich Merz lassen: „MerzMail“ ist ein smarter Titel für einen Newsletter, so schön eingängig. Was Merz in der letzten Ausgabe schrieb, war dagegen eine Täter-Opfer-Umkehr der Sonderklasse. Die gendergerechte Sprache – Merz nennt das „Gegenderte Sprache und identitäre Ideologie“ – in journalistischen Medien sei für die erneut gestiegene Popularität der AfD verantwortlich, die laut der Umfrage zur Bundestagswahl, die das Meinungsforschungsinstitut Insa für die Bild am Sonntag gerade tätigte, zu verzeichnen ist.
Aber erst mal zurück zum Anfang. Das Gendern beherrscht Merz nämlich selbst auch. „Liebe Leserin, lieber Leser“, beginnt der Text, Ladys First eben. Das generische Maskulinum, das Binnen-I, wir wissen alle sehr gut, dass unsere Sprache längst gegendert ist. Wobei der Backlash gegen Unterstrich, Asterisk und Doppelpunkt stark an das Lächerlichmachen erinnert, das das Binnen-I einst erfuhr.
Weniger zitiert wurde aus Merz’ Botschaft folgender Satz zum Thema sprachliche Selbstbestimmung: „Im normalen Leben beschäftigen sich die Menschen nicht mit ‚Indianern‘ und ‚M[…]straßen‘, sondern mit Inflation und Wohnungsnot.“ Ich bin mir ziemlich sicher, dass koloniale Reststücke in Sprache und Kultur für People of Color zu Problemen gehören, mit denen sie sich im normalen Leben beschäftigen. Genauso wie Rassismus auf dem Wohnungsmarkt. Weißen Menschen ist Antirassismus im Übrigen auch ein zentrales Anliegen im Alltag, inklusive der Umbenennung von Straßen, die das koloniale Erbe ungefiltert in die Gegenwart tragen.
Vielfalt gehört in die Mikrofasern der Gesellschaft. Von Partikularinteressen, wie Dorothee Bär sie in der FAZ diese Woche wieder einführen wollte, kann keine Rede sein. Bär besuchte kürzlich schon Ron DeSantis in den USA. Sie und Merz könnten sich mal bei den verschiedenen Native Nations erkundigen, wie „wenig“ die Fremdbezeichnung „Indian“ mit Alltagsrassismus und der überproportional hohen Mordrate gegen indigene Frauen, Mädchen und Two Spirits zu tun hat. Wie viele existenzielle Schwierigkeiten die Unterversorgung mit infrastrukturellen Ressourcen und medizinischer Versorgung erzeugen.
Schließlich folgt bei Merz noch Stimmungsmache gegen Geflüchtete in Deutschland: „Im Lebensalltag der Städte und Dörfer dagegen ist die Flüchtlingskrise wieder präsent, verbunden mit dem unguten Gefühl, für Flüchtlinge sei immer genug Geld vorhanden, für Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser dagegen immer weniger.“ Oha, Deutsche First. Mein Gefühl ist, Merz spricht so häufig von sich weisend über die AfD, gerade weil seine Rhetorik ihr so nah kommt. Mit der AfD hat geschlechtergerechte Sprache im Übrigen tatsächlich viel zu tun. Sie ist einer der unzähligen Bausteine gegen Neo-Faschismus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation