Neues Album von H.E.R.: Talent an der Gitarre
Auf ihrem dritten Album „Back of My Mind“ veröffentlicht Gabriella Wilson aka H.E.R. 21 neue Songs. Auf den besten steht die E-Gitarre im Fokus.
Gabriella Wilson, die sich als Sängerin schlicht H.E.R. nennt, ist eine ungewöhnliche US-Künstlerin. Zwar ist sie in die Fänge der Musikindustrie geraten, trotzdem kann sie ihre Talente weitgehend selbstständig austesten. Zu einem Mainstream-Star à la Beyoncé lässt sie sich bislang nicht vermarkten. Obwohl ihr Song „I Can’t Breathe“ bei der Grammy-Verleihung als Lied des Jahres ausgezeichnet wurde. Die 23-jährige Kalifornierin komponierte es unter dem Eindruck des gewaltsamen Todes von George Floyd in Polizeigewahrsam im vergangenen Mai, es wurde sogleich zur Hymne der #Black-Lives-Matter-Bewegung.
Und noch einen Grammy heimste die Künstlerin gemeinsam mit den Musiker:Innen Robert Glasper und Meshell Ndegeocello ein: Ihr Song „Better Than I Imagined“ gewann in der Kategorie bester R&B-Song. Im Frühjahr räumte H.E.R. dann mit „Fight for You“, ihrem Beitrag zum „Judas and the Black Messiah“-Soundtrack, einen Oscar ab. Und bei der Eröffnungsfeier zum Superbowl „überzeugte sie mit ihrer „America the Beautiful“-Version, wobei sie in Jimi-Hendrix-Manier Gitarre spielte.
Wie populär die Tochter eines Afroamerikaners und einer Philippinerin in den USA ist, beweisen zudem ihre Absatzzahlen: Laut ihrem Label hat sie dort innerhalb von fünf Jahren mehr als 16 Millionen Tonträger verkauft, zudem generierte sie sechs Milliarden Streams.
Bisweilen spürt die junge Frau allerdings heftigen Gegenwind. Zweifler*innen gibt sie auf ihrem dritten Album „Back of My Mind“ gleich im Auftaktsong „We Made It“ sehr gelassen kontra. „They said I won’t come up with the family and cop a couple Grammys“, singt sie. „All the things they said I can’t be/ Revenge taste just like candy.“ Musikalisch kocht H.E.R. da mit sphärischen Beats, schweinöser Gitarre und einem Klavier-Outro so richtig quer durch den Garten. Wenn sich ihre Stimme wie eine Sirene aufschwingt, hat ihr packender Gesang Vorrang.
H.E.R.: „Back of My Mind“ (MBA Entertainment/RCA/Sony)
Streckenweise eindimensional
Leider besitzt nicht jeder ihrer 21 neuen Songs diese Klasse. Wider besseres Wissen setzt H.E.R. streckenweise auf eindimensional-erwartbare R&B-Dutzendware, inklusive der obligatorischen Features mit prominenten Gästen. Titel wie „Find My Way“, eine Kooperation mit Rapper Lil Baby, hört man mit gemischten Gefühlen. Weniger – vor allem weniger Songs – wäre bei diesem Album mehr gewesen. Wobei natürlich nicht jeder Gast unnütz ist. Mithilfe des Produzenten Kaytranada sowie des Bassisten-Wizards Thundercat verschmilzt die Musikerin in „Bloody Water“ Jazz und Elektronik so kunstvoll, dass sich eine Kategorisierung erübrigt. Im Songtext prangert sie mit deutlichen Worten Rassismus an.
Die Neo-Soul-Nummer „Cheat Code“ steht mit ihrer Intensität einer Lauryn Hill in nichts nach. Das minimalistische „Hard to Love“ fügt sich nur mit akustischer Gitarre und Gesang wie selbstverständlich in die Dramaturgie. Schließlich nähern sich viele Songs Themen wie Beziehungsstress und Trennungsschmerz an. Offenbar wollte H.E.R. ihre Liebesdramen sezieren. Klingt banal, ist es auch – funktioniert mal erstaunlich gut, mal weniger überzeugend.
Empfohlener externer Inhalt
Statt sich in Selbstmitleid zu suhlen, hätte H.E.R. lieber des Öfteren ihre E-Gitarre prügeln sollen. Den Beweis dafür liefert „Hold On“. Bei diesem Stück jubelt die Künstlerin ihrem R&B himmelwärts gniedelnde Riffs unter.
Die hat sie sich wohl bei Prince abgeguckt. Genau wie er ist H.E.R. eigentlich eine vielseitig begabte Künstlerin, die fünf Instrumente beherrscht und im Studio teils im Alleingang hantiert. Nicht umsonst hat ihr der Gitarrenhersteller Fender als erster schwarzer Künstler*in eine eigene Stratocaster-Edition gewidmet: H.E.R. gilt als versierte Gitarristin. Daraus sollte sie in Zukunft unbedingt noch mehr Kapital schlagen, statt zu sehr auf Charts-Gleichförmigkeit zu setzen. Dann wäre sie wirklich unschlagbar.
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