Neues Album der Sleaford Mods: Prügel von den Alten
Die Sleaford Mods waren schon immer gut darin, den Status quo Englands zu sezieren und zu filetieren. Auf dem Album „UK Grim“ gelingt das einmal mehr.
„Es ist ja so: Wenn du nicht drüber lachst, weinst du dir die Augen aus“, hat Jason Williamson, vorderster Rüpel des britischen Schepperpunk-Duos Sleaford Mods, kürzlich zum Guardian über den Zustand seines Heimatlandes gesagt.
Wer wollte ihm in Zeiten der fröhlichen Premierminister-wechsel-dich-Spielchen, eines darbenden öffentlichen Gesundheitssystems und eines immer nur noch schärferen Asylkurses widersprechen? Großbritannien in Post-Brexit-Zeiten, das ist ein großes Trauerspiel – oder eben Highspeed-Comedy, die versucht, Schritt zu halten mit den Politskandalen und dem alltäglichen Chaos.
Die Sleaford Mods sind die vielleicht wütendste Band der Insel, und sie waren schon immer sehr gut darin, den Status quo Englands zu filetieren. Auf „UK Grim“, ihrem neuen, inzwischen zwölften Studioalbum, gelingt ihnen das einmal mehr on point. In den Songtexten verhandeln sie etwa den grassierenden Populismus („Right Wing Beast“), den latent gewalttätigen, spätweimarischen Zustand der Gesellschaft („Smash Each Other Up“) sowie wiederholt die grenzenlose Arroganz der Elite („Tory Kong“).
Während der Albumtitel „UK Grim“ eine treffende Epochenbeschreibung für zukünftige Historiker werden könnte, ist der von Cold War Steve produzierte Videoclip zum Titeltrack große Comedy und erinnert darin an Monty Python.
Michael Gove kotzt
In einer Mischung aus Bruegel’schem Wimmelbild und Dada-Collage entwerfen die beiden Musiker ein Sittengemälde des Post-Brexit-UK: Nigel Farage trommelt auf der Bratpfanne, Sting meditiert mit Laute, Liz Truss findet in Margaret Thatcher ihr Ebenbild, Boris Johnson gibt den nackten Königskutscher und Michael Gove reihert auf den Boden.
Sich auskotzen ist überhaupt ein Grundmotiv der Mods, Williamson singt und shoutet wütende Verse wie: „[…] in England no one can hear you scream your just fucked lads“ oder den Refrain: „This is U.K. grim / Keep that desk area tidy“. Das ist das trostlose Großbritannien, halt deinen Schreibtisch sauber.
Am Erstaunlichsten an den Sleaford Mods ist, dass sie mit simplen Mitteln musikalisch relevant bleiben und zugleich eine wichtige Stimme des Prekariats. Gegründet 2007 in Nottingham, haben sich Jason Williamson und Andrew Fearn, der für Synthesizer und Programmierung zuständige zweite Mod, einen Namen gemacht mit einem unnachahmlichen Mix aus elektronischem Punk und Sprechgesang.
Fearn liefert stumpfe Beats und garniert sie mit minimalistischen Samples, Williamson rattert dazu seine atemlosen Rants: Ein tiefes Motzen gegen die soziale Schieflage. Auf Alben wie „Key Markets“ (2015), „English Tapas“ (2017) und „Eton Alive“ (2019) kommentierte das Duo trefflich und gewitzt das Zeitgeschehen. In ihrem unversöhnlichem Brodeln ähneln die Mods von Ferne den Goldenen Zitronen in Deutschland: Man muss nur ein Album dieser Bands hören und bekommt einen guten Eindruck davon, was faul ist im Staate.
Guns of Navarone
Musikalisch bedienen sich Sleaford-Stücke meist bei den einfachst programmierten Wave-Beats und Bassläufen jener Ära, aber gerade auf „UK Grim“ wird deutlich, wie das Duo sich um Varianz bemüht.
In „Force 10 from Navarone“ singt Florence Shaw von der aufstrebenden Postpunkband Dry Cleaning. „Smash Each Other Up“ geht fast als melancholische elektronische Ballade durch, in „Tory King“ setzt das Duo wiederum polyrhythmische Trommeln und repetitive Synthesizer ein, und so dringen weniger naheliegende musikalische Einflüsse durch. Im Finale „Rhythms of Class“ singt Williamson dann fast harmonisch, es ertönen funky Gitarren-Licks, der Song hat Soul.
In den Texten verarbeitet Williamson aber nicht nur die britische Misere, sondern auch die Malaise mondiale. Gleich in der ersten Strophe des Titeltracks lässt er Wladimir Putin austicken und schimpft über den permanenten Krisenstatus und dass ihm deshalb die Krisenscheiße über den Rücken spritzt („I got crisis stamina, full marathon, 4 poo breaks, I can feel the shit from your crisis rays spray up my back“).
Sleaford Mods: „UK Grim“ (Rough Trade/Beggars/Indigo)
Währenddessen lässt sich die breite Masse von rechten Rattenfängern verarschen („But what’s gone on what can I see / Y’ all getting mugged by the right wing beast“). In „Force 10 from Navarone“, eine Anspielung auf den gleichnamigen britischen Kriegsfilm von 1978, der ja auch in einem oft von Punkbands gecoverten Songklassiker der jamaikanischen Skatalites zitiert wird, setzt sich Williams dagegen mit seinen eigenen Dämonen auseinander und welche Berechtigung sie haben („Jason, why does the darkness elope?“).
Felsen im Kot
Sleaford Mods bleiben so eine verlässliche Quelle, will man den Wahnsinn der Welt im Allgemeinen und Großbritanniens im Besonderen verstehen.
Eine andere große britische Künstlerin, die schottische Schriftstellerin A. L. Kennedy, hat vergangenes Jahr geschrieben, das allmähliche Scheitern des Vereinigten Königreichs als Staat komme ihr vor wie „eine sportliche Großveranstaltung“ – wohl, weil jeder sich in dieser Disziplin mit seiner Unfähigkeit hervortun will.
Auch Kennedy findet im grotesken Humor Trost, ihr Heimatland charakterisierte sie als „blöden Felsen, der im Strudel der eigenen Scheiße treibt und sich nur noch im Menschenhandel, in performativer Grausamkeit und Geldwäscherei für die übelsten Menschen der Welt hervortut“. Auf „UK Grim“ lässt sich hören, wie dieser Felsen tiefer im Kot versinkt.
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