piwik no script img
taz logo

Neues zur Entwicklung des RAW-GeländesTurm der Unmöglichkeiten

Die Umbaupläne des RAW-Geländes finalisieren sich. Ein 100 Meter hoher Turm ist geplant. Und immer noch viel zu wenig Platz für die Subkultur.

Das RAW-Gelände zwischen Ostkreuz und Warschauer Straße soll einmal so aussehen Foto: Kurth Real Estate/Holzer Kobler Architekturen/mit Atelier Loidl Landschaftsarchitekten

Berlin taz | Alles soll anders werden auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain, das ist beschlossene Sache. Aus dem verranzten Areal für Subkultur soll ein Hochglanz-Refugium zum Ausgehen und Shoppen werden. Dort, wo man sich aktuell noch in Clubs wie dem Astra, dem Urban Spree oder dem Suicide Club vergnügen kann, sollen Bürokomplexe, eine schicke Markthalle und ein Hochhaus von über 100 Metern Höhe entstehen. Der Charakter eines ganzen Quartiers wird sich sehr verändern. Der Baubeginn ist für 2024 anvisiert.

Die Präsentation der konkreten Pläne im Astra Kulturhaus am Dienstagabend wirkte allerdings weniger wie eine Informationsveranstaltung denn wie eine Theateraufführung: Es ging um Machtverhältnisse zwischen Politik und Kapital und die Frage, wie stark bei diesem Ringen der unterschiedlichen Kräfte die Interessen des Bürgers überhaupt noch berücksichtigt werden. Berlin im Klammergriff der Immobilienwirtschaft und welche Ängste das auszulösen vermag, all das war thematisch Teil der Inszenierung.

Auf der Bühne verkörperte Florian Schmidt, der grüne Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, den Politiker, der verzweifelt darum bemüht ist zu demonstrieren, dass er immer noch die Entscheidungshoheit hat. Dem man aber auch anmerkte, dass er so viel auch wieder nicht zu melden hat, wenn er zugibt, dass er das, was in den letzten Jahren in direkter Nachbarschaft zum RAW an Betontürmen und gesichtslosen Bauten aufgetürmt wurde, selbst ziemlich scheußlich findet. Mercedes Platz, Amazon Tower – wäre es nach Schmidt gegangen, würde es das alles nicht geben.

Und man lernte bei dem Stück, das hier gezeigt wurde, dass die Politik eben oft nicht so viel ausrichten kann gegen die Investoren, die schon Wege und Mittel finden, ihre Interessen durchzusetzen. Und dass mehr als der eine oder andere Kompromiss manchmal nicht möglich ist.

Ausgehandelte Deals

Mitten drin in diesen Machtspielen befindet sich oft der Mieter, der schauen muss, wo er bleibt, wenn die Immobilienwirtschaft das große Geld wittert. Florian Falkenhagen, Mitbetreiber des auf dem RAW ansässigen Clubs Cassiopeia, war auf der Bühne des Astra in der Rolle des Kulturakteurs, der froh sein kann, dass er nun nach endlosen Verhandlungsprozessen bleiben darf. Sein Club sowie weitere soziokulturelle Einrichtungen auf dem Gelände – etwa eine Skatehalle, ein Kinderzirkus und ein paar Ateliers – werden sogar mit extrem günstigen Mietverträgen beglückt, die 30 Jahre lang gelten sollen.

Im Gegenzug darf der Investor andere Bereiche seines Geländes im großen Stil neu bebauen. Das ist das Ergebnis eines in den letzten Jahren ausgehandelten Deals zwischen Eigentümer, Bezirk und der RAW-Soziokultur.

Falkenhagen zeigte sich dann auch angemessen dankbar gegenüber dem Mann neben ihm, Lauritz Kurth vom Göttinger Familienunternehmen Kurth Immobilien. Dem gehören die zwei Drittel des insgesamt 70.000 Quadratmeter großen RAW-Geländes.

Andrea Zickhardt vom Architekturbüro Holzer Kobler wiederum präsentierte gemeinsam mit dem Landschaftsarchitekten Martin Schmitz die Pläne für den Kurth gehörenden Teil des RAW-Geländes, den sogenannten Masterplan, samt schicken Animationen. Holzer Kobler hatten sich gegen zwei konkurrierende Architekturbüros in einem Juryverfahren durchgesetzt. Und man bekam nun ziemlich ausführlich vorgetragen, wie fantastisch alles hier werde.

