Neues Album von Oneohtrix Point Never: Hier poliert die Ikone noch selbst

Lust der Vernunft: US-Elektronik­produzent Oneohtrix Point Never wird mit seinem eingängigen neuen Collage-Album „Magic OPN“ massentauglich.

Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point Never im gleissenden Licht

Unerbittllicher Collagist: Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point Never Foto: David Brandon Geeting

Wer von Magie redet, muss auch von Entzauberung reden. Kaum ein Musiker weiß das besser als Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point ­Never. Nach Jahren des Schattendaseins gewinnt sein bürgerlicher Name wieder an Bedeutung. Zwischenzeitlich nannte er sich Sunsetcorp und KGB MAN – anspielend auf seine russischen Wurzeln. Oder auch: Chuck Person.

Dieses Pseudonym bescherte den Hörer.Innen sogenannte „Eccojams“: Samples von Fleetwood Mac, Toto, alles, was Rockradio hergab – entschleunigt bis zum Stillstand. Wo Stevie Nicks sonst bezirzt, wird sie unter Lopatins Skalpell zur langsam dahinschmelzenden Kopie ihrer selbst. Diese alptraumhafte Erinnerungsmusik nannte man daraufhin Vaporwave.

Doch Lopatin reichte es nicht, ein Genre zu begründen und viele Millennials nachhaltig musikalisch zu erziehen, nun veröffentlichte er Schlag auf Schlag die Alben „Replica“, „R Plus Seven“, „Garden of Delete“ – mittlerweile als Oneohtrix Point Never. Radio und TV sind auch hier wichtige Bezugsquellen.

Untotes aus Lehrvideos

Einerseits speist sich seine Musik aus untoten Sounds von Lehrvideos für die Schule, inklusive Jazz-, Krautrock und Esoterik-Müll; andererseits ist schon der Künstlername selbst der beste Lektüreschlüssel. Einst verhörte sich Lopatin, als er dem Radiosender 106.7 (One Oh Six Point ­Seven) lauschte. Übrig blieb im Namen und im Klang eine Version der Realität, in der Zeichen und Bedeutung nicht mehr zusammenfallen.

Oneohtrix Point Never: „Magic OPN“ (Warp/Rough Trade)

Lopatins Lebenslauf wirkte während der zehner Jahre dennoch attraktiv. Geboren als Sohn russischer Auswanderer jüdischen Glaubens, aufgewachsen im Bostoner Speckgürtel. Die bürgerliche Geschmackselite fährt auf diese Sage ab. Der Arbeiterjunge bringt alles mit, um sich auch rough und cool zu fühlen: ­Lopatin nimmt in Interviews kaum ein Blatt vor den Mund. Nicht alles an seiner Story stimmt. Frisch rasiert und frisiert (so wie man Lopatin heute in Pressefotos erkennt), versteckt sich hinter der Arbeitskleidung letztlich doch ein hübscher Mann mit stoischen Gesichtszügen.

Auch musikalisch wird nun poliert, nicht nur gehobelt. Auf „Magic Oneohtrix Point Never“ schlägt sich der Erfolg nieder; logisch, wer The Weeknd, einen der fünf größten Pop-Künstler unserer Zeit, als Gast präsentiert, ist kein Underground mehr, sondern selbst eine Ikone. Auch klar: Wer auf dem legendären englischen Elektronik-Label Warp das Avantgarde-Duo Autechre in die Zweitrangigkeit verdrängt, muss tatsächlich häufiger „Abrakadabra“ ausgesprochen haben.

Nimbus eines Dickschädels

Oneohtrix Point Never macht beileibe keine eingängige Popmusik, stets hatte der Künstler den Nimbus eines Dickschädels. Doch die Sperrigkeit trieben ihm zwei Filmemacher aus, die auch seiner Karriere Vorschub leisteten: die Safdie Brothers. Das US-Regie-Duo zeigte ­Lopatin, dass man manchmal Kompromisse eingehen muss – vor allem, wer wie ­Lopatin für ihre Filme „Good Time“ und „Uncut Gems“ arbeitet. Vor Jahren erzählte er, dass er anfangs trotzdem Musik produzierte, keine Soundtracks.

Seine Filmmusik fiel kürzer aus, als die Szenen es erforderten. Also hieß es Loopen und Verlängern– auch wenn sich das Künstlerherz sträubt. Gute Musik lebt nicht allein von ihrem Zauber. Etwas Vernunft statt Träumereien, noch einmal mit Pragmatismus: Klingt schrecklich; schrecklich gut in diesem Fall.

Deswegen wartet sein neues Album „Magic OPN“ nicht nur mit großartigen Gästen auf, sondern mit einer fast schon anbiedernden Durchhörbarkeit. Nach dem Kino-Erfolg wartet zu Hause wieder Arbeit: Zurück ans Radio, Intermissions und Werbe-Versatzstücke aufnehmen, schneiden und mit lautem Barock, Fake-R&B und einem alternativem Pop-Entwurf zum Mixtape zusammenbasteln, das eines der besten Alben des Jahres ist.

Sogenannte Early-Adopter, Geschmacks-Frühaufsteher, beklagen nun, dass sie Lopatins Innovation missen würden. Wer seinen Entwicklungsschritt nicht hören mag, dem ist nicht zu helfen. This is just another kind of magic!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.