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Neuwahlen in FrankreichDie „Zauberlehrlinge“ Macrons

Emmanuel Macron hat die Parlamentsauflösung im kleinen Kreis vorbereitet. Dann wurde er von einem Berater verraten.

Präsident Macron spiegelt sich in einer Sonnenbrille bei seinem Besuch auf der Île de Sein am 18. Juni Foto: Christophe Ena/ap

Paris taz | Auf der kleinen bretonischen Insel Île de Sein holt Emmanuel Macron am vergangenen Dienstag die Aktualität ein. Der französische Präsident, der eigentlich zur Ehrung des Widerstands gegen die NS-Besatzung im Zweiten Weltkrieg gekommen ist, wird von einer Passantin angesprochen. Sie befragt ihn zu seiner Entscheidung, die Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen abzuhalten: „Wie konnten Sie uns in diese Situation bringen? Wie konnten Sie uns diesem Chaos aussetzen?“

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Diese Frage stellen sich in diesen Tagen viele Französinnen und Franzosen. Macron rief nach dem haushohen Sieg des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) bei den Europawahlen am 9. Juni Neuwahlen schon für Ende Juni aus. Seine Ankündigung schlug auch im eigenen Lager wie eine Bombe ein.

Nicht einmal mit Regierungschef Gabriel Attal hatte der Staatschef vorab darüber gesprochen. Auf Fotos, die Macrons Fotografin Soazig de La Moissonnière in den sozialen Netzwerken veröffentlichte, ist der 35-Jährige Attal nach der Entscheidung mit versteinerter Miene und vor der Brust verschränkten Armen zu sehen.

Der Präsident sei ein „unnützes Risiko“ eingegangen, kritisierte der frühere Fraktionschef von Macrons Partei Renaissance, Gilles Le Gendre. „Ich finde weder in der Regierungsmehrheit noch in meiner Partei oder der Wählerschaft jemanden, der das billigt“, sagte er der Zeitung Le Monde.

Umfragen sagen dem RN von Frontfrau Marine Le Pen eine relative, wenn nicht sogar eine absolute Mehrheit in der neuen Nationalversammlung voraus. Bisher regierte Attal mit einer relativen Mehrheit. Das Ende seiner Regierung wurde frühestens im Herbst erwartet, wenn das Parlament die heiklen Haushaltsberatungen beginnen sollte.

Ein Berater verriet Macrons Coup

Macron hatte seinen Coup im Geheimen vorbereitet. Vier Männer, von Le Monde auch „Zauberlehrlinge“ genannt, sollen ihn dabei beraten haben.

Einer dieser Berater steht auf den Fotos von de La Moissonnière neben dem Präsidenten, der am Schreibtisch seine Rede für die Ankündigung von Neuwahlen schreibt. Es handelt sich um den früheren Journalisten Bruno Roger-Petit, der seit 2018 die Gedenkfeiern des Staatschefs organisiert. „BRP“ soll der Kopf der kleinen Gruppe gewesen sein, der auch Macrons früherer Redenschreiber, sein Kommunikationsberater und ein ehemaliger Senator der Konservativen angehörten.

Der 61-Jährige hatte sich in den vergangenen Jahren nicht nur um die Gedenkzeremonien gekümmert, sondern auch als Strippenzieher im Hintergrund gewirkt. So traf er sich 2020 zu einem Mittagessen mit Marion Maréchal, der Spitzenkandidatin der rechtsextremen Partei Reconquête bei den Europawahlen.

Drei Stunden vor der Fernsehansprache des Präsidenten soll er die bevorstehende Auflösung des Parlaments dem Starjournalisten des ultrarechten Fernsehsenders CNews, Pascal Praud, verraten haben.

Als Macron erfuhr, dass Roger-Petit Details der Parlamentsauflösung offen in Hintergrundzirkeln weitergab, wurde der Präsident mehreren Medienberichten zufolge wütend auf seinen Berater. Die Reise auf die Île de Sein trat er ohne Roger-Petit an.

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16 Kommentare

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  • @RUDI HAMM

    "Wie hat man über Macron als "neoliberalen" hergezogen."

