Neues Album von Boybandstar Harry Styles: Der Möchtegern-Normalo

Der britische Popstar Harry Styles veröffentlicht mit „Harry's House“ ein neues Album, mit dem er musikalisch den Anschluss an R&B und Balladen sucht.

Harry Styles singt auf der Bühne.

Harry Styles bei einem Konzert in London Foto: Matt Crossick/imago

Er tat das Richtige. Harry Styles von der britischen Boyband One Direction beschloss vor fünf Jahren, es allein zu versuchen. Seine erste Single und sein Debütsoloalbum machten ihn sogleich zum Star. Wo jener erste Hit „Sign of the Times“ auf die forcierte Innerlichkeit von Coldplay-Balladen setzte, eröffnet nun Synthesizer-geprägter 90er R&B Styles neues, drittes Album „Harry’s House“ und mündet bald ins beste Stück, das charmant rhythmisch akzentuierende „Late Night Talking“.

Klug bezieht sich der 28-Jährige auch in „Cinema“ auf die luftigere, weniger effektüberladende britische R&B-Variante jener Tage, allein Styles etwas verschämte Stimme irritiert. Ähnlich seinem Kollegen Ed Sheeran erscheint der Popstar und Schauspieler dabei ein bisschen zögerlich. Was auf manche Hö­re­r:in­nen postheroisch uneitel wirkt, lässt die emotionale Involviertheit eines Lynden David Hall oder der Sugababes jedoch vermissen.

Dann erinnert Harry Styles’ Song „Grapejuice“ mit seinen Lennon-Harmonien zu schlaffen HipHop-Beats doch wieder an jene Britpopattitüde, mit der sich schon Robbie Williams einst von seiner Boybandvergangenheit lösen wollte. Abgesehen von dem recht rustikal mit A-Ha’s „Take on Me“ kokettierenden Nummer-eins-Hit „As It Was“ – gerade an der Spitze der US-Charts –, erleben wir also Sentenzen der 1990er in zeitgenössisch arrangierten Sounds.

Zurück ins Geburtsjahrzehnt

Dieser Mechanismus der Popkultur funktioniert noch, die Leute wollen in das Jahrzehnt zurück, in dem sie geboren wurden. Doch anderes hat sich geändert, grundlegend sogar. Während Robbie Williams sich die Korken der liegengelassenen Champagner-Flaschen des Rockzeitalters ins eigene Auge knallen ließ, spricht aus Harry Styles die Stimme der Vernunft. Der Künstler berichtet in Interviews von Menschen, die erfolgreich und trotzdem nett geblieben sind, so mag er auch sein, wie ein ganz normaler Typ.

Harry Styles: „Harry's House“ (Columbia/Sony)

Da die Selbstüberzeugtheit des Popstars mit dem Wunsch nach Normalität kollidiert, skizzieren die musikalischen Stimmungen mitunter ein Patt der Gefühle. Dann klingt es nach Sorgen, die das Paar auf dem Bett einander zuflüstert, statt einander zu lieben, derweil der Sommerregen über die Fensterscheibe rinnt. Letztendlich obsiegt die Hoffnung auf das Gute nach der wilden Ära der Popmusik, doch da liegt auch eine Last auf Styles’ Schultern: Die Zeit hat ihn zurückgeworfen.

Schaut man in die 1980er, werden Künstler wie The Human League, Japan, The Asscociates, Alphaville, ja auch auf Thomas Anders wieder lebendig; überall hübsche, geschminkte, teils feminine Männer, die Schüler David Bowies. Sie waren da, sehr selbstverständlich und souverän, und es schien absehbar, dass sich bald Männer auch im Alltag schminken würden.

Dann kamen die 1990er: Lad-Saufkopp-Culture, homophober HipHop-Machismo, Rockmusiker, deren tätowierte Muskelkörper nur vom Tod ihrer Musik zeugten. Jene, die etwas wagten, wirkten so stoffelig wie der Sänger von Placebo bei seinem Versuch, Lauren Bacalls Blick zu imitieren.

Derweil ließ die Autoaggressivität der schwarzgekleideten, „Emo“ genannten Kids einen staunen, wie schnell und gründlich so viel verloren sein konnte. Oder waren die Prozesse einfach zäher als geglaubt? Immerhin, die Emos forderten das Recht der nicht mit Starappeal Beschenkten ein.

Harry Styles aber wurde beschenkt, gleicht einem schnieken Sonnyboy mit nachdenklicher Seite. Doch er will andere ermutigen – zwischen Sein und Wollen schlittert das Statement seiner ihm so wichtigen modischen Selbstinszenierung eher ins Linkische denn Befreiende. Das Feminine ist ihm zum Glück nicht mehr die brüllende Katharsis des im Kleid auftretenden Kurt Cobain, aber es verwehrt sich auch der Eleganz, der beeindruckenden androgynen Stile um 1930 und 1980.

Die andauernde Krise der Popmusik (nebst ihrer Industrie) und der neue Puritanismus prägen Styles’ Kunst maßgeblich. Sein Drama ist das des Kalkulierten, jener engen Leine, die sich um Pop gelegt hat und just als ihr Gegenteil, als Freiheit, erscheinen soll.

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