Neuorientierung der EU-Kommission: Brüssel übt sich in Zurückhaltung
Die EU will weniger regulieren und bestehende Vorschriften zurückziehen. Damit reagiert die Kommission wohl auch auf den Erfolg eurokritischer Parteien wie der AfD.
BRÜSSEL rtr/dpa/afp | Die EU-Kommission geht auf ihre Kritiker zu und will sich bei der Regulierung künftig stärker zurückhalten. Die Brüsseler Behörde will auch bei bereits bestehenden Vorschriften prüfen, ob diese überhaupt notwendig sind oder vereinfacht werden können. „Nicht alles was gut ist, ist auch auf europäischer Ebene gut“, sagte Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso am Mittwoch.
Wenige Monate vor den Europawahlen im Mai 2014 forderte Barroso im Namen der Kommission dazu auf, künftig zweimal zu überlegen, wann und wo auf EU-Ebene zu handeln sei. Die Kommission nannte eine Reihe von Gesetzen oder Gesetzesvorschlägen, die sie abzuschaffen gedenkt. Darunter ist beispielsweise eine Verordnung über Statistiken im Stahlsektor. Die Kommission hatte demnach unter anderem untersucht, was die Statistiken kosten und wozu sie nützen.
Auch im Umweltschutz will die Behörde die Schere ansetzen, der Entwurf der umstrittenen Bodenschutzrichtlinie ist vorerst vom Tisch. Das Bodenschutzgesetz ist schon seit Jahren im EU-Ministerrat blockiert - dort sind Mitgliedstaaten vertreten. Das neue Recht soll die Überdüngung von Böden verhindern. Die Ziele sollen nun anders erreicht werden - diese Formulierung gilt als Zugeständnis an Umweltkommissar Janez Potocnik, der sich dem Vernehmen nach vehement gegen die geplante Streichung wehrte. Umweltverbände protestierten gegen die Ankündigung.
Die Kommission will zudem vorerst darauf verzichten, Vorschläge „im Bereich der Arbeitssicherheit und der Gesundheit für Friseure“ zu machen. Der Wert einer EU-Gesetzgebung sei hier fraglich. Den Vorschlag für eine Richtlinie, die Ausnahmen von der Mehrwertsteuer für Unternehmen regelt, will die Kommission demnach zurückziehen.
Mehrheit vertraut EU nicht
Die Kommission war wiederholt dafür kritisiert worden, dass sie zu viele Bereiche zu stark reguliere. Im Mai hatte sie beispielsweise nach massiven Protesten ein Verbot von nachfüllbaren Flaschen mit Olivenöl in Restaurants zurückgezogen. In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage gaben 60 Prozent der Befragten an, der EU eher nicht zu vertrauen. Vor Ausbruch der Finanzkrise 2007 waren es noch 32 Prozent gewesen.
Vor allem in Großbritannien waren eurokritische Stimmen in den vergangenen Jahren immer lauter geworden. Auch in den Niederlanden, Finnland und Frankreich sind Parteien mit der Kritik an Brüssel erfolgreich. Bei der Bundestagswahl hatte die Alternative für Deutschland (AfD) mit ihrer Kampagne gegen den Euro fast den Einzug in den Bundestag geschafft.
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