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New York Times zur BundeskanzlerinSo einer fordert Merkels Rücktritt

Kolumnist Ross Douthat fordert in der „New York Times“ Angela Merkel zum Rücktritt auf. Gekippt ist die Debatte deshalb aber noch lange nicht.

Rücktrittsforderung? Nichts neues. Foto: dpa

Es kommt nicht oft vor, dass alle möglichen rechten „Alternativmedien“ in Deutschland die New York Times zitieren. An diesem Wochenende schon: “New York Times: Merkel muss gehen“, titelte die intellektuell verbrämte Rechtspostille Junge Freiheit, und alle schrieben ihr nach.

Auch in der Presseschau im Deutschlandfunk konnte man diese Sätze zitiert hören: „Deutschland muss die Grenze für neue Flüchtlinge schließen und abgelehnte Asylbewerber konsequent abschieben. Die lieb gewonnene Illusion muss aufgegeben werden, dass Sünden der Vergangenheit mit einem sorglosen Humanismus wiedergutgemacht werden können. Und es bedeutet auch, dass Bundeskanzlerin Merkel gehen muss, damit Deutschland nicht einen zu hohen Preis für ihre Torheit bezahlen muss.“ Das fordere die New York Times.

Der Eindruck: Oh je, die Ereignisse von Köln haben die Debatte wirklich auf ganzer Linie kippen lassen. Jetzt sogar die New York Times! Stimmt bloß nicht.

Richtig ist: Die Sätze standen in der New York Times, in der Kolumne des konservativen Journalisten und Bloggers Ross Douthat. Und wenn man nicht weiß, dass die New York Times sich rund ein Dutzend KolumnistInnen und weitere knapp 30 regelmäßige GastautorInnen von ziemlich links bis ganz rechts leistet, könnte man tatsächlich auf komische Ideen kommen. Oder, wie es das in rechten Kreisen gern verlinkte Falung-Gong-Organ Epoch Times schrieb: „Bislang lobte die NYT Angela Merkel für die deutsche Flüchtlingspolitik. Diese Zeiten sind nun anscheinend vorbei.“

Im Rahmen dessen, was heute US-amerikanischer Konservativismus ist, gehört Ross Douthat nicht zu den Hard­linern und Schrei­hälsen, er ist eher ein Mainstreamrechter

Äh, nein.

Wenn man überhaupt je behaupten kann, „die“ New York Times fordere irgendwas, dann bestenfalls bei den als solchen gezeichneten Editorials, die nach Debatte der Meinungsredaktion verfasst und ohne Autorenkennzeichnung veröffentlicht werden. Und da heißt es noch am vergangenen Freitag: „Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die in der Flüchtlingskrise beeindruckende Führungsstärke gezeigt hat, sagte in ihrer Neujahrsansprache: ‚Richtig angepackt, ist auch die heutige große Aufgabe des Zuzugs und der Integration so vieler Menschen eine Chance von morgen.‘ Das ist eine Neujahrsbotschaft, die ganz Europa beherzigen sollte.“

Klingt nicht wirklich nach Rücktrittsforderung.

Aber so funktioniert gegenseitige Bestätigung. Kolumnist Ross Douthat plappert gleich zu Beginn seiner „Deutschland am Rande des Abgrunds“ betitelten Kolumne die unsinnige „Schweigekartell“-These des ehemaligen CSU-Innenministers Hans-Peter Friedrich nach, wenn er schreibt, die Behörden hätten die Übergriffe heruntergespielt, weil sie „unangenehm für Angela Merkels Politik des Massenasyls“ wären. Und für die interessierten Kreise hier fordert jetzt eben „sogar die New York Times“ Merkels Rücktritt, was bislang Pegida, NPD und AfD vorbehalten war.

