Neutralitätspflicht in Hamburger Schulen: Protest gegen Podium mit AfD
Auf einer Podiumsdiskussion eines Hamburger Gymnasiums soll auch ein AfD-Politiker auf der Bühne sitzen. Schüler*innen und Eltern sind empört.
Einmal im Jahr laden Oberstufenschüler*innen des Hamburger Gymnasiums Corveystraße seit den 1990ern zu den „Lokstedter Gesprächen“, einer Podiumsdiskussion mit Hamburger Politiker*innen. Am Dienstag, den 12. März finden sie unter dem Motto „Zukunft gestalten, Gemeinschaft entfalten!“ erneut statt. Das Oberstufenprofil „Medien und Gesellschaft“ hat dafür im Rahmen seines Unterrichts eine Diskussion zum Thema Migrations- und Sozialpolitik organisiert.
Neben zwei Fachexperten werden auch Vertreter*innen aller Parteien, die in der Hamburger Bürgerschaft sitzen, mitdiskutieren. Unter ihnen ist auch Alexander Wolf, stellvertretender Vorsitzender der AfD-Fraktion und deren Sprecher für Integration und Zuwanderung. Vertreter der AfD, darunter auch Wolf, haben bereits in vergangenen Jahren an den Podiumsdiskussionen teilgenommen.
In diesem Jahr gibt es Aufregung unter Teilen der Elternschaft, auch einige Schüler*innen sind empört. „Ich finde, es geht gar nicht, der AfD in diesen Zeiten eine Plattform zu bieten“, sagt Monika Ahrens der taz am Telefon. Ihre Tochter besucht die Oberstufe des Gymnasiums Corveystraße, am Dienstag ist sie verpflichtet, die Podiumsdiskussion zu besuchen. Mit einer E-Mail hat sie sich deshalb bereits an die Schulleitung und den Elternrat gewandt. Der E-Mail-Verlauf liegt der taz vor. Darin fordert sie, Alexander Wolf keine Gelegenheit zu geben, seine menschenverachtenden Themen vor den Jugendlichen auszubreiten.
Die Schulleitung verweist auf Nachfrage der taz auf ihre Neutralitätspflicht, die Veranstaltung werde trotz der Beschwerden wie geplant stattfinden. Eine ähnliche Antwort erhielt auch Monika Ahrens von dem verantwortlichen Lehrer. Alle beteiligten Schüler*innen seien im Unterricht auf die Diskussion vorbereitet worden. Außerdem solle die Veranstaltung anschließend im Politikunterricht nachbesprochen und eingeordnet werden.
AfD muss eingeladen werden
Hinter dem Streit steckt letztlich die Frage, wie Schulen mit der AfD umgehen sollen. Das sei eine Debatte, die vor Wahlen immer wieder aufkomme, sagt Sven Quiring, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hamburg. Dieses Jahr dürfen viele Oberstufenschüler*innen zum ersten Mal die Hamburger Bezirksversammlung wählen.
Aus rechtlicher Perspektive sei klar, dass die AfD zu der Podiumsdiskussion am Corvey-Gymnasium eingeladen werden muss. Geregelt ist es in der Geschäftsordnungsbestimmung Nr. 14 der Hamburger Schulbehörde. Grundsätzlich sieht diese vor, dass politische Parteien und Organisation an Schulen nicht für sich werben dürfen. Es gibt allerdings Ausnahmen: Vertreter*innen politischer Parteien dürfen im Rahmen des Unterrichts in Schulen eingeladen werden – dabei muss jedoch sichergestellt sein, dass alle in der Bürgerschaft vertretenen Parteien berücksichtigt werden.
Passiert das nicht, droht den Schulleitungen ein Disziplinarverfahren. Die AfD versucht, es in möglichst vielen Fällen dazu kommen zu lassen: Auf ihrer Website informiert die Fraktion umfangreich über Neutralitätspflicht an Schulen und bestärkt Schüler*innen, gegen Verstöße vorzugehen. 2018 richtete die Fraktion sogar ein Meldeportal ein. Inzwischen ist das verboten.
Was den Schulleitungen oder verantwortlichen Lehrkräften konkret droht, sei immer abhängig vom Einzelfall. Das teilt die Hamburger Schulbehörde auf Anfrage mit. Es gebe weder eine Statistik darüber, wie häufig die AfD Verstöße gegen die Neutralitätspflicht gemeldet hat, noch darüber, in wie vielen Fällen es zu Disziplinarverfahren kam.
Die eindeutig rechtliche Lage ändert jedoch nichts an Monika Ahrens Haltung. Grundsätzlich begrüße sie Veranstaltungen wie den „Lokstedter Dialog“. Notfalls sei es ihr allerdings lieber, die Schulleitung würde sie ganz absagen, als sie mit der AfD stattfinden zu lassen, sagt sie. Damit stellt sie eine neue Frage in den Raum: Wenn Schulen dazu verpflichtet sind, auch AfD-Vertreter*innen zu solchen Podiumsdiskussionen einzuladen, sollten sie die Veranstaltungen dann überhaupt organisieren?
Quiring von der GEW sagt, es sei grundsätzlich wichtig, politische Prozesse an Schulen zu thematisieren. Und dazu gehöre eben auch die Auseinandersetzung mit der AfD. „In guten Fällen führt das ja auch dazu, dass Schüler*innen die Positionen der AfD kritisch einordnen, vielleicht auch im Vergleich zum Grundgesetz betrachten.“ Grundsätzlich hält Quiring es auch für eine richtige Schutzfunktion der Demokratie, dass wirklich alle Parteien aus der Bürgerschaft zu solchen Veranstaltungen eingeladen werden.
Es gebe jedoch eine Möglichkeit, Podiumsdiskussionen ohne die AfD zu veranstalten. Das Neutralitätsgebot gelte nämlich nur, wenn es sich um eine offizielle Schulveranstaltung handle. An Schulen könnten aber auch formal außerschulische Veranstaltungen stattfinden, solange Eltern oder Schüler*innen die Organisation außerhalb des Unterrichts übernehmen. „Das ist natürlich deutlich aufwendiger, als wenn die Schulleitung solche Veranstaltung organisiert“, sagt Quiring. Die GEW würde ein solches Vorgehen aber empfehlen.
Eine Gruppe von Schüler*innen aus der Oberstufe will den Auftritt des AfD-Vertreters nach eigener Aussage nicht einfach akzeptieren. Mit Flyern würden sie an der Schule bereits über den AfD-Politiker informieren, sagen sie. Außerdem fordern sie für Dienstag zum Protest auf. „Wir wollen klare Kante zeigen“, sagt eine Schülerin der taz, die anonym bleiben will. „Am Dienstag planen wir, so viel Lärm zu machen, dass Alexander Wolf auf der Bühne nicht seinen Hass verbreiten kann.“
Hinweis: Das Gymnasium Corveystraße hat die für Dienstag, den 12.3. geplante Veranstaltung am Montag, den 11.3. wegen Sicherheitsbedenken abgesagt.
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