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Neues Album von RammsteinLindemann renkt den Kiefer aus

Männlichkeitskult aus Ostberlin: Rammstein mit neuem Album „Zeit“ und Songs, deren Strukturen klingen wie an der Baumarkt-Säge zugeschnitten.

Alte weiße Ostmänner: Rammstein 2022 Foto: Andreas Waldschütz

Das Keyboardmotiv meldet erhöhte Alarmbereitschaft, devot mörsern Metalgitarren los. Es dauert keine 30 Sekunden, schon wird bei „Armee der Tristen“, Auftaktsong des neuen Rammstein-Albums „Zeit“, im Gleichschritt marschiert. Es bleibt unklar, wer die Mobilmachung anordnet. Gesucht werden „Hoffnungslose“, die sich „einreihen“ sollen, um „zusammen traurig zu sein“.

Die neue deutsche Härte von Rammstein inszeniert Gefühle als militärische Rangabzeichen. „Komm mit / Komm mit“, heißt es richtungslos im Refrain, der ohne gerolltes R auskommt. Der inzwischen auch unter die Autoren gegangene Sänger Till Lindemann erfüllt ansonsten seinen Lautmalerjob. Ohne je die sabbernde Drastik eines Charlie Chaplin in „Der Große Diktator“ zu erreichen, renkt Lindemann seinen Kiefer aus und dehnt das R in die endlose Weite bis hinten zum Rachenzäpfchen.

Wenn Rammstein, das Nu-Metal-Sextett aus dem Osten der deutschen Hauptstadt, wie jetzt, ein neues Album veröffentlicht, schmeißt die Musikindustrie die große Kon­fetti­kanone an. Sofort sind die Tickets für Konzerte in Stadien rund um die Welt ausverkauft, in Göteborg im Juli sogar dreimal hintereinander.

Angestrengte Attitüde

Das Py­ro­manen­spektakel mit Segway auf der Bühne zieht noch. Die Reime der elf neuen Songs klingen derweil etwas angestrengt: Obwohl die Band weiterhin den Advocatus Diaboli spielen möchte, in ihrer Fuck-you-Attitüde wirkt die Songpoesie lieblos zugeschnitten, wie an der Säge im Baumarkt. „Geh ich vorrr derrr Nacht zurrr Rrruh“.

Rammstein

Rammstein: „Zeit“ (Universal)

Besonders schwer aushaltbar ist aber der Klassiktouch der Musik, zum Intro carl-orffene Chöre, oder ätherische, im Synthie-Nebel wabernde Frauen­stimmen. Und dann kommt wieder so ein provozierender Re­frain: „Alle haben Angst vorrrm schwarrrrzen Mann“ („Schwarz“), der Grenzen nicht nur austestet. Beim zu sechst gegrölten Incel-Liedchen, – aus Jugendschutzgründen „OK“ abgekürzt –, heißt es zigmal wiederholt: „ohne Kondom“.

Und es regiert Kitsch. Sie seien „im Fluss der Zeit“, lamentieren Rammstein im Titelsong, diese kenne „kein Erbarmen“: „Zeit, bleib bitte stehen“. Auf dem Coverfoto schreiten die sechs Musiker die Außentreppe eines Silos nach unten. Könnte auch ein Phallus sein. Oder eine ballistische Atomraketenrampe. Wenn man die Band daraus wegretuschiert, wäre es eine Fotografie von Bernd und Hilla Becher.

Es herrscht immer Nacht

Die forcierte ostgermanophile Hässlichkeit bei Rammstein ist nie ohne Überwältigungsästhetik zu haben, setzt frech auf Männlichkeit, auch wenn sie aus Gründen der Tarnung mal gebrochen wird. Bei Rammsteins unterm Sofa herrscht Nacht. Alles Licht wird in Dunkelheit getaucht, am Ende wartet der Tod. Kaum Abwechslung auch in der Songstruktur: Intro, Strophe – Refrain – Strophe, Schluss. Einzige Ausnahme: Der Song „Dicke Titten“ kommt mit Blaskapelle, da freut sich der Schützenverein. Der Text handelt von einem notgeilen alten Sack, der sich nichts sehnlicher wünscht als eine Frau mit großen Brüsten.

Klebt hierzulande ein Rammstein-Aufkleber auf einem Auto, schaut man sich die Insassen genauer an. Im Ausland dagegen werden die Texte der Band nicht verstanden, man feiert ihre „expressionistische Schauer­ro­man­tik“. Wie Kuckucks­uhren und Jägermeister ist sie ein Exportschlager.

US-Autorin Amanda Petrusich bejubelte einst Lindemanns „teutonischen Bariton“ im Magazin The New Yorker. In den USA werden Rammstein nach wie vor von Prominenten als Garant für Free Speech hochgehalten, weil sie 1999 von der Polizei wegen „Pädophilie-Verherrlichung“ festgenommen wurden. Free Speech ist aber längst Steckenpferd der US-Rechten. Nach dem Sturm aufs Kapitol ist Schluss mit feuerspeiendem Maskulinismus.

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8 Kommentare

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  • "Rammstein, das Nu-Metal-Sextett aus dem Osten"



    Rammstein ist alles - nur kein Nu-Metal...



    in der selben Qualität ist der Rest der Rezension...