Douthat ist kein Idiot. Im Rahmen dessen, was heute US-amerikanischer Konservativismus ist, gehört er nicht zu den Hardlinern und Schreihälsen, ist eher ein Mainstreamrechter. Nur: Vor gut zehn Jahren schrieb mal ein anderer Kolumnist nach ausgedehnten Reisen durch Europa, dass praktisch das gesamte europäische Politspektrum gut in die Demokratische Partei der USA passen würde. Das würde er heute, nachdem in nahezu allen europäischen Ländern rechtspopulistische Parteien stärker geworden sind, so vermutlich nicht mehr schreiben. Wo US-Konservative allerdings stehen, ist damit immer noch recht gut beschrieben: Außerhalb, sehr weit rechts.

Und so einer fordert Merkels Rücktritt. So what?

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13 Kommentare

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  • Wenn die USA Öffentlichkeit bereit ist für einen Kandidaten Trump, dann ist ein Merkel-Rücktritt sowieso Quatsch. Danke für die Aufklärung. Ich bin zwar immer für gesellschaftlichen Wandel aber eine andere Person als Merkel ist gerade nicht meine Priorität. Schon gar nicht wegen der Flüchtlingskrise.

  • "Und seinem bereits im dritten Absatz zu lesenden Fazit :"Es sind nicht die notgeilen Muslime, die wir fürchten müssen. Sondern uns selbst." kann ich nur zustimmen."

    Nicht Ihr ernst, oder? Klingt für mich ganz schön "germanophob". Hat sich erstgenannte, wenn man sie als Gruppe betrachtet, vieleicht besser im Griff? Woher dieses Vertrauen in deren Integrität?

    (Ich habe in meinem Freundeskreis auch richtig gute Leute, aus aller Herren Länder, was ich aber ebenso wenig genaeralisieren möchte, wie umgekehrt.)

    Kann schon sein, dass in einer Notsituation, wenn das geliebte gesellschaftliche Gleichgewicht kippt, ein Teil der Deutschen wieder richtig rabiat werden kann. Nur unterscheidet uns das kaum von anderen Völkern. Oder wie erklärt es sich, dass s.g. rechtspopulistische Parteien im Ausland deutlich mehr Zuspruch erfahren, als hier, sogar bis in Regierungen hinein kommen?

    Mir fällt noch was ein, zu den muslimischen Männern. Erinnern Sie sich an die Fernsehbilder aus den Hauptstädten der Region, als es um die dänischen Proheten - Karrikature ging?

    Das war wirklich beängstigend, dieser irre grenzenlose und ungebremste Hass, den man da zu sehen bekam. Damals war das noch weit, weit weg. Bleibt es auch, zu uns kommen ja nur die Guten;-)

  • Kommentar entfernt. Bitte beachten Sie unsere Netiquette.

  • Mit dem Mantra "Wir schaffen dass" will unsere Kanzlerin nicht nur Deutschland sondern Europa und die ganze Welt regieren. Irgendwie sind deutsche Weltphantasien nie besonders beglückend für andere gewesen ... und da fallen uns eine Menge ein.

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Ein rechter Kolumnist in der NYT fordert Merkels Rücktritt. Und das soll jetzt nicht die Meinung der NYT sein? Wird bloß keiner so auffassen!

  • Ist das geil! In der TAZ werden Rücktrittsforderungen an eine Kanzler der CDU durch einen Autor in ein liberalen (wenn nicht liberalsten) amerikanischen Tageszeitung durch einen Artikel relativiert. Keine Bange TAZ. Sie schafft das, ist ja wirklich mittlerweile Eure Kanzlerin. (Winke winke aus Griechenland). Den Artikel habe ich in mein persönliches Archiv gepackt.

  • Ross Douthat ist der "konservative" Hofnarr eines rigoros "progressiven" Mediums - ein lächerliches Feigenblatt, das als Beleg für "Meinungsvielfalt" dienen soll, aber eigentlich durch die überzogene und lächerliche Darstellung von "Gegenpositionen" der NYT-Klientel die Vergewisserung bietet, daß die Andersdenkenden irgendwie minderbemittelt sein müssen.

