Neues Rentensystem in Frankreich: Unmut über geplante Reform
Mit der Rentenreform wagt sich Premierminster Philippe an ein explosives Thema. Pariser Verkehrsbetriebe haben für Freitag bereits Streik angekündigt.
Die will Emmanuel Macron diesmal fest einbinden, nachdem er sich bei der Reform des Arbeitsrechts und der Bahnreform über ihren Widerstand hinweggesetzt hatte. Der Präsident braucht die Gewerkschaften, wenn sein Projekt nicht wie die seiner Vorgänger weg demonstriert werden soll.
Denn die Reform des Rentensystems ist in Frankreich eine explosive Angelegenheit. Mehrere Regierungen waren gescheitert. So Philippes Mentor Alain Juppé, der 1995 nach Massenprotesten zurücktreten musste. „Ich unterschätze die Umwälzungen nicht“, versicherte Philippe. Zwei Gewerkschaften haben für Ende September zu Demonstrationen aufgerufen. Nur die größte Gewerkschaft, die gemäßigte CFDT, hält sich noch zurück.
Die Pariser Verkehrsbetriebe RATP haben schon für Freitag zu einem Streiktag aufgerufen, der den öffentlichen Nahverkehr in der Hauptstadt lahmlegen dürfte. Erstmals seit zwölf Jahren sollen kaum Metros und nur wenige Vorortzüge und Busse fahren. Der Protest der RATP richtet sich gegen die Abschaffung der 42 Sondersysteme für Berufsgruppen im öffentlichen Dienst. So profitieren Eisenbahner der SNCF oder Angestellte der RATP von einem auf sie zugeschnittenen System, das ihnen ein frühes Renteneintrittsalter und eine höhere Pension garantiert. Zugführer können so schon mit Anfang 50 in Rente gehen.
Die Gewerkschaften halten an der Rente mit 62 fest
„Das aktuelle System ist ungerecht und undurchsichtig“, kritisierte Philippe die Sonderregelungen. Deshalb solle ein universelles Punktesystem eingeführt werden, das für jeden in die Rentenkasse eingezahlten Euro auch einen Euro Rente ergibt. Geringverdienern sollen 85 Prozent des Mindestlohns garantiert werden. Betroffen von den schrittweise geplanten Änderungen, die erst ab 2040 voll greifen sollen, sind alle nach 1963 geborenen Franzosen. Überhaupt will sich Philippe bei der Reform Zeit lassen. Die Abstimmung über das neue Rentengesetz soll in der Nationalversammlung vor der Sommerpause 2020 erfolgen.
Édouard Philippe, Regierungschef
Der Regierungschef stützte sich bei seinen Vorschlägen auf das Projekt des mit der Reform beauftragten Jean-Paul Delevoye, der nach 18 Monate langen Beratungen im Juli einen Bericht vorgelegt hatte. Philippe ging allerdings nicht näher auf Delevoyes Vorschlag ein, das Renteneintrittsalter von 62 auf de facto 64 Jahre anzuheben.
„Drehachsen-Alter“ nannte Delevoye ganz diplomatisch die 64 Jahre, unter denen die Rente nur mit Abschlägen möglich sein soll. Bisher gehen die Franzosen so früh in Rente wie kaum einer ihrer europäischen Nachbarn. Macron ging bereits auf Distanz zu Delevoyes Idee. Er finde es besser, das Rentenalter nach den Beitragsjahren zu berechnen, sagte der Staatschef in einem Fernsehinterview. Er machte damit den Gewerkschaften ein Zugeständnis, die an der Rente mit 62 festhalten.
Die Sozialpartner treffen sich nächste Woche, um mit der Regierung über die Rentenreform zu beraten. Bis zum Jahresende sollen die Gespräche dauern, bei denen die Sonderregelungen und das Renteneintrittsalter die heikelsten Themen sind.
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