piwik no script img

Neukölln hat GeburtstagHundert Jahre Imagekampagne

Am 27. Januar 1912 wurde Rixdorf in Neukölln umbenannt - weil der Ruf damals schon schlecht war, es galt als das St. Pauli von Berlin. Inzwischen fordert mancher schon eine Rückbenennung

Wenn es ein St. Pauli in Berlin gab, dann war es Rixdorf. Zwischen Hermannplatz und Richardplatz gab es Tanzbuden, in denen der "Engtanz" noch der züchtigste war. In der "Neuen Welt" verkehrten die Kiezgrößen, die kleinen Schieber in den Eckkneipen. "In Rixdorf ist Musike", wusste ein Gassenhauer um 1900 - und verpasste der Stadt mit ihren 253.000 Einwohnern ein Image, das im ganzen Kaiserreich bekannt war. Rixdorf war sozialer Brennpunkt.

Es war Kaiser Wilhelm II. persönlich, der deshalb "allerhöchst" befürwortete, was man heute eine Imagekampagne nennen würde. Am 27. Januar 1912 bekam Rixdorf einen neuen Namen: Neukölln. Doch nicht nur gegen das Lotterleben richtete sich die Umbenennung, sondern auch gegen die in Rixdorf besonders starke Sozialdemokratie. Ins nunmehr unbelastete Neukölln sollten anständige Bürger ziehen und den roten Sumpf trockenlegen. Nix Neues, würde man aus heutiger Sicht sagen, nur das Wort "Gentrifizierung" war damals noch nicht erfunden.

Dabei ist die Geschichte von Rixdorf eher beschaulich als sittlich und politisch fragwürdig. Rund um das 1360 erstmals erwähnte Dorf siedelten im 18. Jahrhundert am heutigen Richardplatz protestantische Glaubensflüchtlinge aus Böhmen. So entstand neben Deutsch-Rixdorf bald Böhmisch-Rixdorf. Beide wurden 1899 zur Stadt erklärt und zu Rixdorf zusammengefasst.

Zu der Zeit war der alte Dorfkern längst von Mietskasernen umgeben - und bildungsfern blieben die Rixdorfer auch nach der Umbenennung. Damals hieß es, "dass der Neuköllner Bürger sein Geld besser für Fünfgroschenbrot verwende als für Vorträge".

Im Internetblog neukoellner.net wird übrigens schon die Forderung nach einer Rückbenennung laut: "100 Jahre sind hundert Jahre zu viel - die Rückbenennung ist längst überfällig. Scheiß auf Neukölln!"

Die grobe Hoffnung des Verfassers: Anders als nach Kreuzkölln würde kein Schwabe nach Rixdorf ziehen, weil das in Stuttgart unbekannt sei. Wenn das mal keine Selbsttäuschung ist. Schließlich sucht der Schwabe überall Dörfer - und wenn es die nicht gibt, macht er auch eine Großstadt zum Dorf.

Die höchstkaiserliche Umbenennung hat übrigens nur kurzzeitig geholfen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Großstadt Neukölln 1920 nach Groß-Berlin eingemeindet. Seitdem ist Neukölln ein Berliner Bezirk. Und die Sozis, die herrschen hier noch immer - sogar in einer Karl-Marx-Straße.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • FH
    Felix Herzog

    Vielen Dank für die versuchte Verlinkung auf neukoellner.net. Bitte schreibt doch in Zukunft das ö mit oe.

    Den zuverlinkenden Artikel findet ihr unter http://www.neukoellner.net/alltag-anarchie/n

    ever-mind-neukoelln-here-is-rixdorf/