     

    Etwas in der Art kann man chez nous beim Spiegel beobachten, wo die Fleischhauer-Ausdünstungen den schmierig-weichgespülten Salonbolschewiken Augstein im Vergleich recht vernünftig erscheinen lassen, zumindest in der Wahrnehmung der geschätzten Abonnenten.

    • @Wurstprofessor:

      Ja , Augstein hat in seinem Kommentar vom 11/1 viel Kluges und Richtiges geschrieben . Und seinem bereits im dritten Absatz zu lesenden Fazit : "Es sind nicht die notgeilen Muslime, die wir fürchten müssen. Sondern uns selbst."- kann ich nur zustimmen . Den "Beweis" für sein Diktum findet man direkt darunter , in den über 400 Leserkommentaren : ganz überwiegend schlicht nur zum Gruseln ; da gibt der deutsche intellektuelle Mob seinen rassistisch-chauvinistischen Pferden die Zügel frei , in orthographisch und grammatikalisch korrekten Sätzen .

      Der "Souverän" , das "Volk" , der "mündige Bürger" - ... wehe , wenn er losgelassen .

      Augstein zitiert in seinem letzten Absatz Arthur Koestlers im Rückblick auf die Dreißigerjahre in Deutschland geschriebenen Satz : "Wir kapitulierten einfach vor der rapid wachsenden Brutalisierung der Masse." Hoffen wir , dass "wir" (und unsere "classe politique") heute der Brutalisierung noch Einhalt gebieten können .

  • Sagen wir mal so. Wenn die Meinungen auseinandergehen, wenn Fakten in der Flüchtlingspolitik nicht vorhanden sind und auch sonst nicht stimmen. Wenn 500 bis 1000 volltrunkene Asylbewerber am Kölner Hauptbahnhof sexuelle Übergriffe planen. Dann ist Rücktritt eine bravouröse Option.

    • @Picard:

      Nein , sagen Sie besser nichts mehr , PICARD . Es scheint Ihnen nicht möglich zu sein , Fakten , die Sie n i c h t haben , in zwei Sätzen logisch widerspruchsfrei in Verbindung zu setzen .

      Immerhin : Welche Meinung Ihr Beitrag ausdünsten soll , das wird deutlich genug .

  • Schon wieder ein neues Kästchen, in die man "unbequeme" Kritiker einsortieren kann: In die der Mainstreamrechten. Nun ja - so what

  • "So what?" Wenn das wirklich so irrelevant ist, was Douthat in der NYT schrieb, warum ignoriert man das nicht einfach, anstatt gleich einen Artikel darüber zu schreiben?

    • @yohak yohak:

      Gute Frage. Eine Antwort wäre: Weil gerade in den USA mit den Geschehnissen in Deutschland an Silvester Politik gemacht wird. Mich würde es nicht wundern, wenn Silvester-Köln Trump zum Präsidenten machen wird.

       

      Das funktioniert genauso wie hier mit der AfD: Sie schreien "haben wir doch schon die ganze Zeit gesagt!" und das hat deswegen so durchschlagenden Erfolg, weil alle anderen die tatsächlichen Probleme nicht ansprechen bzw. totzuschweigen versuchen. Was dann gewaltig zurückschlägt, wenn das punktuell nicht mehr geht und alles andere damit auch entwertet wird.

       

      Es gibt Leute in den USA, die der Meinung sind, dass die deutsche Flüchtlingspolitik Folge des institutionalisierten schlechten Gewissens über den Holocaust ist und die dadurch verursachte Realitätsverweigerung Deutschland in eine Katastrophe führen wird.

       

      Und in der Tat fasst sich jeder Amerikaner an den Kopf, wenn er Aussagen hört wie "Es kann nicht sein, dass Klauen in Deutschland dazu führt, dass ein Flüchtling an seinen Henker ausgeliefert wird". Der sagt dann nämlich "Wieso, er hat es doch selber in der Hand: Soll er halt nicht klauen. Davon hat er etwas und alle anderen auch". In Deutschland ist man damit rechts, selbst wenn man die ganze rechte Rassismus-Scheiße verdammt.