Neues Prostituiertenschutzgesetz: Idiotentests für Sexarbeiterinnen?
2016 soll das neue Gesetz in Kraft treten. Die Prostituiertenorganisation Doña Carmen fürchtet Gängelei und unangemeldete Razzien.
Bestehe eine Sexarbeiterin den Test nicht, könne es passieren, dass ihr die Anmeldebescheinigung, der „Hurenpass“, verweigert werde. Den braucht sie, um im Sexgewerbe arbeiten zu dürfen.
Wie muss man sich das praktisch vorstellen? So ähnlich wie in der Schweiz, sagt Juanita Rosina Henning von Doña Carmen. Dort müssen sich die Frauen, die ins Sexgewerbe einsteigen wollen, Fragen von zuständigen Behörden gefallen lassen: Weiß Ihre Familie von Ihrem Job? Wie lautet die Telefonnummer Ihrer Eltern? Weigerten sich die Frauen zu antworten oder Daten herauszugeben, bekämen sie keinen „Hurenpass“.
Hintergrund für die Idiotentest-Befürchtung der Prostituierten in Deutschland ist das geplante Prostituiertenschutzgesetz, das Union und SPD monatelang verhandelt hatten und das 2016 in Kraft treten soll. CDU/CSU strebten einen rigideren Umgang mit der Prostitution an, die SPD wollte es liberaler. Herausgekommen ist ein Kompromiss, nach dem sich Prostituierte unter anderem künftig einmal im Jahr einer medizinischen Beratung unterziehen müssen.
Erst nach dieser „Zwangsberatung“ (Doña Carmen) können die SexarbeiterInnen bei der Polizei oder einer anderen zuständigen Behörde ihr Gewerbe anmelden. Juanita Rosina Henning erwartet, dass den Frauen und Männern diese Bescheinigung verweigert werde, sollten sie die Fragen der Beamten nicht beantworten. „Das ist Willkür und Stigmatisierung eines ganzes Berufsstandes“, sagt Henning: „Sexarbeiterinnen werden als geistig minderbemittelt eingestuft.“
Das Prostituiertenschutzgesetz sieht außerdem eine Kondompflicht für Freier sowie ein Verbot von Flatratesex vor. SexarbeiterInnen unter 21 Jahren müssen sich gesundheitlich und sozial alle sechs Monate beraten lassen.
Kondompflicht überprüfen
Der Verein Doña Carmen vermutet hinter dem Idiotentest und den Gesundheitsprüfungen zudem noch etwas anderes: die Möglichkeit zu unangekündigten Razzien in Bordellen und Privatwohnungen. Wie sonst soll überprüft werden, ob die Freier Kondome benutzen, die dem Schutz der SexarbeiterInnen dienen?
Alles Vorwand, meint Doña Carmen. Denn „wer sich gegenüber solchen ,Schutz‘-Maßnahmen als ,uneinsichtig‘ erweist, dem dürfte schnell das Fehlen einer ,zu ihrem Schutz erforderlichen Einsichtfähigkeit‘ attestiert werden“, heißt es in einer Presseerklärung von Doña Carmen.
Das Familienministerium von Manuela Schwesig (SPD), das für das Gesetz zuständig ist, war bis Redaktionsschluss für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Am kommenden Samstag wollen Prostituierte und Callboys in Frankfurt am Main gegen das Prostituiertenschutzgesetz demonstrieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
SPD-Linker Sebastian Roloff
„Die Debatte über die Kanzlerkandidatur kommt zur Unzeit“
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los