Neues Album „2000“ von Pashanim: Botten hat nix mit Sneakern zu tun
Der umkultete Berliner Rapper Pashanim und sein neues Album „2000“ frönt der HipHop-Nostalgie. Über einen Gangsta, der gerne „Drei Fragezeichen“ hört.
Man muss sich das so vorstellen. Der Rapper Pashanim ist in Berlin-Kreuzberg in seinen Porsche Cayenne gestiegen. Sein Ziel: Italien, wegen einer Frau. Als er gerade durch Tirol rast, ziemlich übermüdet, rütteln ihn drei Stimmen aus den Boxen im SUV wach. Nicht etwa die der HipHop-Konkurrenz, sondern die von Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews.
„Über Grenze durch die Alpen/ hör' Drei Fragezeichen“, reimt Pashanim im Song „Mittelmeer“, enthalten auf dem Debütalbum „2000“. Der Pashanim, der seit 2019 den Sound der Schulhöfe nicht nur von Berlin prägt, der so oft wie möglich betont, dass er mit niemanden weniger gern spricht als mit der Polizei, hört sich Detektiv-Rätsel an?
Die Hörspielreferenz, so banal das erstmal klingen mag, sagt viel darüber aus, wie Pashanims Musik funktioniert und weshalb sie so gut ankommt. Es geht um Codes, Marken, Slangbegriffe auf Türkisch und Arabisch, die richtig arrangiert ein Muster ergeben, das ein Selbstverständnis von Coolness in sich trägt.
Man muss die Geschichten der drei Schlaumeier-Detektive schon mit hellblauen Prada-Hemd, Nike TNs, einem Porsche und #Free Afrin-Slogans kombinieren, um sie in einen Lifestyle zu integrieren.
Neue alte Statussymbole
Pashanim: „2000“ (Urban/Universal)
Pashanim (bürgerlich Can Bayram), im Jahr 2000 als Sohn eines kurdischen Vaters und einer deutschen Mutter in Kreuzberg geboren, hat das Spiel mit der Neuzusammensetzung von (Status)-Symbolen in seiner Musik perfektioniert, das macht ihn so interessant.
Alles begann 2019, mit seinem Hit „Shababs Botten“. Pashanim, damals 18 Jahre alt, rappt die ikonischen Zeilen: „Shababs botten – grüne Augen, braune Locken/TN’s rocken/Halbe Kiste wenn wir shoppen“ auf einen reduzierten Beat, der gefühlt nur aus Bassline, Claps, Snare und ein paar bedrohlich klingenden Piano-Tupfern besteht.
Die Shababs, seine Jungs, botten, also flüchten vor der Polizei und tragen dabei Nike-Sneaker vom Typ TN am Fuß. Der Grund: Sie haben gerade eine halbe Kiste, also 500 Gramm Marihuana, eingekauft.Der Song war Grundstein für unzählige Pashanim-Hits, teils über hundert Millionen Mal gestreamt auf Spotify.
Und ein Musiknerd
Zusammengesetzt funktionieren sie wie der Tumblr-Blog eines verträumten Grasdealers, der viel Zeit mit seinen Jungs verbringt, mal verliebt ist, mal wütend, und der ganz genau weiß, welches Kleidungsstück er wann und wie zu tragen hat. Der außerdem ein Musiknerd ist, welcher die aktuellen Nischenphänomene im US-Rap genauso verinnerlicht hat wie Klassiker von Outkast und Straßendeutschrap der letzten Dekaden.
Tumblr-Blogs waren ein Phänomen der frühen 2010er. Nur folgerichtig, dass Pashanim als „canocostello“ nun auch einen solchen Blog betreibt und ihr Revival mit einläutet. Wo wir wieder bei „Mittelmeer“ von Pashanims Debütalbum sind. Stichwort Revival.
Denn der nutzt das gleiche Sample wie Bushidos Song „Sonnenbank Flavour“ (2005) – mit seinen assoziativen Aufzählungen ein Vorläufer von Pashanims Code-Rap. Auch wenn seine Songs im Gegensatz zu denen von Bushido frei von plumpem Sexismus sind. Interessant ist dabei, das Stickle, einst Bushidos Produzent, heute einer der Visionäre hinter Pashanims Klangsignatur ist, die von Progressive House bis Drum'n'Bass reichen kann, aber in letzter Instanz immer HipHop bleibt.
Ers auch n guter Junge?
Was noch auffällt, ist, dass die Begriffe in den Aufzählungen von Pashanim oft älter sind als er selbst. Die ersten TNs wurden 1998 verkauft, Ninja Turtles und Monkey D. Ruffy sind Cartoon-Charaktere aus den 90ern. „Nokia 3310“, wie ein Song heißt, kam 2000 auf den Markt. Dadurch hat Pashanims Musik immer auch einen nostalgischen Touch. Seine Songs offenbaren eine Sehnsucht nach Artefakten vor der Jahrtausendwende, einer Zeit, in der alles etwas entschleunigter war.
Die Stärke des Albums ist nun, dass es diese Entschleunigung im Sound reproduziert. Ansonsten fühlt sich „2000“ eher an wie ein weiteres Versatzstück in Pashanims schnell dahinfließendem post-migrantischen Erzählstrom, nicht wie ein konzeptuelles Einzelwerk.
Dementsprechend wirken die 14 Songs, die größtenteils von dezenten Pianosounds und Pashanims ruhiger, tiefer Stimme getragen werden, ziemlich gleichförmig. Auch politische Slogans wie „Free Kurdistan“, eine Referenz an türkische Gastarbeiter und biografische Einschübe, ordnen sich genauso in das Meer aus Versatzstücken ein wie die Aufzählung von Markennamen. „2000“ funktioniert also ziemlich gut als Teil einer Gesamtästhetik, weniger gut aber als Album.
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