„Habitate für Menschen“

Das RAW werde eine „urbane Insel“ und ein „Ermöglichungsraum“, in dem „Habitate für Menschen“ entstehen werden, hieß es da etwa. Das Hochhaus, das ungefähr dort entstehen soll, wo sich aktuell noch der Club Suicide befindet, werde „RAW Tower“ genannt und sei auch nichts, wovor man sich fürchten brauche. Es werde vielmehr einen Kontrapunkt setzen zum noch viel mächtigeren Amazon Tower, der gleich ums Eck bereits gebaut wird. Es werde das etwas aus dem Lot geratene Stadtbild an dieser Stelle also wieder in ein Gleichgewicht bringen. So kann man das natürlich auch sehen.

Bereits während dieses Ausmalens einer schönen neuen Welt mitten in Friedrichshain kam es zu einzelnen Unmutsbekundungen aus dem Publikum. Aber dann, als auf der Bühne endlich der Politiker, der Investor und der Subkultur-Akteur ihre Plätze einnahmen, ging es erst so richtig ab. Es wurde genüsslich gestört und reingerufen. Und der notorische Carsten Joost von der Initiative RAW Kulturensemble, der bekannteste Kritiker der Zukunftspläne für das RAW, hatte seinen Auftritt. Er habe keine Lust mehr, „auf solchen Veranstaltungen verarscht zu werden“, sagte er. Schon seit Jahren ist er der Meinung, dass Kurth Immobilien viel zu viele Zugeständnisse gemacht werden.

Er habe keine Lust mehr, auf solchen Veranstaltungen verarscht zu werden, sagte Carsten Joost von der Initiative RAW Kulturensemble, der bekannteste Kritiker der Zukunftspläne für das RAW

Aber auch andere aus dem Publikum sagten, ihnen werde angst und bange, wenn sie die massiven Neubebauungspläne sehen würden. Es wurde gefragt, ob es auch Toiletten auf dem Gelände geben werde, was mit der Barrierefreiheit sei und ob man die gezeigten schönen grünen Terrassen auf den Dächern der Bürokomplexe auch betreten dürfe. Kurth antwortete, Toi­letten werde es eher nicht geben, zur Barrierefreiheit wurde es auch nicht konkret und die Terrassen seien maximal „teil­öffentlich“.

Zum Höhepunkt der „Aufführung“ trat schließlich jemand aus dem Publikum direkt an das vor der Bühne aufgebaute Modell aus Pappe, das das RAW der Zukunft zeigte, und zerdepperte mit einigem Sinn für Dramaturgie einen der Bürokomplexe. „Ihr seid lächerlich“, rief daraufhin Florian Schmidt, der Baustadtrat, der seine Pläne verteidigte und von einem „RAW Plus“ und „Kulturschutzgebiet“ sprach.

Ganz vorbei ist der Kampf nicht. Joost kündigte an, ein Bürgerbegehren gegen die Pläne zu initiieren. Details nannte er am Dienstag noch nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ick bin nun ein kleines, bischen älter. Kenne aber das RAW(2017) noch so:



    www.deutschefototh...roluftbild_0102033



    Also eigentlich noch viel früher.



    Wenn ich das scheußliche Bild i. B. sehe und die verf.öde Gegend um die M-B- Arena



    www.deutschefototh...roluftbild_0133176



    (Wunderschön!)



    erfaßt mich ein maximal, voller Würgereiz den ich in der toilettenlosen RAW Plus Gegend seinen Lauf lassen werde.

  • "Maximal teilöffentlich". Toller Euphemismus, den muss ich mir merken.

taz zahl ich illustration

tazzahl ich

Ihr Kinderlein leset

Bei uns können alle so viel lesen, wie sie möchten. Guter Journalismus muss sich jedoch, auch und gerade im Digitalen, finanzieren. Am besten freiwillig und solidarisch. Das ist die Idee, und schon beinahe 40.000 Menschen machen mit. Fördern auch Sie jetzt die taz?

  • Ja, ich will
  • Unterstützen Sie die taz jetzt freiwillig mit Ihrem Beitrag
  • Vielen Dank, dass Sie die taz unterstützen
  • Schon dabei!