    Isser ja auch.

    "Jetzt kommt vermutlich le Pen an die Macht. Ist das etwa besser?"

    Nun, Macron hat diese Inszenierung jetzt zum dritten Mal: er weiss, dass sich bei dieser Alternative manche Linke die Nase zuhalten werden.

    Bis es halt nicht klappt.

    Bei den letzten Präsidentschaftswahlen konnten Sie gerade zuschauen, wie er im Vorfeld die Linke schwächt, um in der Stichwahl gegen Le Pen antreten zu dürfen.

    In der Zwischenzeit treibt er neoliberale Politik, die die Menschen in die Arme der Populisten treiben. Und raten sie, welcher Art von Populisten das Grosskapital vorzieht?

    Ich sag's immer: Neoliberalismus gebiert Faschismus.

    Gerade in Frankreich können Sie das in Echtzeit erleben.

    • @tomás zerolo:

      Klar und präzise, nichts hinzuzufügen, nichts weg zulassen. Danke!

  • Interessanter wäre gewesen, etwas über die Absicht zu erfahren, die zu dieser Entscheidung geführt hat, da doch der Verlust der Regierungsfähigkeit absehbar ist.

    • @PeterArt:

      Eine Theorie ist, dass Macron längerfristig denkt, Die Annahme ist dass wenn der RN gewinnt uned an die Macht kommt, dessen Unfähigkeit offenbar wird . So wie gerade bei den Grünen in Deutschland, Und bei der nächsten Wahl kommt dann das große Come-back des Monsieur M. ...

      • @Gerald Müller:

        Kaum ein Politiker denkt so: Laß die Opposition mal ran, dann merken die Leute, wie schlecht die regieren werden.



        Zum einen weil DIESE Opposition die Macht vielleicht gar nicht mehr abgibt - Wahlen hin oder her. Zum anderen, weil dann der Schaden ja angerichtet ist.



        Das ist so, als würde man ein Kind über die Straße laufen lassen, damit es aus dem Unfall lernt, dass es auf Grün an der Ampel warten soll.

      • @Gerald Müller:

        Und? Finden Sie Macrons Entscheidung irgendwie gut oder richtig?



        Wenn diese ganzen neo-, post- oder was-auch-immer-faschistischen Bewegungen in Europa sich so mir nichts, dir nichts „entzaubern“ würden, sobald sie an die Macht kommen, müssten wir uns ja keine Sorgen machen - und hätten im Frühjahr nicht massenhaft gegen die AfD auf die Straße gehen müssen. Alles nur halb so wild?



        Überhaupt „entzaubern“: hat man das 1933 in bürgerlichen Kreisen nicht auch geglaubt, einen Reichskanzler Hitler „entzaubern“ zu können - nur hieß das damals „einrahmen“?



        Wenn DAS Macrons Strategie für Frankreich ist, ist das leider alles andere als längerfristig gedacht … es ist sehr kurzsichtig und obendrein ein gefährliches Spiel mit dem Feuer.

  • Es kann sein, dass die schnelle Auflösung des Parlaments und Neuwahlen nur ein Szenario in (sehr) kleinem Kreis war. Aber für welchen Fall? Für ein überraschend gutes Ergebnis bei den Europawahlen? Die Prognosen waren für die "etablierten Parteien" waren schlecht. Ein etwas besseres Abschneiden hätte keinen Grund für Neuwahlen hergegeben. Es ist denkbar, dass es auch für ein schlechtes Abschneiden gedacht war: Dann macht es wenig Sinn, den Neofaschisten noch Monate Zeit zu geben mit diesem Ergebnis ihren Wahlkampf vorzubereiten. Man darf es als "Verzweifelungsangriff" bewerten, aber es könnte sinnvoller sein, als tatenlos dem Abgrund entgegen zu rutschen. Denn Europawahlen sind nicht erst jetzt gerne "Denkzettelwahlen". Diese Neuwahlen haben die Überschrift: Wollt ihr das wirklich? Auch im Elyseepalast?



    Denn wenn "die das wirklich wollen", helfen ein paar Monate länger regieren auch nicht.

