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Neues soziales MediumMake Social Media Telefon again!

Safe Social will soziale Netzwerke wieder als demokratische Kraft etablieren. Unser Kolumnist findet: Da hilft nur das Telefon.

Achtung, Telefonstreich! Foto: Francis Joseph Dean/imago

M anchmal liegen die frohen Botschaften ja auf der Straße und keineR merkt’s. Deutschland ist ein sehr, sehr sicheres Land. Mittlerweile haben knapp 30 Prozent hierzulande laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen entsprechenden Hintergrund, und es läuft ziemlich gut und rund. Ganz egal, was Union, BSW oder AFD behaupten.

Diese Parteien, und ein bisschen auch fast alle anderen, propagieren aber aggressiv das Gegenteil. Was wiederum dazu führt, dass viele Menschen Angst haben und überlegen, ob das mit der Migration nach Deutschland so eine schlaue Idee war.

Wie tief das geht, machte letzte Woche bei einer Veranstaltung an der Evangelischen Akademie Tutzing Ella Schindler von den Neuen Deutschen Me­di­en­ma­che­r*in­nen klar. Die Veranstaltung hieß „Was, wenn Journalisten zum Feindbild werden?“ (Disclaimer: Ich saß auch auf dem Panel.)

Ella Schindler arbeitet bei den Nürnberger Nachrichten als Lokalredakteurin und kommt selbst aus der Ukraine. Gerade Jour­na­lis­t*in­nen und Medienschaffende mit Migrationshintergrund werden heftig attackiert und sind hier massiv betroffen. Viele überlegen, weiterzuziehen. Weil sie Angst haben. Weil für sie Deutschland nicht mehr sicher oder lebenswert ist.

Überall online Desinformation

Das wiederum hat viel mit der Asozialität der sozialen Medien zu tun. Deren Ruf ist zwar schon länger unten durch, aber wir haben uns an sie gewöhnt. „Nee, ich nicht. Und ich finde es erschreckend doof“, sagt die Mitbewohnerin. Aber sie sind halt wunderbar bequem. Und so kommt es zur Schizophrenie, dass bei Umfragen zwar 80 Prozent sagen, dass das mit der Desinformation bei Social Media ganz schlimm ist. Aber sich nur 15 Prozent der Befragten selbst betroffen fühlen.

Um mit solchen intellektuellen Sockenschüssen aufzuräumen, hat sich jetzt die Initiative Safe Social formiert. Klingt ein bisschen wie Trumps Truth Social. Will aber das Gegenteil, also soziale Netzwerke als demokratische Kraft retten.

Das Anliegen ist so wunderbar simpel von der Idee her. Und in der Umsetzung dann schon ein bisschen schwerer. Ja, unsere Gesellschaft braucht weitere und andere Plattformen für soziale Vernetzung, Austausch und Debatte. Und muss weg von den chinesischen und US-amerikanischen Monopolkonzernen.

Es gibt schon Mastodon oder Friendica im Fediverse … Aber das ist für viele immer noch ein bisschen kompliziert. Es braucht wie früher offene Standards. Telefon und E-Mail funktionieren auch heute noch wie eine gute demokratische Gesellschaft. Divers, mit vielen Anbietern, wobei aber, anders als zwischen den einzelnen Social-Media-Plattformen, alle mit allen kommunizieren können.

Der Kurs ist also klar. Make Social Media Telefon again! Oder wenigstens E-Mail. „Na ja, Vorsicht, lieber Mitbewohner. Von Telefonstreich bis Telefonterror kann alles great again dabei sein“, sagt die Mitbewohnerin.

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Steffen Grimberg
Medienjournalist
2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"
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2 Kommentare

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  • Social Media funktioniert nicht, wenn es so gewollt ist. Ein beliebter "linker" Blog (Nachdenkseiten) ist garkein Blog, weil es zu den Beiträgen garkeine Diskussion gibt auf diesen Seiten. Die dadurch Schlagseite hin zu BSW-Quatsch hat, was dann da undiskutiert und damit definitiv auch unnachgedacht dort so stehen bleibt. Gemeinsam nachdenken wie es in der Occupybewegung 2011-2015 als "Schwarmintelligenz" popularisiert werden sollte, genau das ist, was Social Media leisten sollte: Die Schlagseite verhindern durch Einbringen verschiedener Blickwinkel, von denen sich welche als wichtig erweisen als pro, contra, Kompromiss oder Teil einer Problemlösung.

    E-Mail-Verteiler? Ich bin in einem, und manchmal wage ich eine Antwort an den Versender zu schicken, hoffnungslos, dass die gelesen wird - manchmal platzt einem der Empfänger der Kragen und dann gibt's ne gepfefferte Antwort an den ganzen Verteiler. Aber das geht nur, weil der Verteiler nicht anonymisiert ist. Also E-Mail fällt auch aus, v.a. wenn der E-Mailversender E-Mailkommunikation als Einbahnstraße sieht.

    Telefon? Untelefonisch benutzt, für videokonferierende Gruppen. Geht. Wenn man nicht schon zuviel online um die Ohren hat.

  • Gab es nicht eine geplante plattformübergreifende Standardisierung von Messengerdiensten durch die EU? Das wäre je genau diese Telefonisierung zumindest eines Teils der Social Medias.



    Wahrscheinlich ist genau diese Öffnung der Schlüssel, die großen Monopolisten wenigstens etwas in die Schranken zu weisen und die Oligarchisierung etwas einzudämmen. Andernfalls könnten sich die Social Medias durchaus in ihrer Folgeerscheinung des Oligarchentums als Totengräber der Demokratie erweisen.