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    Ein wenig erhellender Text, der sich liest, als würde alles durch ein Fernglas betrachtet worden sein.



    Wenn der Ekel wirklich dementsprechend groß und gerechtfertigt ist, wäre wohl etwas mehr Konfrontation gut.

  • Abwicklung!



    ( Hommage á Bernd and Hilla Becher)



    Trifft auf beide Themen zu.



    Das gefällt mir besser.



    flickr.com/photos/...sRHG-319vMm-SU1EUn

    • 9G
      90118 (Profil gelöscht)
      @Ringelnatz1:

      Sehr gut, danke!

  • Gerade das Lied Angst ist spätestens im Zusammenhang mit dem krassen Video, in dem die Herren von Rammstein den rasenmähenden Spießer mit Grill in einem winzigen Garten spielen, der von Paranoia getrieben ist, kein provozierendes Lied, zumindest nicht in der taz-Community. Es ist so offensichtlich auf die deutsche Befindlichkeit gemünzt. Außerdem gibt es von Rammstein einige ganz eindeutige Positionierungen. „Mein Land“ und „Ausländer“ z.B. Das schwächt die ansonsten vermutlich recht treffende Kritik leider etwas. Ich habe das ganze Album noch nicht gehört, habe es aber auch nicht besonders eilig.

  • „Im Ausland dagegen werden die Texte der Band nicht verstanden, man feiert ihre „expressionistische Schauer­ro­man­tik“.“

    Entschuldigung, aber das ist doch wirklich Blödsinn. Wer immer diesen Text geschrieben hat, war noch nie auf einem Rammstein-Konzert im Ausland, beispielsweise in Frankreich. Die Texte werden sehr wohl nicht nur auswendig gelernt, sondern auch in zig Videos auf YouTube rund um die Welt besprochen, speziell weil viele der Videos auf ihre eigene visuelle Art so verstörend oder auch überwältigend sein können.

    MEINE Musik ist es nicht, aber man sollte sich, wenn man schon Artikel über Bands in einer überregionalen Zeitung schreibt, ein klein wenig mehr als 5 Minuten mit der Musik und den Protagonisten beschäftigen. Und wenn man zu faul zum lesen ist, hätte man die Doku rund um das Konzert in Paris oder Nimes anschauen können, um sich ein Bild der Fankultur zu machen.

  • 1G
    14231 (Profil gelöscht)

    Ich schätze, wegen solcher Besprechungen ist deutsche Kultur so belanglos geworden. Man kann von der Musik Rammsteins halten was man will, aber als Künstler hat Til Lindemann, ganz im Gegensatz zu dem Gros deutscher Kulturschaffender, keine Angst vor eindeutigen, klar verständlichen Aussagen.

    Viele Sänger geben nur noch weichgespülte Texte von sich, die wohl nur geschrieben wurden weil Gesang irgendwie dazu gehört, selbst wenn er inhaltlich keinerlei Emotionen mehr berührt. Aus Angst vor ihren Worten tragen sie diese überdies möglichst unverständlich vor, eine Tatsache, die einst Stefan Raab mit seinem ESC-Beitrag trefflich kommentierte.

    Kritiker halten sich entsprechend nur noch an solch oberflächlichen Charakteristika wie "Männlichkeitskult" oder "Teutonenhaftigkeit" fest, anstatt Texte auf ihre lyrische Qualität hin zu prüfen, denn dafür müsste man ja etwas Erfahrung mit Dichtung haben.

  • ,,Nach dem Sturm aufs Kapitol ist Schluss mit feuerspeiendem Maskulinismus.''

    Wäre ja ganz schön, aber auch die US amerikanische Gesellschaft scheint ja gespalten hinsichtlich des ,,Sturms". Für diese Menschen sind ,,Rammstein" vielleicht weiter ein Angebot. Sich beheimtatet oder zu Hause fühlen zu können. ,,Rammstein'' wiederum hat es noch letztes Jahr nach Russland gezogen (ein ,,Konzert für den Führer Putin'') wie in einem aktuellen Zeitzeichen des WDR gut herausgearbeitet wird: www1.wdr.de/radio/...erenz-ddr-100.html

    Was tun gegen die Identifikation mit Großmachtfantasien und mit Machismus/ Sexismus? Vielleicht zu verstehen, dass es sich um eine ,,Reprise völkischen Denkens" handelt? Wie von Heinz Gess analysiert, in der Mai/Juni 2022 Ausgabe des Heftes des iz3w (und auf Kritiknetz). Pangermanismus und Panslawismus (,,Caucasanism'') teilen die Welt in ,,echte" und ,,unechte" Völker und wollen ,,Raum" erobern? Sie schrecken dabei auch nicht davor zurück, demokratische Werte einzufordern (,,freie Rede") und die Gegner als ,,Nazis" zu bezeichnen (wie jetzt in der Ukraine). Was für ein K(r)ampf.

    www.kritiknetz.de/..._Ukraine_Krise.pdf



    (,,Ukraine – zwischen Krieg und



    Frieden:



    Über die Wiedergeburt des differenti-



    alistischen Kulturrassismus in Russ-



    land und seine Auswirkungen für die



    Ukraine'')