  • Wie hat man über Macron als "neoliberalen" hergezogen. Jetzt kommt vermutlich le Pen an die Macht. Ist das etwa besser? Wenn Frankreich einen Rechtsrutsch macht, dann habe ich Angst um Europa.

    • @Rudi Hamm:

      Nö, besser ist das nicht.



      Aber man muss auch nach den Verantwortlichkeiten fragen, wenn in Frankreich die extreme Rechte an die Macht kommt. Und da spielt ein Neoliberaler namens Macron leider eine nicht ganz unerhebliche Rolle.



      Noch ließe sich das Ganze aufhalten - dazu empfehle ich als Lektüre: Paul Mason, Faschismus. Und wie man ihn stoppt. Insbesondere das Kapitel, in dem es um die französische Volksfrontregierung von Leon Blum geht.



      Der Faschismus ließ sich nämlich seinerzeit in Frankreich laut Mason aufgrund zweier Faktoren stoppen, obwohl es dort schon Spitz auf Knopf stand:



      1. die Kooperation der bisher ideologisch verfeindeten Parteien der Kommunisten und Sozialisten im Kampf gegen die extreme Rechte, 2. die Einbeziehung der liberalen Radikalen Partei, die bisher die Regierung stellte, in dieses Bündnis.



      Anders als vorher die an Stalin orientierte KPD waren die französischen Kommunisten damals nämlich bereit, in der Abwehr der faschistischen Gefahr mit den Bürgerlichen zusammenzuarbeiten. Und umgekehrt die Liberalen mit den Linken.



      Was können wir daraus hinsichtlich der Fehler Macrons lernen?

    • @Rudi Hamm:

      Auch die Rechten sind neoliberal, benutzen aber andere Rattenfängerflöten.



      Im Westen nichts neues...

      • @frank:

        Na ja, es kommt darauf an, WELCHE Rechten Sie meinen. Wenn Sie die historische Entwicklung und ideologischen Grundlagen des Faschismus betrachten, können Sie ja sehen, dass er - in seiner Wendung gegen das Bürgerliche, Etablierte - durchaus revolutionäre Züge trägt.



        Aber eben nicht im Sinne einer aufgeklärten, freiheitlichen und marxistischen Linken, sondern im Sinne einer „nationalen Revolution“, wie Deutschland sie 1933 erlebt hat. Den Kameraden von den Identitären oder auch einem Höcke schwebt so etwas sicherlich vor. Perfiderweise beziehen sie sich dabei auf die geschichtlichen Traditionen des Vormärz und der Revolution von 1848 - deshalb haben sie ja auch stets die Deutschlandfahne im Repertoire.



        Das Gros der AfD-Kader würde ich als nationalkonservativ oder deutschnational, also bürgerlich bezeichnen. Das macht sie natürlich nicht weniger gefährlich als „echte“ Nazis oder andere Faschisten.

  • @RINGSLE

    Ich lese das so, dass Macron dann überhastet damit raus musste.

    Tjo. Es birgt halt gewisse Risiken, wenn Demokratien von "Übermenschen" geführt werden.

    Nicht umsonst hat Macron den Spitznamen "Jupiter".

    Die Zeche...

  • Kandidiert sein Plaudertäschchen jetzt für Madame le Pen?

  • huch, da fehlt doch was? Wieso hört die Story hier auf?

    • @Ringsle:

      Nö, da fehlt nix.



      Eine Story, die davon handelt, wie Demokraten die Demokratie selbst zu Fall bringen: ein französischer Präsident, der sich aufführt wie ein absolutistisch regierender, gottgleicher Sonnenkönig. Und ein Präsidentenberater als intriganter Strippenzieher, der heimlich mit der extremen Rechten paktiert.



      So habe ich jedenfalls dieses Drehbuch gelesen. Es ist freilich ein anderes als das, in welchem seinerzeit in Deutschland die Demokratie zu Grabe getragen wurde. Aber auch es zeugt von der fehlenden Resilienz der liberalen Demokratie - bzw. Ihrer wichtigsten Akteure - gegen deren Feinde.

  • Das Foto mit der Sonnenbrille ist genial. Hätte nem Preis verdient!